Recep Tayyip Erdogan - Immer weiter nach rechts

Recep Tayyip Erdogan hat sofort nach seinem Sieg bei der Türkei-Wahl angekündigt, das Land nach seinen Vorstellungen umzubauen. Eine Schlüsselrolle kommt den sogenannten „Grauen Wölfen“ zu. Das Land wird nationalistischer und islamischer. Die Opposition kann immer weniger dagegen tun

Anhänger von Erdogan in Istanbul: Religiös-nationalistische Mehrheit / picture alliance
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Autoreninfo

Cem Sey, 54, ist ein freier Journalist, der für deutsch- und türkischsprachige Medien arbeitet. Für Medien wie Cumhuriyet, CNN Türk, Deutsche Welle und BBC war er als Korrespondent tätig.

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Seit Sonntagabend ist in der Türkei alles anders, und genau deshalb wird alles so bleiben wie es ist. Die Partei von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan verlor acht Prozentpunkte, aber er gewann fünf Jahre, in denen er weiter regieren wird. Das ist ein halbes Jahrzehnt Zeit, um die Demokratie in der Türkei vollständig zu demontieren und ein autokratisches Ein-Mann-System in die Ruinen von Atatürks Republik zu rammen. Die Demokraten der Türkei müssen sich auf eine lange Durststrecke vorbereiten. Eine, die noch lange nach Erdogans Abgang die Lebenssäfte aus der bei weiten nicht perfekten, aber recht lebendigen Republik saugen wird. 

Wahlergebnis ohne Überraschungen

Das Wahlergebnis, nervös erwartet, bot wenig Überraschung. Erdogan ist weiterhin der beliebteste Politiker des Landes. Bei der Abstimmung zum neuen Staatspräsidenten erhielt er 52,5 Prozent der Wählerstimmen. Die Wahl war damit schon in der ersten Runde entschieden. Hoffnungen verpufften schnell, es möge wenigstens zu einer Stichwahl in Runde zwei kommen, und damit zu einer Verlängerung des Machtkampfes, die den selbstherrlichen Erdogan etwas bescheidener machen könnte. Auch die parallel stattfindenden Parlamentswahlen verliefen gemäß den Voraussagen: Erdogans „Partei der Gerechtigkeit und Entwicklung“ (AKP) verlor deutlich. Im Bündnis mit der faschistoiden „Partei der Nationalen Bewegung“ (MHP), in Deutschland bekannt als die „Grauen Wölfe“, behält die AKP jedoch weiterhin die politische Mehrheit.

AKP und MHP, ein islamistisch-nationalistisches Bündnis, sind zusammen allerdings nicht so stark, wie es Erdogans Strategen erhofft hatten. Geschwächt wurden sie bei der Wahl am Sonntag durch die Unterstützung für die prokurdische, linke „Demokratische Partei der Völker“ (HDP).Sie hat nicht nur den Wiedereinzug ins Parlament geschafft, sondern auch ihren Stimmanteil im Vergleich zu den letzten Wahlen (in 2015) leicht ausgebaut. Dabei steht sie unter permanentem Druck. Erdogan wirft der Partei vor, Terror zu unterstützen. Ihre beiden ehemaligen Vorsitzenden sowie der charismatische Chef Selahattin Demirtas und tausende ihrer Funktionäre sitzen seit Monaten im Gefängnis – viele ohne rechtsgültige Urteile. Nahezu allen wurde als Vergehen nicht weiter als ihre Reden oder Tweets vorgehalten. Als nun drittstärkste Kraft zog sie dennoch erneut ins Parlament in Ankara ein und könnte nun der Dorn im Auge der Konservativen werden. Dennoch spiegelt das das Ergebnis vom Sonntagabend wider, was Türkei-Beobachter schon längst spürten: Das Land, einst laizistisch und an Europa orientiert, ist zutiefst nationalistisch und religiös geworden. 

Wähler wandern nach rechts

Zusätzlich ist bei derWahl etwas noch erschreckenderes offenbar geworden. Das zeigt ein Blick auf die Wählerwanderungen: Die AKP verlor rund zehn Prozent ihrer Stammwähler. Die meisten davon gaben jetzt dem nationalistischen Bündnispartner MHP ihre Stimme. Gleichzeitig liefen fast genauso viele MHP-Wähler über zur neugegründeten „Guten Partei“. Die „Gute Partei“ ist eine Abspaltung der MHP, somit blieb das Lager unterm Strich gleich stark. So bewirken sie, dass Erdogans zwar im Amt bleiben wird, seine Partei, die AKP, mit ihrem Verlust von acht Prozentpunkten aber fortan an die Launen der Faschisten gekettet sein wird. 

