Großbritannien nach dem EU-Austritt - Prinzip der fünf Augen

Mit dem Austritt der Briten aus der Europäischen Union stellt sich die Frage: Wo verorten sie sich künftig als souveräne Nation. Es spricht einiges dafür, dass es zu einem Bündnis mit den USA, Australien, Kanada und Neuseeland kommt. Denn man kooperiert schon jetzt auf geheimdienstlicher Ebene.

Wer braucht schon die EU, wenn man die „Five Eyes“ hat? / dpa
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Autoreninfo

George Friedman, 74, ist einer der bekanntesten geopolitischen Analysten der Vereinigten Staaten. Er leitet die von ihm gegründete Denkfabrik   Geopolitical Futures  und ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien „Der Sturm vor der Ruhe: Amerikas Spaltung, die heraufziehende Krise und der folgende Triumph“ im Plassen-Verlag.

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Am 1. Januar hat Großbritannien den Prozess des Austritts aus der Europäischen Union abgeschlossen. Die EU hat allen versichert, dass schlimme Folgen auf die Briten zukommen werden. Sicherlich wird es wirtschaftliche Konsequenzen für Großbritannien geben, aber es ist schwer vorstellbar, dass der Austritt der zweitgrößten Volkswirtschaft Europas nicht auch erhebliche Konsequenzen für des Rest Europas haben wird. Zumindest erschüttert der Vollzug des britischen Austritts einen Mythos über die Europäische Union.

Der Name „Europäische Union“ war nämlich zum Synonym für „Europa“ geworden. Diese Gleichsetzung war nie korrekt, weil es europäische Nationen gibt, die nicht Mitglied in der EU sind und auch kein Interesse daran haben, es zu werden – etwa die Schweiz oder Norwegen. Aber ohne Großbritannien ist das Gefühl, dass die EU für Europa spricht, jetzt tatsächlich verschwunden.

Ein „anderes Europa“

Großbritannien ist ein grundlegender Teil Europas, einer der Befreier Europas im Zweiten Weltkrieg und, beginnend mit der römischen Invasion Englands, Europas gelegentlicher Feind und Retter. Großbritannien war eine prägende Kraft in Europa, und nun hat es die Europäische Union verlassen. Das wird den verbleibenden Block in vielerlei Hinsicht herausfordern, denn jetzt gibt es ein „anderes Europa“, nämlich Großbritannien.

Seit dem Referendum gab es zwei große Themen. Das erste war, ob die britischen Brexit-Gegner das Ergebnis des Referendums rückgängig machen könnten. Das zweite war, ob die EU das könnte, ohne gegenüber dem Rest der Europäischen Union übermäßig versöhnlich zu erscheinen. Zeitweise schienen diese beiden Kräfte zusammenzuarbeiten, um den Brexit zu blockieren. Am Ende scheiterten sie, obwohl Brüssel wahrscheinlich weiterhin versuchen wird, die Daumenschrauben anzuziehen – bis die Briten irgendwann lieber Lexus statt Mercedes kaufen. An diesem Punkt wird die zentrale Macht Europas, Deutschland, den Strafmaßnahmen ein Ende setzen, und die EU wird weiterziehen.

Das eigentliche Problem ist nun, dass Großbritannien seinen Platz in der Welt definieren muss. Das ist eine seltsame Aufgabe, denn im Moment gibt es in Europa wenig Krieg, und militärisch ist von den europäischen Mächten wenig zu befürchten. Es ist eine merkwürdige Situation. Zwischen 1945 und 1991 war Großbritannien mit der sowjetischen Bedrohung konfrontiert. Von 1914 bis 1945 war Großbritannien mit der deutschen Bedrohung konfrontiert, mit einem Waffenstillstand dazwischen. Jetzt ist die Bedrohung, die es gibt, weit weg und eher theoretischer Natur.

Wichtiger Nato-Partner

Großbritannien ist nach wie vor Mitglied der Nato, die nicht wirklich eine europäische Einheit ist, auch wenn die meisten ihrer Mitglieder Europäer sind. Die Vereinigten Staaten stellen das militärische Rückgrat der Nato, und Großbritannien ist eine der wenigen europäischen Bündnisnationen, die über eine signifikante militärische Kraft mit globaler Reichweite verfügen.

Die USA waren im Ersten und Zweiten Weltkrieg, im Kalten Krieg, in der Operation „Desert Storm“, im Irak und in Afghanistan mit Großbritannien verbündet. Einige dieser Kriege mögen nicht klug gewesen sein, aber sie zementierten die Beziehungen zwischen den Militärs. Für die kontinentaleuropäischen Länder, die von den Weltkriegen zerrüttet und vom Kalten Krieg verängstigt waren, geht es in erster Linie um die Wirtschaft und die Vermeidung von Konflikten. Großbritannien liegt auf der anderen Seite des Ärmelkanals und sieht sich einer Region gegenüber, die es historisch in Konflikte hineingezogen hat, aber ein Jahrtausend lang nicht in Großbritannien einmarschiert ist. 

