„LGBT-ideologiefreie Zonen“ in Polen - Reden statt Draufschlagen

Die „LGBT-ideologiefreien Zonen“ in Polen sorgen in Europa für Empörung. Einige Kommunen und Städte beendeten gar ihre Partnerschaften nach Polen. Ob dieser Weg jedoch richtig ist, kann man bezweifeln.

Als Zeichen des Protests beenden viele Kommunen die Partnerschaft zu Polen - dabei wäre ein Dialog drigend nötig / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Thomas Dudek kam 1975 im polnischen Zabrze zur Welt, wuchs jedoch in Duisburg auf. Seit seinem Studium der Geschichts­­wissen­schaft, Politik und Slawistik und einer kurzen Tätigkeit am Deutschen Polen-Institut arbei­tet er als Journalist.

So erreichen Sie Thomas Dudek:

Anzeige

Es war ein simpler Regenbogenaufkleber, der eine seit 1994 andauernde Städtefreundschaft beendete. Demonstrativ angebracht an einem Ortsschild der niederländischen Stadt Nieuwegein. Dieser verdeckt seit Mitte Juli die Aufschrift „Puławy“. Einer im Osten Polens gelegenen Stadt, die sich am 30. Mai vergangenen Jahres zu einer „LGBT-ideologiefreien Zone“ erklärt hat. „LGBT-freie Zonen wie in Puławy sind, was uns angeht, echt unakzeptabel“, hieß es zur Begründung aus dem niederländischen Nieuwegein.

Die 50.000-Einwohner Stadt Puławy ist eine von insgesamt 103 Gemeinden, Landkreisen und sogar fünf Woiwodschaften, die sich seit dem vergangenen Jahr zu den im Ausland berühmt-berüchtigten „LGBT-ideologiefreien Zonen“ erklärt haben. Über 100 Städte und Regionen, die vorwiegend im von der nationalkonservativen PiS dominiertem Südosten des Landes zu finden sind und mittlerweile rund ein Drittel des polnischen Staatsterritoriums ausmachen, wie ein Blick auf den „Atlas des Hasses“  zeigt. 

Resolution einer erzkonservativen Juristenvereinigung

Wobei man betonen muss, dass nicht alle Gemeinden und Kreise sich offen gegen „Homoterror“, „Homopropaganda“, „politische Korrektheit“ oder die angebliche „Frühsexualisierung“ von Kindern durch die Empfehlungen für den Sexualkundeunterricht der WHO aussprechen. 40 Kommunal- und Regionalparlamente haben die sogenannte „Kommunale Charta der Familienrechte“ verabschiedet. Eine von der erzkonservativen Juristenvereinigung „Ordo Iuris“ vorgefertigte Resolution, in welcher der Begriff LGBT nicht vorkommt, die aber trotzdem mehr als eindeutig ist. 

Doch so unterschiedlich diese Resolutionen auch sein mögen, sie haben eine Gemeinsamkeit: Sie sind eine von der PiS ins Rollen gebrachte Reaktion auf die vom Warschauer Oberbürgermeister und diesjährigem Präsidentschaftskandidaten Rafał Trzaskowski initiierte „LGBT-Charta“, mit der die Rechte sexueller Minderheiten in der polnischen Hauptstadt gestärkt werden sollten. Für die Nationalkonservativen, die sich bereits während der Europa- und Parlamentswahlkämpfe 2019 als die „Bewahrer polnischer Familien“ inszenierten, der Startpunkt ihres bis heute andauernden Kampfes gegen eine angebliche „LGBT-Ideologie“. 

Auch deutsche Landkreise setzten Partnerschaft aus

Eine gegen sexuelle Minderheiten gerichtete Politik, die in Europa seit Monaten nicht nur für Empörung und Kritik sorgt, sondern für einige „LGBT-ideologiefreie Zonen“ auch schon Konsequenzen hatte. So verweigerte Ende Juli die Europäische Kommission sechs Städten im Rahmen von kommunalen Partnerschaftsprojekten die Bewilligung von Fördergeldern. Einige Gemeinden entschieden sich für den gleichen Weg wie das niederländische Nieuwegein und beendeten ihre Partnerschaften mit polnischen Städten.

