Europäische Verteidigungsunion - Zeit für ein Europa von unten

Brexit, Flüchtlingskrise und erstarkende Rechtspopulisten setzen Europa zu. Deutschland und Frankreich wollen darauf mit einer engeren militärischen Zusammenarbeit reagieren. Doch eine weitere Vertiefung der EU wäre die falsche Antwort

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen mit ihrem französischen Amtskollegen Jean-Yves Le Drian / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Das organisierte Europa ist derzeit auf der Suche nach Sinn. Der Brexit markiert einen Einschnitt. Der Beschluss der Briten, die europäische Union zu verlassen, hat das Bündnis erkennbar traumatisiert. 

Auf dieser Suche haben die Gründerstaaten und ihre Regierungen eine alte Idee wiederentdeckt, die nun einen neuen Namen trägt, beziehungsweise mit einem neuen Kürzel versehen wird. EVU das sind die Versalien, die Resteuropa ohne die britische Insel ein neues strategische Ziel ebnen sollen.

Europäische Verteidigungsunion heißt das ausbuchstabiert, und die Idee bedeutet Folgendes: Offenbar haben wir, die Regierungen, ein Problem damit, unseren Bevölkerungen den Sinn dieses Verbundes klar zu machen. Offenbar sind Frieden und Wohlstand nicht länger ausreichend. Beide sind hervorgegangen aus der Überlegung, zunächst mit Kohle und Stahl die beiden Produkte wirtschaftlich zu vereinigen, aus denen der Krieg gemacht ist. Was aber bietet sich an? Ein Verteidigungsbündnis gegen das, was da auf uns zukommt.

Die EVU ist eine Mogelpackung

Die EVU soll also den verunsicherten EU-Bevölkerungen zunächst das Gefühl geben, dass gemeinsam ein militärischer Schutzwall gegen die unkontrollierte Zuwanderung errichtet werden soll. Das, so das Kalkül, holt die Menschen wieder ab und lässt sie all die Überregulierungen aus Brüssel vergessen, über die sie sich teilweise völlig zu Recht aufregen.

Diese EVU, deren geistiger Vorgänger GASP heißt, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, ist aber eine Mogelpackung. Jedenfalls wenn sie nur als Baustein für eine Festung Europa begriffen und politisch verkauft wird. Denn am Ende steht da nicht nicht die Sicherung der Außengrenzen. Am Ende einer Europäischen Verteidigungsunion steht eine gemeinsame Armee. Das muss jedem klar sein, der diesen Weg beschreitet.

Militärische Einigkeit ist schwer vorstellbar

Nicht, dass das per se eine falsche Idee wäre. Sie ist vor Jahren auch schon mal von Bundeskanzlerin Angel Merkel öffentlich als erstrebenswert bezeichnet worden. Wenn mehrere Länder nicht nur die Währung, sondern auch noch die Armee teilen, so belegen sie damit: Sie vertrauen einander enorm, wenn sie existenzielle Dinge wie Geld und Sicherheit vergemeinschaften.

Aber genau an diesem Vertrauen fehlt es zur Zeit. Der Brexit und die Fliehkräfte in der Flüchtlingsfrage lassen es schlechterdings unmöglich erscheinen, sich jetzt Folgendes vorzustellen: Alle dann 27 Mitglieder stehen vor der drängenden Frage einer Auslandeinsatzes dieser gemeinsamen Armee und müssen nach dem Einstimmigkeitsprinzip beschließen: Machen oder bleiben lassen?

Europa muss von unten wachsen

Der Autor dieser Zeilen war auch einmal voller Hoffnung auf und Befürwortung für die Vereinigten Staaten von Europa. In den Vereinigten Staaten von Europa wären eine solche Armee und ein gemeinsamer Beschluss vorstellbar gewesen. In der realen EU-Welt dieser Tage nicht. Die vergangenen 20 Jahre ist das Falsche vorangetrieben und gekaufte Zeit nicht genutzt worden. Diesen Befund kann man beklagen, man muss ihn aber realistischerweise für die EU-Politik der kommenden Jahre zugrunde legen. Deshalb kann die Antwort auf den Brexitschock und den Migrationsdruck nicht eine Verteidigungsunion sein, die in eine gemeinsame Armee und damit noch mehr Vertiefung führt.

Die EU ist zur Zeit wie eine Hecke. Sie muss jetzt erstmal zurückgeschnitten werden, bevor sie wieder von innen her grünt. Und das ist das Entscheidende: von innen, von den Bevölkerungen her. Die Zeit ist vorbei, in der man die 500 Millionen Menschen auf dem Kontinent zu ihrem Glück zwingen konnte.          

Es ist Zeit für eine ganz andere EVU. Es ist Zeit für ein Europa von unten. 

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