Golfregion in der Krise - Kampf um Stabilität, Macht und Hegemonie

Die Isolation Katars durch seine Nachbarstaaten wurde vielfach mit dem Konflikt zwischen dem schiitischen Iran und dem sunnitischen Saudi-Arabien erklärt. Doch weder das noch die Unterstützung terroristischer Gruppen sind das eigentliche Problem

Katars Hauptstadt Doha: wichtiger politischer und wirtschaftlicher Akteur in der Region / picture alliance
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Houssam Hamade ist freier Journalist und schreibt unter anderem für die taz und den Freitag.

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Parham Kouloubandi studiert an der Ludwig-Maximilians-Universität Orientalistik mit Fokus auf die iranische und arabische Welt. 

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Die Golfstaaten erleben derzeit eine schwere politische Krise. Der Emirat Katar, in dem 2022 die Fußballweltmeisterschaft stattfinden soll, wurde von den umliegenden Staaten, allen voran Saudi-Arabien, isoliert, Flüge wurden gestrichen, Webseiten blockiert. Katar wird vorgeworfen, Terroristen zu unterstützen. Dieser Konflikt ist weitaus mehr als ein kleiner Streit am Golf, er hat das Potenzial für eine regionale Krise. Die großen Mächte des Nahen Osten haben ihre Stellungen bezogen.

Doch geht es dabei wirklich um die Unterstützung von Terroristen, wie vorgeworfen wird, oder um einen ideologisch geprägten Konflikt um den schiitischen Iran und das sunnitische Saudi-Arabien, wie es einige westliche Medien darstellen? Weder noch: Beides spielt zwar eine Rolle, letztendlich lässt sich der Konflikt aber besser als Kampf um Stabilität, Macht und Hegemonie in der Region verstehen.

Eigentlich recht ähnlich

Ideologisch scheinen sich Katar und Saudi-Arabien, das eine führende Rolle bei der abgestimmten Aktion spielt, auf den ersten Blick im Kern sowieso recht ähnlich zu sein: Es sind die einzigen Staaten weltweit, in denen der Wahabismus Staatsreligion ist. Das saudische Kernland gilt außerdem als „Wiege“ des Islamismus und Riad gibt viel Geld dafür aus, seine spezifische Form des Islamismus – den Wahabismus – in die Welt zu verbreiten. Auch in Deutschland werden wahabitische Moscheen von Saudi-Arabien finanziell unterstützt.

Es ist außerdem äußerst fraglich, ob die Unterstützung terroristischer Gruppen durch Katar per se das Problem ist. Saudi-Arabien selbst wird immer wieder vorgeworfen, Terroristen, darunter auch den sogenannten Islamischen Staat, zu unterstützen. Der Spiegel bezeichnete Katar und Saudi-Arabien als „Brutstätten des Hasses“.

Der Auslöser

Offiziell war der Auslöser der Krise ein Artikel auf der Website der staatlichen Nachrichtenagentur Katars, in dem der amtierende Emir Katars Thamim bin Hamad zitiert wird. Er soll die aggressive Haltung der anderen Staaten gegenüber dem Iran kritisiert, diesen sogar als „stabilisierende“ regionale Macht bezeichnet und die Hamas als „legitimen Vertreter der Palästinenser“ angepriesen haben. Die katarische Regierung ließ den Artikel schnell löschen und behauptete, dass sie Opfer eines Hackerangriffes geworden sei.

Aber das änderte die Haltung der anderen Staaten nicht. Ginge es nur um vereinzelte Aussagen des Emirs, hätte das wohl keine so massive Reaktion der Nachbarn ausgelöst. Was steckt also dahinter und was hat Ägypten damit zu tun?