Andere wählten einen weniger rigorosen Schritt und setzten ihre Partnerschaften erstmal aus. Neben Schwerte, das seine Partnerschaft mit dem im Süden Polens gelegenen Stadt Nowy Sącz aussetzte, ging auch der Landkreis Pfaffenhofen diesen Weg, den seit 2001 eine Partnerschaft mit dem Landkreis Tarnów verbindet. Jährliche gegenseitige Besuche, Schüleraustausche, Kontakte in Sport und Kultur oder Unterstützung bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, waren nur einige Aspekte der engen Partnerschaft zwischen den beiden Landkreisen. Am 29. Juni beschloss der Kreisausschuss, die Partnerschaft zunächst auszusetzen. 

Die Suche nach einem gemeinsamen Nenner

Was aber nicht bedeutet, dass beide Landkreise nicht mehr das Gespräch miteinander suchen. „Die Verantwortlichen des Landkreises Tarnów haben unverzüglich reagiert und den Kontakt zu unserem Landkreis gesucht. Auch der ehemalige Landrat des Landkreises Tarnów, zu dessen Amtszeit die Partnerschaft erstmalig geschlossen wurde, hat den Kontakt zu uns gesucht“, heißt es aus dem Landrat auf Anfrage von Cicero.

Und auch in Oberbayern sucht man das Gespräch mit den langjährigen Partnern in Polen: „Der Kreisausschuss hat den Landrat und die Verwaltung beauftragt, einen offenen Dialog mit den Betroffenen und Offiziellen in Tarnów zu führen, wie eine gemeinsame Basis für eine mögliche Fortsetzung der Partnerschaft aussehen könnte beziehungsweise ob es dazu eine gemeinsame Grundlage gibt.“ Erst nach diesen Gesprächen will man im Landkreis in den nächsten Tagen über die weitere Zukunft der Partnerschaft entscheiden.

Experte rät zum Dialog

„Partnerschaften zu beenden, ist ein billiges und wirkungsloses Mittel“, sagt Peter Oliver Loew, Direktor des renommierten Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt, das seit seiner Gründung 1980 bei der Entstehung vieler Partnerschaften beratend zur Seite stand. Was schon daran liegt, dass nicht jede Partnerschaft zwischen deutschen und polnischen Gemeinden gleich ist.

„Es gibt viele sehr lebendige Partnerschaften. Aber aus Erfahrung kann man sagen, dass die Partnerschaften umso weniger intensiv sind, je größer die Städte sind. Einige deutsch-polnische Städtepartnerschaften sind einfach nur Papiertiger“, so Loew, dessen Institut im Herbst auch eine Studie über die deutsch polnischen Städtepartnerschaften veröffentlichen wird. Stattdessen rät der Experte zum Dialog. „Man kann den Kontakt zu den politischen Vertretern als Zeichen des Protestes abbrechen, doch die Zusammenarbeit auf gesellschaftlicher Ebene sollte erhalten werden.“ 

PiS weiß Kritik für ihre Zwecke zu nutzen

Gleicher Meinung sind auch die Gustav Wehner und Harm Adam, die sich in ihren Heimatstädten Oldenburg und Göttingen in den lokalen Deutsch-Polnischen Gesellschaften engagieren. In offenen Briefen sprachen sie sich gegen den Abbruch von Städtepartnerschaften aus und riefen dagegen zu einem gesellschaftlichen Dialog auf. Auch mit einem wichtigen Verweis: „Wenn wir draufschlagen, besteht die Gefahr der Solidarisierung mit der PIS, da Polen verteidigt werden muss.“

Und wie sehr es die Nationalkonservativen verstehen, die Kritik für eigene Zwecke zu nutzen, zeigt die Stadt Tuchów. Diese gehört zu den sechs Städten, denen die EU Fördermittel verweigert hat. Vom Justizministerium bekam sie nun jüngst als Entschädigung 250.000 Zloty zugesprochen. Umgerechnet sind das 62.000 Euro – das rund Vierfache der verweigerten EU-Gelder. 

Anzeige