Europa - Aufatmen ist nicht

Österreich hat sich für einen grünen Bundespräsidenten entschieden, Italien das Verfassungsreferendum des links-liberalen Ministerpräsidenten Renzi aber abgelehnt. Was heißt das nun für Europa? Eines ist sicher: Die EU ist noch lange nicht aus der Krise raus

Van der Bellens Sieg war alles andere als deutlich. Ein „Signal gegen den Rechtsruck“ sieht anders aus / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Ist Europa gestern endgültig gescheitert? Oder hat es, im Gegenteil, gezeigt, dass es seine Zukunft nicht im Unheil einer Renationalisierung sieht? Die Ausgänge der Abstimmungen in Österreich, wo ein linksliberaler Kandidat die Präsidentschaftswahl gegen einen sogenannten Rechtspopulisten gewann, und in Italien, wo ein ebenfalls linksliberaler Ministerpräsident sein Verfassungsreferendum verlor, geben Anlass zu den üblichen medialen Übertreibungen. Aber weder wäre Europa untergegangen, hätte Hofer gegen Van der Bellen doch gesiegt. Noch wird die EU zugrunde gehen, weil die italienischen Bürger mehrheitlich gegen eine Reform des Zweikammern-Systems gestimmt haben.

Das Problem ist eher eine Verfasstheit der Europäischen Union, die es inzwischen erlaubt, jeden Urnengang in einem Mitgliedsland zu einer Schicksalswahl für den ganzen Kontinent hochzujazzen. Und wenn jetzt gleich schon wieder etliche Spitzenpolitiker in ganz Europa ein kollektives „Aufatmen“ vermelden, weil die Österreicher sich derart klar gegen den Rechtspopulismus positioniert hätten, dann klingt das sehr unangenehm nach einem „Weiter so!“ und „Jetzt erst recht!“.

Dabei war, erstens, Van der Bellens Sieg alles andere als deutlich – es gehört schon viel Kühnheit dazu, eine knappe Mehrheit von rund 52 gegen rund 48 Prozent zu einem Triumph umzudeuten. Und warum sollte, zweitens, von Österreich ein „Signal gegen den Rechtsruck“ ausgegangen sein? Von einem Land also, in dem die Partei des rechten Kandidaten Hofer bereits vor 16 Jahren an der Regierung beteiligt war?

Kritik an der EU ist berechtigt

Tatsächlich dürften weder alle Wähler Van der Bellens uneingeschränkte Befürworter einer EU in ihrer derzeitigen institutionellen Ausprägung sein. Noch dürfte jene Mehrheit der Italiener, die gegen Renzis Reformvorlage gestimmt haben, in toto aus glühenden EU-Hassern bestehen, die am liebsten so schnell wie möglich die Gemeinschaft verlassen wollen. Denn die meisten Bürger der Europäischen Union wissen durchaus, was sie an ihr haben – von den vier Grundfreiheiten über weitgehende Rechtssicherheit bis hin zu einer generell ausgeprägten Benutzerfreundlichkeit. Schon deswegen ist es absurd, wenn politische Eliten ständig den Untergang Europas beschwören, sollten die Bürger hier und da nicht so wollen, wie man es von ihnen erwartet.

Denn natürlich existieren in der EU trotz ihres engmaschigen Netzes aus Institutionen erhebliche Defizite. Die Bürger erkennen dies und erwarten Abhilfe. Wenn diese nicht erfolgt, dann schrammt irgendwann eben ein Kandidat wie Hofer mit seinen EU-skeptischen Positionen nur äußerst knapp an einer absoluten Mehrheit vorbei. Dann wird auch Renzi in seinem Land abgestraft – mögen die Folgen für Italien noch so problematisch sein. Es ist der Protest gegen ein teilweises Funktionsversagen der politischen Organisation in einem Kontinent, von dem alle wissen, dass er derzeit sehr weit unter seinen Möglichkeiten unterwegs ist.

Die drei Hauptprobleme Europas

Der sogenannte Rechtspopulismus europäischer Prägung, also die oftmals leicht verklärte Rückbesinnung auf Nationalstaaterei, speist sich im Wesentlichen aus drei Quellen: aus dem Gefühl vieler Menschen, die Kontrolle über ihr politisches Leben verloren zu haben, weil die Gesetzgebungs- und Entscheidungsverfahren im Gestrüpp zwischen den nationalen Parlamenten und Brüssel kaum noch nachvollziehbar sind. Zum zweiten, weil die EU nicht in der Lage ist, ihre Außengrenzen gemeinschaftlich gegen den steigenden Migrationsdruck aus Afrika und dem Nahen Osten zu schützen (eine Jahrhundertaufgabe) und es nicht einmal schafft, sich ein einheitliches Asylrecht zu geben. Sowie, drittens, aus den desaströsen wirtschaftlichen Verwerfungen, für die der Euro als unausgegorene Gemeinschaftswährung an den südlichen Rändern Europas sorgt. Dass gerade der letzte Punkt in Deutschland von fast allen Parteien immer noch kleingeredet wird, ist übrigens ein Skandal von historischer Dimension.

Eine Patentlösung zur Heilung der europäischen Malaise existiert selbstverständlich nicht. Aber dass unser Kontinent seine Probleme überwunden hätte, bloß weil in Österreich der Kandidat der FPÖ knapp gescheitert ist, kann nur glauben, wer Teufelsaustreibung für eine Behandlungsmethode gegen Organversagen hält. Eines aber ist ziemlich sicher: Eine EU, die sich konsequent am Subsidiaritätsprinzip orientiert und mit voller Kraft jene Aufgaben angeht, die nur auf übernationaler Ebene gelöst werden können und müssen, bräuchte einen zunehmenden Verlust an Vertrauen und Legitimität nicht zu fürchten. Dann hätte bald auch das Geheule um den sogenannten Rechtspopulismus ein Ende.

Aber wahrscheinlich muss es erst noch schlimmer kommen, bis aus dieser Erkenntnis auch Taten erwachsen.

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