Saudi-Arabien fürchtet um Vormachtstellung

Die Differenzen zwischen Saudi-Arabien und Katar begannen 1996 mit der Amtsübernahme von Hamid bin Khalifa, dem Vater des jetzigen Emirs von Katar. Dieser nutzte den Ressourcenreichtum seines Landes, um außenpolitisch Einfluss zu gewinnen. Das kleine Emirat mit gerade 400.000 Staatsbürgern wurde mit der Zeit zu einem wichtigen politischen und wirtschaftlichen Akteur in der Region. Damit sah aber Saudi-Arabien, als die mit Abstand größte Nation auf der Arabischen Halbinsel, seine Rolle als Hegemonialmacht gefährdet.

Die Saudis betrachteten den 1981 gegründeten Golfkooperationsrat (GCC) als ein von ihnen angeführtes Bündnis. Dieses sollte die sechs Anrainer des Persischen Golfes zunächst vom Iran und später von einem aggressiven Irak abschirmen. Katars politischer Alleingang stellte die Führungsrolle Riads in Frage. Diese Rivalität zeigt sich beispielsweise an einer vor kurzem geäußerten Forderung saudischer Nachkommen des Ideologiegründers Abd al-Wahab: Katar solle seine Nationalmoschee umbenennen, da das Land vom Pfad des Wahabismus abgekommen sei. Ein ungeheurer Vorwurf.

Loyalitäten und Rivalitäten

Welches Interesse haben aber die anderen Akteure an der Isolierung Katars? Die Herrscherfamilie Bahrains ist in hohem Maße abhängig von Riad, wohl weil sie im Gegensatz zu den Nachbarstaaten innere Spannungen nicht mit einem großen Ressourcenreichtum abfangen kann. Das Land orientiert sich außenpolitisch nahezu vollständig an Riad.

Die sieben Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) konnten sich dagegen durch den Erdölboom und kluge Investitionen eine relativ stabile Position aufbauen. Sie sind darum gegenüber Saudi-Arabien deutlich unabhängiger als Bahrain. Das zeigt sich auch an Jemen, wo die VAE und die Saudis verschiedene Lager militärisch unterstützen.

Die VAE sind inzwischen eine Art Handelszentrum des Persischen Golfes. Insbesondere die Emirate Dubai und Abu Dhabi profitierten davon. Gemeinsam mit Oman sagt man ihnen die besten Beziehungen zum Iran nach, was sich unter anderem an der großen Zahl iranischer Unternehmen in den Emiraten widerspiegelt. Obwohl die Politik der VAE hier der saudischen zuwiderläuft, teilen sie die Differenzen gegenüber Katar. Vor allem sind sie wirtschaftliche Rivalen. Deutlich zeigt sich das an der Konkurrenz der Fluglinien Dubais und Dohas – Emirates und Qatar Airways.

Der wirkliche Grund: die Muslimbruderschaft

Zentral für die gegenwärtige Krise am Golf sind bei allen vier Staaten Katars Verbindungen zur Muslimbruderschaft. Sowohl Saudi-Arabien, Ägypten als auch die VAE sehen die diversen Abspaltungen der Muslimbrüderschaft als große, vielleicht die größte Gefahr für die innere Stabilität ihrer Staaten. Saudi-Arabien erklärte die Muslimbrüder 2014 sogar zur Terrororganisation.

Die Saudis definieren ihre Religion über den wahabitischen Klerus, der eng mit dem Königshaus verbunden ist. Die Muslimbrüder gründeten sich dagegen 1928 als eine Bewegung in Opposition zum ägyptischen König. Sie lehnen ein dynastisches Herrschaftsprinzip als unislamisch ab – und stellen damit die saudische Ordnung grundsätzlich in Frage. Die Furcht Riads vor einem Wiederaufleben eines Islam nach den Prinzipien der Muslimbruderschaft ist insofern wohl begründet.

Motiv für Ägypten

Dass Verbindungen zwischen Muslimbrüdern und Katar existieren, steht außer Frage. Das Emirat reglementierte die Aktivitäten der Bruderschaft im Land zwar, erlaubte ihnen aber, im Ausland relativ offen zu operieren. Dadurch erlangte Katar Einfluss auf die jeweiligen regionalen Entwicklungen. Sowohl in Libyen als auch in Syrien erstarkten Ableger der Muslimbrüder nach den Protestbewegungen von 2011.

