EU nach Trump und Brexit - Ground Zero des Multilateralismus

Nach den US-Wahlen und dem Brexit steht die Europäische Union ziemlich allein vor einem Berg von Aufgaben. Jetzt gilt es, endlich Verantwortung für die internationale Politik zu übernehmen

Wenn die EU nicht aufpasst, geht es bald stufenweise abwärts / picture alliance
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Autoreninfo

Dr. Thomas Henökl ist Senior Researcher am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn und Associate Professor an der Universität von Agder, Kristiansand in Norwegen. Zuvor war er in verschiedenen Funktionen für die EU Kommission in Brüssel und EU-Botschaften in Afrika und Asien tätig.

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Den Kampf für „eine multilaterale regelbasierte Weltordnung“ schrieb sich die Europäische Union unlängst in ihre Außenpolitik-Strategie. Ein durch Krisen zerrüttetes Europa steht nun mit diesem Bestreben ziemlich alleine da und – so sieht es aus – auf verlorenem Posten. Nach den US-Wahlen vom 9. November 2016 droht nun mit der Amtsübernahme durch Donald Trump ein politischer Ground Zero des Multilateralismus.

Herbe Rückschläge sind in allen Bereichen der internationalen Kooperation von Sicherheitspolitik und Krisenmanagement, der Klima- und Entwicklungspolitik, des Welthandels und Global Governance zu erwarten. Während die EU sich auf einen aufreibenden Rosenkrieg mit Großbritannien, einem zentralen Mitgliedsstaat und bisher eine wichtigen Stütze der internationalen Zusammenarbeit, einstellt, steht die europäische Politik vor einem Berg von Aufgaben.

Neben den wirtschaftlichen und sozialen Problemen, der Sprengkraft des Migrationsthemas und der anhaltenden Gefahren für die Eurozone, muss die EU sich gleichzeitig um neue Partner für die multilaterale Kooperation bemühen und die eigenen Anstrengungen zur Bewältigung globaler Herausforderungen gerade in der Außen- und Verteidigungspolitik massiv verstärken, um nicht den Rest ihrer Glaubwürdigkeit und Anziehungskraft einzubüßen. Eine Position des Ausgleichs und der Vermittlung zwischen den USA und China ist nur ein erster wichtiger Schritt. Mittelfristig wird Europa mehr Verantwortung für die internationale Politik und auch einen substantiell größeren Anteil an den Kosten dafür tragen müssen.

Der Stärkste ist am mächtigsten allein?

Bei allen Deuteleien der „Trumpologen“, bei denen seit der Präsidentschaftswahl in den USA eine Hochkonjunktur des Entsetzens herrscht, und trotz der Beschwichtigungen der „Trumpologeten“, die noch auf eine Bekehrung vom Saulus zum Paulus des neuen Präsidenten hoffen, ist doch mittlerweile eines ziemlich klar: Der naive Unilateralismus, den die antretende US-amerikanische Regierung an den Tag legt, wird sich für Bestrebungen der transnationalen Zusammenarbeit und einer aufkeimenden globalen Gemeinwohlpolitik nicht gerade als förderlich erweisen.

Die jüngsten Interview-Aussagen Trumps sowie die Auswahl seines Kabinetts und seiner engsten Berater lassen vielmehr befürchten, dass sich die künftige US-Regierung multilateralen Kooperationsbestrebungen mit aller Vehemenz entgegenstemmen könnte. Die Schockwellen des reaktionären Polit-Tsunami in den USA sind bereits und werden noch in aller Heftigkeit in nahezu allen Feldern der internationalen Politik zu spüren sein.

Sorgenkind Trump

Die Wahl Trumps bedeutet mehrere außenpolitische Rückschläge, die von  der Abkehr von Freihandelsabkommen und Klimaverhandlungen über die Vergrößerung der Gefahr eines Kräftemessens mit China bis hin zur Infragestellung der Nato-Partnerschaft reichen. Doch auch sein Weltbild bietet Anlass zur Sorge: Insbesondere seine respektlose Haltung gegenüber Frauen und Minderheiten, seine unverantwortliche Laisser-Faire-Mentalität gegenüber Despoten und Autokraten, sein ausgewiesenes Desinteresse an Armutsbekämpfung und Entwicklung, wie auch sein populistischer Stil der Manipulation und Polarisierung sind den Zielen der Europäischen Union entgegengesetzt. 

