Weltwirtschaftsforum in Davos - Macron übernimmt das Ruder

In Davos präsentierten sich Merkel und Macron als eingespieltes Team. Doch ihre Auftritte zeigen, dass Deutschland seine europäische Führungsposition langsam abtritt. Der neue starke Mann in Europa heißt Macron

Geballte Fäuste, dringlicher Blick: Macron kann mitreißen / picture alliance
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Yves Bellinghausen ist freier Journalist, lebt und arbeitet in Berlin und schreibt für den Cicero.

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Beim Weltwirtschaftsforum absolvierten Merkel und Macron vordergründig einen wunderbaren Paarlauf in den ostschweizer Alpen. Die beiden warben für mehr Freihandel und Globalisierung, mehr Klimaschutz, Europa und internationale Zusammenarbeit. Ihre Reden kamen gut an in Davos, das eine Chiffre für Globalisierung ist. Paris und Berlin sind sich einig, doch ihre Auftritte in Davos zeigten, wie unterschiedlich die beiden Partner sind. Die Vorzeichen in Europa haben sich verändert. Macron setzt zur Kür an, Merkel kann nicht mehr mithalten.

Denn Frankreich, das unter dem schwachen François Hollande zuweilen führungslos wirkte, erhebt wieder einen europäischen Führungsanspruch. „France is back!“, rief Macron während seiner Rede in Davos und erntete Applaus. Und tatsächlich suchte Macron in den vergangenen acht Monaten offensiv die internationale Bühne und rückt Frankreich wieder in den Blick der Weltöffentlichkeit. Er traf US-Präsident Donald Trump, Russlands Wladimir Putin und den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping und zeigte sich dabei sehr selbstbewusst. Das Time Magazine attestierte Macron schon im November, er wirke wie der künftige Anführer der freien Welt. Eigentlich ist das Merkels inoffizielle Amtsbezeichnung – doch die ist momentan nur geschäftsführend im Amt, Deutschland scheint mit sich selbst beschäftigt.

Politsuperstar versus geschäftsführende Kanzlerin

In Davos standen Merkel und Macron auf derselben Seite, erwähnten sich bei ihren Reden gegenseitig lobend und lagen doch weit auseinander. Der eine kam als gefeierter Superstar der liberalen Weltelite in die Schweiz. Die andere hatte zuletzt nicht viel Zeit für Außenpolitik und nahm sich Urlaub von der lahmenden Suche nach Regierungspartnern. Macron redete eine Stunde. Merkel keine halbe. Merkel redete selbstverständlich deutsch. Macron geschliffenes Englisch. Auch wenn er zwischenzeitlich ins Französische wechselte: Hier sprach jemand, der sein Publikum mitreißen wollte. Jemand, der das Selbstbewusstsein hat, klare Überzeugungen nicht zurückzuhalten. Bevor Macron mit seiner Rede begann, witzelte er herum. „Ich bin ja schon froh, dass Sie niemanden eingeladen haben, der den Klimawandel anzweifelt“, sagte er und schmunzelte. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sein Publikum verständig zu lachen begann. 

In seiner Rede gab Macron den Visionär: Er forderte einen Zehnjahresplan für Europa. Bis Jahresende solle der Plan für ein wirtschaftlich stärkeres, demokratischeres und sozialeres Europa ausgearbeitet sein. Er warnte vor dem rechten und linken Rand, die versprechen würden, den Wandel aufzuhalten. „Aber wir können den Wandel nicht aufhalten. Und manchmal, da müssen wir ihn sogar beschleunigen!“, sagte Macron wohl auch mit Blick auf den rechtspopulistischen Front National in Frankreich. 

Europa in der Sinnkrise, Deutschland gelähmt

Auch Merkel warnte vor Protektionismus, nur eben bei weitem nicht so wortgewaltig, wie der Franzose. Wenn die Mechanismen des internationalen Handels mal als „nicht reziprok oder fair“ empfunden würden, sagte Merkel, dann „müssen wir multilaterale Lösungen finden und nicht nationale“. Sie sprach davon, dass die Digitalisierung die größte Gefahr, aber auch Chance des 21. Jahrhunderts sei. „Die Gefahr, dass wir zu langsam sind und die Welt über uns hinwegrollt, während wir uns noch ganz philosophisch fragen, wem unsere Daten gehören, ist groß“, warnte sie. Es ist der Merkel-Duktus, der die vergangenen zwölf Jahre gut angekommen ist, zuhause, wie international. Aber die Zeiten scheinen langsam vorbei. Europa, das sich in einer tiefen Sinnkrise befindet, schaut fragend nach Deutschland. Aber die große europapolitische Rede, die viele erwartet haben, hielt Merkel nicht. Auf große Visionen oder Ideen warteten die Zuhörer vergebens. Vielmehr lobte sie Macron. Seine Wahl habe neuen Schwung gebracht. 

Und tatsächlich: In seiner Rede griff Macron zu dem Pathos, das ihm so liegt. Europa sei einzigartig, sagte er. Europa habe eine Balance aus Freiheit und Fairness, die es nirgendwo sonst auf der Welt gebe, nicht in den USA und auch nicht in China. Die Welt brauche ein starkes Europa als Vorbild. Wenn er von seinen Visionen sprach, dann ballte er die Fäuste. Wenn er von Europa sprach, dann formte er die Hände wie eine Schale, als halte er etwas ganz Kostbares vor sich in der Luft. Das Publikum applaudierte ihm. Vor, während und nach der Rede. Stehende Ovationen für Macron. Merkel bekam zuvor nur höflichen Beifall.

Der Anfang und der berühmte Zauber

Macron und Merkel sind enge Verbündete. Sie sind aufeinander angewiesen, wenn es darum geht, Europa zu reformieren. Dass Frankreich dabei wieder mehr ins Zentrum Europas rückt, dürfte deshalb in Berlin nicht für Verunsicherung sorgen. Trotzdem lässt Macron Merkel blass wirken. Sie hatte nur wenige Stunden vor ihm gesprochen. Pathos war noch nie ihr Stilmittel, aber gegen diesen frischen Macron wirkt sie wenig inspirierend. Und so nimmt auch die internationale Presse zum großen Teil Macron als treibende Kraft in Europa war: „Die deutsche Krise kann vielleicht durch Neuwahlen gelöst werden. Aber was sie für Europa bedeuten, hängt davon ab, wie Macron seine Karten spielt“, schreibt der Guardian. Macron strahle Selbstbewusstsein aus, Merkel dagegen Müdigkeit, heißt es in dem Artikel weiter.

Merkel ist seit zwölf Jahren im Amt, Macron nur seit acht Monaten. Jedem Anfang wohnt ja bekanntermaßen ein Zauber inne, wie Merkel schon bei Macrons Antrittsbesuch in Berlin sagte. Dass der junge Visionär nun das europäische Ruder von Merkel übernimmt, könnte Europa guttun und den lähmenden Stillstand auf dem Kontinent brechen.
 

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