Großbritanniens Geschichte ist geprägt von der Notwendigkeit, in Europa aufgrund seiner Zersplitterung zu intervenieren. Was für Europa unvorstellbar ist, ist für Großbritannien eine historische Realität.

Das Problem Großbritanniens ist, dass es die Entwicklung Europas nicht allein kontrollieren kann. Im Zweiten Weltkrieg haben die Vereinigten Staaten Großbritannien seines Imperiums beraubt und sowohl seine Macht als auch seine Reichweite eingeschränkt. Die Briten ärgerten sich über die US-Nachkriegspolitik, aber sie lernten damit zu leben – denn Großbritannien ist ein Meister darin, mit dem Unvermeidlichen klar zu kommen. Also verbündete es sich mit den Vereinigten Staaten, und im Großen und Ganzen funktionierte das gut.

Waffenbrüder Amerikas

Während des Falkland-Krieges waren es US-Satellitenbilder, die Großbritannien einen schnellen Sieg ermöglichten. In den zurückliegenden Kriegen kämpften die Amerikaner und die Briten mit einer Leichtigkeit zusammen, wie es sie nie mit anderen Ländern gegeben hatte. Von militärischen bis hin zu geheimdienstlichen Operationen waren die beiden Länder so eng aufeinander abgestimmt, wie es sich nur souveräne Nationen erlauben können. Unabhängig davon, wie halsstarrig die USA gegenüber dem Empire waren, kämpften die beiden Länder ein Jahrhundert lang gemeinsam gegen die Deutschen und trotz Reibereien mit den Franzosen oder anderen Verbündeten. Kürzlich schickten die Briten einen Flugzeugträger zur Unterstützung der US-Operationen in den Westpazifik.

Die Allianz der Briten und Amerikaner geht aber noch tiefer. Gemeinsam sind sie Teil der „Five Eyes“, einer Gruppierung von fünf Staaten (die anderen sind Australien, Kanada und Neuseeland), die sich dem Austausch von Geheimdienstinformationen verpflichtet haben. Militärische Zusammenarbeit ist wertvoll, aber nicht außergewöhnlich. Die Bereitschaft dieser fünf Länder hingegen, einander Einblick in die gesammelten Geheimdienstinformationen zu gewähren, ist außergewöhnlich. Sie folgt auch der militärischen Zusammenarbeit. Die Kanadier wechseln sich mit den Amerikanern bei der Führung des North American Aerospace Defense Command ab. Die Australier operieren in der gleichen Region wie China. Die Neuseeländer tauschen (mit minimalen Kräften und weitaus mehr Vorsicht) Geheimdienstinformationen aus. Aber alle diese fünf Länder haben in den Weltkriegen und anderen Konflikten gekämpft.

Die „Five Eyes“

Wenn man die Frage stellt, wo sich Großbritannien verortet, ergeben sich folgende Antworten. Erstens: Handel ist wichtig, aber die nordamerikanischen Märkte sind genauso groß wie die EU. Zweitens ist Kontinentaleuropa höchst unberechenbar und häufig unbeständig, während Großbritanniens Präsenz in der Nato es in Europa an der Seite der Vereinigten Staaten und damit bedeutend hält. Und schließlich fokussieren sich die „Five Eyes“-Länder auf etwas, das oft wichtiger ist als alles andere: Krieg und seine Verhinderung durch Geheimdienstinformationen.

Die Probleme mit Irland, Schottland und Wales werden sich wahrscheinlich in Grenzen halten. Großbritannien ist nicht mehr der Herrscher über ein globales Imperium. Es ist nicht mehr in der EU und muss sich folglich mit anderen zusammenschließen. Die „Five Eyes“ als geheimdienstliche und militärische Allianz ist bereits existent und muss nicht verhandelt werden. Das Bündnis ist so locker, dass niemand verpflichtet ist, mehr zu tun als Informationen auszutauschen. Diese fünf Nationen können eine Kraft sein, mit der man rechnen muss, ebenso wie ein Markt, der bereits geteilt und bereitwillig geöffnet wird. Und jedes Land hat ein Interesse daran.

Man darf nie zu enthusiastisch sein. Reibung liegt in der Natur der Sache. Aber diese Allianz besteht bereits, und sie auf die Wirtschaft auszudehnen (mit vielen bereits bestehenden Freihandelsabkommen) ist der logische nächste Schritt.
 

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