Kampf um Mossul - Das Ende oder ein Neubeginn für den IS?

Die Militäroffensive zur Rückeroberung der irakischen Stadt Mossul aus den Händen des IS schreitet voran. Doch auch ein Sieg wird den Terror nicht beenden können. Vieles spricht dafür, dass sich die Gefahr für Anschläge in Europa erhöht

Kurdische Peschmerga-Soldaten im Kampf gegen den IS. Der Sieg in Mossul gilt als sicher / picture alliance
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Zwei Jahre lang haben die kurdischen Peschmerga-Truppen mit ihren Ferngläsern an der kilometerlangen Front über staubiges Flachland und die Ruinen verlassener Dörfer des Nordiraks hinweg in Richtung Mossul geschaut und gewartet. Um zwei Uhr morgens am vergangenen Montag ging es dann endlich los. Der irakische Premierminister Hader al-Abadi verkündete den Beginn der Operation, Mossul aus den Klauen des sogenannten Islamischen Staates zu befreien.

Es ist eine große Kampfkoalition, die in die Schlacht zieht. Bis zu 40.000 Mann sollen ihr angehören, darunter Soldaten der irakischen Armee, der kurdischen Peschmerga, der christlichen Assyrer und der Jesiden, unterstützt von US-amerikanischen Kampfjets aus der Luft und Elitesoldaten am Boden. Wie viele IS-Kämpfer ihnen entgegentreten werden, darüber gibt es nur Schätzungen, sie reichen von 4.000 bis 8.000. Kaum einer bezweifelt, dass die Koalition gewinnen wird, auch wenn es Wochen, vielleicht sogar Monate dauern könnte.

US-Experten äußern Bedenken

Das Problem: Es gibt große Zweifel, ob ein Sieg in der Schlacht um Mossul entscheidend ist im Krieg gegen den Terror des IS. Sie stammen vor allem von Experten aus den USA. Nicholas Rasmussen, Direktor der Nationalen Antiterror Zentrale (National Counterterrorism Center, NCTC) sagte einem Komitee des US-Senats im September, der IS habe sein operatives Geschäft in den vergangenen Jahren ausgebaut und verstärkt. „Wir glauben nicht, dass Verluste in den Schlachten genügen, um die Terror-Möglichkeiten der Gruppe komplett zu zerstören“, so Rasmussen. CIA-Chef John Brennan hatte sich zuvor schon ähnlich geäußert.

Diese Einschätzungen überraschen auf den ersten Blick. Die IS-Kämpfer mussten in den vergangenen zwei Jahren herbe Verluste hinnehmen. Noch 2014 kontrollierten sie Gebiete von der Größe Großbritanniens. Doch ungefähr die Hälfte ihres Gebiets im Irak und ein Viertel in Syrien haben sie bereits verloren, schätzt Rasmussen. Mehr als 15.000 Luftangriffe haben die Versorgungswege gekappt und Truppenbewegungen beinahe unmöglich gemacht. Zudem sind fast alle Mitglieder der ursprünglichen Führungsriege und 45.000 Kämpfer insgesamt dabei umgekommen, schätzt US-Generalleutnant Sean MacFarland, der eine Task Force gegen den IS leitet.

Probleme des IS verstärken sich

Auch das Geld könnte beim IS bald knapp werden, sagt Florian Wätzel vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel gegenüber Cicero Online. Ein großer Teil der Einnahmen habe aus Zwangssteuern bestanden, die von der Bevölkerung in den besetzten Gebieten gezahlt wurden. Die fielen jetzt weg. Außerdem gebe es kaum noch Möglichkeiten, Geschäfte zu machen. Das betrifft vor allem den Ölhandel, der so gut wie erloschen ist, seit die Amerikaner Ölanlagen bombardiert haben und die Türkei die Grenzen geschlossen hat. Ein US-Bombenangriff auf ein Gelddepot im Januar war dann ein buchstäblicher Schlag ins Kontor. „Danach musste der IS die Besoldung der Kämpfer um die Hälfte reduzieren. Und es folgten bald Meldungen, dass Kämpfer zu anderen Milizen übergelaufen sind, die besser bezahlen“, sagt Wätzel, der unter anderem in Syrien und im Jemen studiert hat.

Eine Niederlage in Mossul würde zudem eine weitere demoralisierende Wirkung haben. Schon jetzt fiele es dem IS immer schwerer, neue Kämpfer zu rekrutieren. Immer öfter greife der IS deshalb zu Zwangsrekrutierungen und Zwangskonversionen zum Islam. Die so gewonnenen Neumitglieder dürften alles andere als motiviert sein, bis aufs Blut für den Islamischen Staat zu kämpfen.

Terror in Europa wird wahrscheinlicher

Doch ein verwundetes Tier ist am gefährlichsten. Und deswegen könnte der IS seine Terroraktivitäten gerade jetzt verstärken, auch und vor allem in Europa. Immer schon war der IS agiler und spontaner in seinen Aktionen als zum Beispiel die Terrormiliz Al Kaida, die auf aufwendige, symbolträchtige, jahrelang geplante und kostenintensive Attentate setzt. Die Terrorstrategie des IS war außerhalb seines Gebiets auf viele kleine, aber zermürbende Nadelstiche ausgerichtet. Ein Anschlag eines Menschen mit einer Axt, einem Messer oder einer Kalaschnikow ist schwierig zu verhindern.

Um ein Netzwerk für diese Art Anschläge zu erhalten, braucht es weder ein großes Basisgebiet noch viel Geld. Und laut Jean-Paul Laborde, Leiter des UN-Komitees zur Terrorismusbekämpfung, befinden sich noch 20.000 bis 30.000 ausländische Kämpfer im Irak und in Syrien. Die meisten von ihnen sind militärisch und ideologisch bestens geschult und noch immer stehen ihnen ausreichend logistische und materielle Mittel zur Verfügung. Da die nicht mehr für die Eroberung und Kontrolle der Gebiete benötigt werden, ist es wahrscheinlich, dass sie auf den Terrorismus konzentriert werden.

Anzeichen für einen Strategiewechsel

Seth G. Jones vom angesehenen Washingtoner Thinktank Rand zeigt auf, dass die meisten Terroristengruppierungen ihre Terroraktivitäten verstärken, wenn sie Gebietsverluste hinnehmen mussten. Damit wollten die Terroristen Regierungen dazu bringen, überzureagieren und Minderheitengruppen zu drangsalieren, was wiederum zu deren Radikalisierung führen und so den Staat zersetzen könnte. Diese Strategie habe schon die IRA im Nordirland-Konflikt erfolgreich angewandt.

Erste Anzeichen für einen Strategiewechsel des IS gibt es bereits. Im Al-Naba-Newsletter, einer weitverbreiteten Nachrichtenquelle für IS-Kämpfer (eine Sammlung übersetzter Exemplare gibt es hier), taucht immer wieder der arabische Aufruf inhiyaz ila al-sahraaa auf, was so viel bedeutet wie „Kehrt in die Wüste, in den Untergrund zurück“. Hassan Hassan vom Londoner Tahrir Institut für Nahostpolitik, erläuterte im US-Senat die Bedeutung der Nachricht: „Sie sagen: ‚Wir mögen Mossul, Raqqa, Sirte und all die anderen Städte verloren haben und in die Wüste gedrängt werden, aber das ist nicht das Ende unserer Erzählung‘. „Ich glaube“, so Hassan weiter, „dass wir nicht den Anfang vom Ende des IS erleben. Es ist der Anfang von einem neuen Zyklus.“

 

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