Flüchtlingspolitik - Dealen mit Erdogan?

Der Militärputsch in der Türkei ist auch für Angela Merkel pikant. Sie hat sich in der Flüchtlingspolitik vollkommen auf Erdogan verlassen. Ihr Pakt wirkt nun noch unappetitlicher. Ein Kommentar

Angela Merkel erweist Reccep Tayyeb Erdogan noch im Mai die Reverenz / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Nehmen wir für einen Moment an, die derzeitige Türkei bewürbe sich um eine Mitgliedschaft in der Nato und/oder der Europäischen Union. Die Entscheidung stünde fest, noch bevor der Brief in Brüssel angekommen wäre.

Nach dem seltsamen Putsch und Recep Tayyip Erdogans unmittelbarer Säuberung in Armee, Justiz und Verwaltung geht es um eine andere Frage: Wie verfährt man mit einem zunehmend autokratischen Staatspräsidenten, der sich auf die Unterstützung seines Wahlvolkes berufen kann und von dem man sich in eine unselige Abhängigkeit hat bringen lassen?

Der so genannte Türkei-Deal, der auf Betreiben von Bundeskanzlerin Angela Merkel vor einigen Wochen ausgehandelt wurde, nahm sich zunächst wie eine ebenso charmante wie perfide Idee aus. Für jeden Flüchtling, der es übers Mittelmeer schafft (und zurückgeschoben wird), nimmt die EU (genauer: Deutschland) einen Flüchtling aus türkischen Lagern auf. Dieser Menschentausch soll den Schleppern das Handwerk legen und den Migranten den Antrieb nehmen, die lebensgefährliche Überfahrt zu wagen.

Der Deal hatte von Anbeginn einen unappetitlichen Beigeschmack, wie das bei Deals eben so ist. Vor dem Hintergrund des Putsches rückt er in noch fahleres Licht.

Merkel in der Klemme

Natürlich kann man sich die Staats-und Regierungschefs nicht aussuchen, mit denen man es im Weltgeschehen zu tun hat. In Russlands Staatspräsidenten Wladimir Putin und dessen türkischen Pendant Erdogan hat es Europa, hat es die Bundeskanzlerin gleich mit zwei Schlüsselfiguren zu tun, die es mit Skrupel nicht so haben und denen die Demokratie westlicher Spielart nicht eben zum Vorbild dient.

Es ist atemberaubend, nebenbei bemerkt, wie gerade diese beiden Player im aktuellen Weltgeschehen von scheinbar spinnefeind auf gut Freund umstellten. Gerade noch war ein abgeschossener russischer Kampfjet durch die Türkei ein möglicher Auslöser für einen Nato-Bündnisfall. Inzwischen hat ein Entschuldigungsbrief von Erdogan an Putin die beiden zu besten Freunden gemacht. Es gilt das Prinzip: Der Gegner meines Gegners ist am besten mein Partner. Auch wenn er mal einen Flieger und zwei Piloten von mir abgeschossen hat.

Angela Merkel ist nun in einer Lage, die der Brite „Catch 22“ nennt. Catch 22 ist das Gegenteil einer Win-Win-Situation, eine Lage, in der alles, was man tut, falsch ist. Das eine ist nur möglicherweise etwas falscher als das andere. Kurz vor dem Jahrestag ihres Alleingangs vom 4. September 2015, der Grenzöffnung für die Flüchtlinge aus Ungarn, steht die deutsche Kanzlerin in der Flüchtlingsfrage nun ohne Partner in der EU da und mit einem zwielichtigen Partner am Bosporus. Kein Wunder, dass ihr Koalitionspartner SPD darum bemüht ist, bei dem Thema ein paar Meter Abstand zu ihr zu nehmen.

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