Trumps skrupelloser Machtpoker mit dem Protest-Kapital, das sich aus sozialen Ungleichheiten sowie der grassierenden Medieninkompetenz unter den US-Amerikanern speist, und seine Rücksichtslosigkeit im Verfolgen ökonomischer Einzelinteressen werden jedoch die Kluft zwischen den benachteiligten Massen und den Reichen nicht nur in den USA, sondern weltweit tendenziell weiter vergrößern.

Für Europa bedeutet dies auch, dass es einsamer auf der Weltbühne wird und die Reihen dünner im Kampf für den freien Handel, die globale Entwicklung, Demokratie, Menschenrechte, wie auch in der Klima-, Migrations- oder der nachhaltigen Wirtschaftspolitik. Während bereits spekuliert wird, ob die Haltung der neuen US-Regierung etwa zum Transpazifischen Handelsabkommen (TPP) nicht vielleicht sogar eine Chance für Europa bedeuten könnte, fragen nicht nur Japaner und Koreaner, wie sich Protektionismus und eine Verschlechterung der Beziehungen auf die politische Ordnung und Sicherheitslage in der Region und schließlich auf Wachstum und Wohlstand auswirken.

In den Verwirrungen seiner Twitterpolitik stellte Trump zumindest klar, sich das militärische Engagement der USA in Zukunft teurer bezahlen zu lassen. In Europa, vor allem in den baltischen Staaten und Skandinavien aber genauso in Polen und Deutschland, ist die Aufweichung der nordatlantischen Bündnistreue schlichtweg ein Schreckensszenario.

Brüssel sitzt in der Klemme

Zwischen dem erstarkten Selbstbewusstsein Wladimir Putins als Trumps Mentor, der wachsenden Unberechenbarkeit der Türkei und der anhaltendenden Terrorgefahr auch aufgrund der Dauerkrise in der EU-Nachbarschaft, sitzt Europa in der Klemme. Spätestens seit Bekanntwerden der russischen Beeinflussungsversuche während der US-Wahlen und der Enthüllung der Existenz eines belastenden Trump-Dossiers, dämmert auch wohlwollenden Beobachtern, dass Trump ein Präsident von Putins Gnaden ist und weithin zu einer Marionette des Kremls verkommen könnte.

Die Anzeichen häufen sich, wonach die Reaktion in Europa auf diese prekäre Lage in einer stärkeren Gewichtung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik gegenüber anderen Bereichen seiner Außenbeziehungen bestehen wird. Zum Schutz der eigenen Freiheit und des Wohlstandes, so wird argumentiert, erwarten die Bürger eine Verschärfung der Gangart in Grenzmanagement und Migrationspolitik.

In einem Jahr wichtiger Wahlen in gleich mehreren europäischen Staaten werden sich die Politiker in ihren Rufen nach mehr Sicherheit gegenseitig übertönen wollen, während längerfristige Fragen der weltweiten nachhaltigen Entwicklung naturgemäß weniger lautstarke Fürsprecher finden werden.

Auch wenn es richtig ist, dass die EU eine engere Zusammenarbeit in Sicherheits- und Verteidigungsfragen sowie ein gemeinsames Grenzmanagement dringend braucht, so sollten dennoch die Reformen des Weltwirtschaftssystems, des Klimaschutzes und fairen Welthandels als wichtige Zukunftsthemen nicht vergessen werden.

Neue special relationship

Besorgnis und Ratlosigkeit also, wohin man blickt. Unter den Bedingungen extremer Verunsicherung wird sich die EU nun auch dem Austrittsprozess einer der drei großen Mitgliedsstaaten widmen müssen. Jenseits des Kanals zeichnet sich seit der Brexit-Rede Theresa Mays ab, wie hart der Kurs tatsächlich ist, den das Königreich in diesem unruhigen Fahrwasser setzen wird.