Katar unterstützt unter anderem das islamistische Milizenbündnis „Libysche Morgenröte“, gemeinsam mit der Türkei. Ägypten und die VAE unterstützen dagegen den gegen die Islamisten kämpfenden ehemaligen Armeechef Khalifa Haftar im lybischen Tobruk. Andere islamistische Gruppierungen, wie die Hamas als ehemaliger Ableger der ägyptischen Muslimbrüder oder die Taliban, eröffneten repräsentative Büros in Doha. Die Unterstützung der Muslimbrüder durch Katar erklärt auch die Teilnahme Ägyptens an der Isolierung Katars. Ägypten hat ein relativ gutes Verhältnis mit dem Iran, bekämpft aber die Muslimbrüder. Saudi-Arabien steht auf Seiten der Militärregierung El-Sisis.

Der vorausgegangene Konflikt

Auch die VAE fürchten die Muslimbrüder. Sie starteten kurz nach ihrer Unabhängigkeit eine vorsichtige Demokratisierung, in deren Folge sich ein Ableger der Muslimbruderschaft etablierte, die al-Islah-Partei. Diese wurde ursprünglich von ägyptischen Dissidenten, die vor Repressalien aus ihrem Heimatland geflohen waren, gegründet und wuchs im Laufe der Jahrzehnte an Bedeutung und Größe. Nachdem ihre Anhänger begannen, die Emirate zu kritisieren und teils die Ordnung im Staat in Frage zu stellen, änderte sich die Politik der VAE: Die Islah wurde 2014 endgültig verboten. Mehrere Verfahren wurden gegen angeblich militante Mitglieder gestartet.

Inklusive Bahrain sehen alle vier Staaten Katar schon lange als Verbündeten der Muslimbrüder an. Das provoziert Spannungen. Diese entluden sich im März 2014: Damals zogen Saudi-Arabien, Bahrain und die VAE ihre Diplomaten aus Katar ab und unterbreiteten Doha eine Liste mit Forderungen, die im Kern auf ihre Verbindungen mit der Muslimbruderschaft abzielten. Nach achtmonatiger Eiszeit zwischen den Staaten kam es zu einer Einigung, in deren Folge Katar Zugeständnisse machte. Unter anderem sollten Muslimbrüder, die in Saudi-Arabien und den VAE gesucht waren und in Katar Schutz fanden, ausgewiesen werden. Dieser Konflikt war ein Vorbote der jetzigen Krise. Scheinbar erwiesen sich die versprochenen Konzessionen Dohas am Ende als leere Versprechen, weswegen die drei Golfstaaten, nun zusammen mit Ägypten, eine neue Offensive starteten. Diesmal allerdings mit schwereren Geschützen.

Allianz mit großen Differenzen

Zu erwarten ist, dass die hier geformte Allianz zwischen Ägypten, Saudi-Arabien, Bahrain und den VAE die politische Lage in Syrien, Libyen und Jemen stark beeinflussen wird. Fraglich ist aber, wie stark diese Allianz wirklich ist. Die vier Staaten eint mit dem Problem Katar ein gemeinsames Interesse. Wie aber gezeigt wurde, gehen andere Interessen der jeweiligen Staaten an vielen Punkten weit auseinander. Ägypten hat starke Differenzen mit der Türkei, Saudi-Arabien mit dem Iran, die VAE brüskiert Riad im Jemen. Sowohl Ägypten wie die VAE haben insgesamt relativ gute Beziehungen zum Iran. Bahrain steht derzeit unter großem innenpolitischen Druck.

Die Idee einer „arabischen Nato“, wie sie US-Präsident Donald Trump ins Spiel gebracht hat, scheint insofern kaum Substanz zu haben. Insgesamt zeigt sich, dass die gegenwärtige Krise am Golf sich nicht ausschließlich mit einem ideologisch oder religiös begründeten Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien erklären lässt. Vielmehr spielen konkrete und teils wohlbegründete Interessen eine entscheidende Rolle.

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