Zwar ist das Bündnis nicht stark genug, um Verfassungsänderungen durchzusetzen. Doch Erdogan kann sich auf eine komfortable Mehrheit verlassen, wenn es in den kommenden fünf Jahren darum gehen wird, die notwendigen Gesetze dafür zu verabschieden, sein autoritäres Präsidialsystem in der Türkei zu verankern. In seiner Rede nach der Wahl zeigte sich Erdogan dessen bewusst. Die Nation habe die Richtung vorgegeben, sagte er in Istanbul. Nun trage er persönlich die Verantwortung für die administrative Umsetzung, und sein Bündnis für die legislative. „Das System wird nun geändert und wir werden das neue System schleunigst umsetzen“, sagte er.

Ultranationalisten als Schlüsselpartei

Devlet Bahceli, Chef der MHP, erklärte seine Ultranationalisten nun zur „Schlüsselpartei“. Seine Partei, die einem der NSDAP nicht unähnlichen Führerkult huldigt, habe von den Wählern den Auftrag erhalten, „auszubalancieren und zu kontrollieren“. Bahceli ließ keinen Zweifel daran, dass das Wahlergebnis ihn über Nacht zum Königsmacher der Türkei kürte. Ebenso wenig wie er seine Rolle versteht: „Wir werden unsere Aufgaben umgehend erledigen, um das neue System zu etablieren.“

Obwohl Erdogan von weiterer Demokratisierung sprach und den Bürgern ‚liberale Verhältnisse‘ versprach, erwartet die Opposition ein zäher Kampf um Demokratie und Rechtsstaat. Sie ist nicht nur schwach, sondern auch gespalten. Erdogan könnte, je nach Bedarf, versuchen, Teile der Opposition vorübergehend mit ins Boot zu holen. Auf Seiten der Opposition spülte die Wahl einen neuen Politiker auf die Szene: Muharrem Ince, der Kandidat der nationalistischen Linken, der „Republikanischen Volkspartei“ (CHP) wurde innerhalb nur weniger Wochen zum Shooting-Star und Hoffnungsträger seiner Partei.

Für Erdogans Gegner wird es noch schwerer

Im neuen Erdogan-Bahceli-Zeitalter der Türkei werden, so viel ist längst klar, liberale und demokratische Bürger sich den Ideologien der relativ kleinen religiös-nationalistischen Mehrheit zu fügen haben. Ohne wirklichen Rechtsstaat, ohne wirkliche Redefreiheit und ohne Toleranz für Andersdenkende. Erdogan kündigte bereits an, verbieten zu wollen, dass Inhaftierte für politische Ämter kandidieren, so wie es beim HDP-Kandidat Demirtas noch möglich war. 

In Erdogans Türkei werden künftig diejenigen, die an der Macht sind, sehr unbeschwert an der Macht bleiben können. Sie müssten nur ihren politischen Gegnern so etwas wie Terrorunterstützung vorwerfen und können sie dann einsperren lassen. Beweise sind nicht notwendig. 

Als Schwachstelle bleibt die Wirtschaft

Auch außenpolitisch hat der Autokrat nun freie Hand. Der Westen wird ihn kaum noch in die Ecke treiben können. Vielmehr wird Erdogan, das legen die vergangenen Jahre nahe, von den USA und der EU weiter hofiert werden. Doch Erdogan wird nun unberechenbarer denn je. Die MHP, auf die er nun angewiesen ist, ist der EU, dem Westen und der Nato gegenüber feindlich gesinnt. Ihr Programm steht für eine militaristische Politik gegenüber den Kurden und für eine expansionistische Politik in der Region. 

Damit bleibt Erdogans einzige echte Schwachstelle die Wirtschaft. Noch immer basiert sein Erfolg auf dem relativen Wohlstand seiner Klientel, sowie der wirtschaftlichen Stabilität und Kontinuität. Die internationalen Rahmenbedingungen, von denen auch die türkische Wirtschaft abhängig ist, sind jedoch andere geworden, seitdem die USA ihre Zinspolitik ändert und Protektionismus weltweit zunimmt. Doch mit den Kompetenzen, über die der Staatspräsident in der Türkei nun gesetzlich verfügen wird, wird es wesentlich einfacher, jegliche Unzufriedenheit in der Bevölkerung zu unterdrücken und politischen Widerstand im Keim zu ersticken.

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