Noch vor seiner Vereidigung kündigte Trump an, möglichst schnell ein bilaterales Handelsabkommen mit Großbritannien abschließen zu wollen. Der britische Außenminister Boris Johnson war eigens für Gespräche in die USA gereist, um bei Trump dafür zu werben, obwohl offizielle Verhandlungen über ein solches Abkommen einen klaren Verstoß gegen EU-Recht darstellen. An jenes ist auch das Königreich bis zum formellen Ausscheiden aus der Union gebunden.

EU muss aufwachen

Ob die special relationship der Briten zu den Vereinigten Staaten unter Donald Trump eine Rückbesinnung auf den Glanz des Empire und die vage Drohung, die Insel zur Steueroase ausbauen zu wollen, genügen, um dem schweren internationalen Seegang zu trotzen, muss sich erst zeigen. Die Zeichen stehen auf Isolationismus, einem Trend, dem sich neben den USA und dem UK auch noch andere Industrienationen anschließen könnten.

Dies stellt die multilateralen Bemühungen der EU – und somit zugleich Deutschlands – vor enorme Herausforderungen, auch und gerade in der internationalen Kooperation. Die Neugestaltung der Europäischen Entwicklungspolitik, deren Effizienz durch Fragmentierung und Inkohärenz massiv beschnitten ist, muss endlich als ein wichtiges Ziel im Sinne der gemeinsamen Außenpolitik verstanden und in Angriff genommen werden.

Künftig werden die Europäer aber auch wachsamer und entschlossener sein müssen: Solange die EU militärisch zahnlos und die sie formenden Demokratien in der internationalen Politik besonders entscheidungsschwach sind, kann Moskau sich darauf verlassen, dass seine Aktionen folgenlos bleiben. Nach einer Reihe von Kriegen in Tschetschenien, Georgien und der Ukraine, hat sich Putin auch jenseits der Sphäre des früheren Sowjetreiches in Syrien höchst erfolgreich betätigt.

Gemeinsam handeln

Wegen fehlender Linien in der Migrations,- aber auch in der Außen- und Sicherheitspolitik und der Abwesenheit jeglicher Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten genügt es Russland, Unfrieden zu stiften und dadurch verzweifelte Menschen über das Mittelmeer zu treiben und dem Zerfall der Union zuzusehen. Das Vakuum, das eine schwache EU-Nachbarschaftspolitik in der Region hinterlassen hat, könnte durch eine verfehlte US-Politik unter Trump oder einen bad deal mit Putin leicht zu einem schwarzen Loch werden.

Unter der Führung der Außenbeauftragten Federica Mogherini müssen die EU-Außenminister und die Regierungschefs ein starkes Signal auch für eine gemeinsame und nachhaltige Entwicklungspolitik und Fluchtursachenbekämpfung setzen und hierfür die progressiven Kräfte in Europa bündeln.

Dazu gilt es vor allem, nach Wegen für die weitere Einbindung Großbritanniens als einem der wichtigsten Partner in der Europäischen Außenpolitik zu suchen, wie es auch May in ihrer Rede andeutete. Ein drohender Vollausstieg der Brexit-Hardliner in der internationalen Kooperation sollte nach Kräften verhindert werden, denn dies wäre ein besonders schmerzhafter Verlust – für Europa und für die Welt.

Angesichts der Fliehkräfte aus Populismus und EU-Skepsis braucht Europa gemeinsame Antworten auf die wirtschaftlichen und sozialen Probleme, die den Bestand der Union akut bedrohen. Europa braucht eine gerechtere Verteilung der Lasten aus der Flüchtlingskrise wie auch neue Partner für die multilaterale Zusammenarbeit. Die Europäer werden jedenfalls, wenn sie nicht unter die geopolitischen Räder kommen wollen, deutlich mehr für die Stabilisierung einer aus den Fugen geratenen Welt tun müssen.

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