Ein Plädoyer für Europa - Das schwere Los junger Europäer

Europas Jugendliche haben mit vielen Problemen zu kämpfen. Nur radikales Umdenken verspricht ihnen eine goldene Zukunft. Die Autorin Janne Teller plädiert dafür, dass die Jugend aufhört, oberflächlichen Idealen zu folgen

Jung sein in Europa ist nicht immer leicht / Illustration: Martin Haake
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Autoreninfo

Janne Teller ist eine vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin und Essayistin. Die gebürtige Dänin, Jahrgang 1964, war in den neunziger Jahren Beraterin für die EU.

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Eine Lobeshymne auf Europa? Das mag in Zeiten des Brexit anachronistisch anmuten. Aber gerade jetzt braucht es Europäer, die daran erinnern, was diesen Kontinent lebenswert macht und warum wir die Europäische Union brauchen. Bereits vor zwei Jahren veröffentlichte Cicero in seinem Jubiläumstitel die leidenschaftlichen Plädoyers zehn namhafter Autoren. Diese Texte aus unserem Archiv möchten wir in den kommenden zwei Wochen mit Ihnen teilen.
Für den zehnten und letzten Teil unserer Europareihe schreibt Janne Teller über Europas Jugend.

In Europa wächst eine Generation im Bewusstsein auf, mit schlechteren Lebensumständen konfrontiert zu sein als ihre Eltern. Junge Europäer müssen sich mit unterschiedlichsten Problemen auseinandersetzen: einem unumkehrbaren Klimawandel, verschmutzten Meeren, Überbevölkerung und einer überalterten Gesellschaft. Zudem steigt die wirtschaftliche Ungleichheit. Immigranten und Flüchtlinge, die – zu Recht – auf der Suche nach besserer Lebensqualität zu uns kommen, schwächen die europäische Infrastruktur. Die Einwanderung wird zunehmen, je mehr die wirtschaftliche Ungleichheit wächst. Außerdem rückt durch die Entwicklung neuer Medien die Privatsphäre der Menschen in den Hintergrund. Und die radikale Rechte in Europa gewinnt an Boden.

Eine schwere Jugend


Im Durchschnitt ist in Europa ein Viertel der jungen Menschen arbeitslos. Im Süden, in Griechenland, Süditalien und Spanien, sind es mehr als 50 Prozent. Junge Südeuropäer wandern aus, um im Norden Jobs zu finden. Zu Hause oder im Ausland müssen sich europäische Jugendliche einem starken Konkurrenzdruck unterwerfen. Sie beginnen, einem unnatürlich schnellen Rhythmus zu folgen, der sie dazu bringt, selbstzerstörerische Verhaltensformen zu entwickeln. Sie leiden unter Essstörungen, ritzen sich, nehmen Drogen, Antidepressiva und trinken sich bewusstlos. Andere werden von sozialen Medien, Arbeit und Schönheitsoperationen abhängig. Oder sie gehen in dem Stress ganz unter.
Selbstverständlich kann man über die unzähligen Möglichkeiten sprechen, die der europäischen Jugend heute geboten werden. Sie können in ganz Europa studieren und überall auf dem Kontinent arbeiten. Die Europäische Union hat sie stärker und reicher gemacht als den Großteil ihrer Altersgenossen auf der Welt. Aber all diese Gründe lassen in meinen Augen die Zukunft der europäischen Jugend nicht rosig erscheinen.

Eine schönere, spannendere Zukunft


Junge Europäer werden nur deshalb eine schönere, spannendere Zukunft haben, weil sie früher oder später begreifen werden, dass wir, sie, Europa und die Welt nicht so weitermachen können. Sie werden verstehen, dass Fortschritt aus einer zirkulären Harmonie des Gebens und Nehmens mit unserem Planeten entsteht und nicht aus einer Haltung des Plünderns und Wegwerfens. Sie werden begreifen, dass wir für alles, das wir in unserer Natur und unserer menschlichen Umgebung zerstören, irgendwann bezahlen.

Ich habe auf Reisen mit vielen jungen Europäern gesprochen. Ihre Haltungen haben mich sowohl traurig als auch hoffnungsvoll gestimmt. Viele waren frustriert, weil sie dem Leistungsdruck nicht entsprachen; gleichzeitig suchten sie nach einem tieferen Sinn in der heutigen Gesellschaft. Wir haben ihnen keinen Weg vorgegeben, deswegen liegt es in ihrer Hand, ihn zu finden.

Man kann das System nicht aufrechterhalten


Wenn die Jugend aufhört, zu oberflächlichen, leeren Idealen aufzuschauen, wird sie verstehen: Das Problem in unserem heutigen System liegt darin, dass man es nicht aufrechterhalten kann. Wenn sie begreifen, dass das Leben nicht nur aus kapitalistischem Wettbewerb besteht, werden sie einen sinnvolleren Weg finden.
Das ist der Weg in die goldene Zukunft, nicht nur der europäischen Jugend, aber Europas. Und hoffentlich auch der Welt.

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