Die Schweiz und der Steuer-Spion - Der wirkliche Skandal

Ein mutmaßlicher Schweizer Spion in der NRW-Finanzverwaltung ist aufgeflogen. Er sollte wohl herausfinden, wie das Land an die Steuersünder-CDs mit gestohlenen Kundendaten gekommen ist. In der Schweiz gilt das als Handel mit Diebesgut. Das eigentliche Problem aber liegt woanders

Für Raubzüge auf fremde Staatskassen trägt die Schweiz die Verantwortung, schreibt der Schweizer Frank A. Meyer / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

So erreichen Sie Frank A. Meyer:

Anzeige

Und es begab sich also zu der Zeit, dass der schweizerische Nachrichtendienst einen Spion über die Grenze nach Norden entsandte, um deutschen Steuerfahndern nachzuspüren, die ihrerseits deutschen Steuerbetrügern nachspürten, welche sie im Verdacht hatten, Schwarzgeldkonten bei Schweizer Banken zu unterhalten.

Was ist dazu zu sagen? Viele kennen noch das wunderbare Lied aus den dreißiger Jahren, eine Schnulze, einen Ohrwurm mit dem Titel „Das gibt‘s nur einmal“. Dessen erste Verse passen bestens zur aktuellen Agentenposse: „Wein ich? Lach ich? Träum ich? Wach ich?“

Ja, man greift sich an den Kopf. Wobei der Kopf in dieser Groteske offensichtlich nie eine Rolle spielte. Markus Seiler, Chef des schweizerischen Nachrichtendienstes, liefert dazu den Beleg mit seinem abgedroschenen Sätzchen: „Nachrichtendienstliche Arbeit ist kein Streichelzoo.“

Warum fällt dem Spionagechef zu seiner Agenten-Havarie ausgerechnet der Streichelzoo ein? Bei Streichelzoo denkt man an Kindergarten und bei Kindergarten denkt man an Kindsköpfe.

Heiligt der Zweck die Mittel? 

Damit muss sich die Öffentlichkeit abfinden: In die Geheimdienste verirren sich nun mal nicht die erleuchtetsten Geister – nicht in der Schweiz, nicht anderswo. Und so war denn auch der Schweizer Spion beschaffen, der jetzt der deutschen Polizei ins Netz ging: abenteuerlich beseelt – sonst nichts.
Aber worum geht es wirklich?

Es geht um den Ankauf von CDs mit Daten deutscher Steuerbetrüger. Die Datenträger wurden Schweizer Banken entwendet, sind also Diebesgut. Den Handel mit Diebesgut nennt man gemeinhin Hehlerei.

Allein das größte deutsche Bundesland Nordrhein-Westfalen kaufte für 19,4 Millionen Euro elf solche Compact Discs – und erlöste bei den darauf gespeicherten Steuerbetrügern 2,4 Milliarden Euro für die Staatskasse.

Dieser Handel mit Diebesgut ist aus Schweizer Sicht skandalös.

Ist er das? Oder könnte es gerade andersherum ein Skandal sein? Nämlich aus deutscher Sicht: Deutsche Steuerpflichtige entwendeten ihrem Staat Milliarden Euro, indem sie diese auf Schweizer Schwarzgeld-Konten versteckten. Genau: Sie bestahlen ihr eigenes Land.

Legitimer Rückkauf von Eigentum

Was also waren die abgezweigten, die verheimlichten Milliarden Euro? Diebesgut!
Und was war das Geschäft, das die Schweizer Banken mit diesem Diebesgut betrieben? Hehlerei!

Was schließlich ist der Kauf von Daten, die dem deutschen Fiskus Zugang zu diesem Diebesgut verschaffen? Rückkauf von Eigentum!

Genau darum geht es: Die deutschen Steuerfahnder holen zurück, was ihnen ohnehin gehört. Und müssen dafür Millionen ausgeben. Das ist der wirkliche Skandal!

Schämt sich die Schweiz dafür, dass sie über Jahrzehnte befreundete Nationen um Abermilliarden Steuersubstrat betrogen hat? Ist sie sich ihrer Schuld bewusst?

Bankgeheimnis als patriotisches Bekenntnis

Wieso die Schweiz? Die Schuldigen sind doch die Banken! Die Politik hat inzwischen dem Automatischen Informationsaustausch (AIA) zugestimmt. Die Banken müssen fremde Steuerbehörden über die Konten von Ausländern informieren, und zwar automatisch, nicht erst auf Anfrage. Der internationale Druck hat die Schweiz zur Räson gebracht.

Für die Raubzüge auf fremde Staatskassen trägt die Schweiz die Verantwortung, denn sie betrieb das Betrugsspiel ganz bewusst als Nation: Das Bankgeheimnis war ihr Instrument dazu. Es wurde überhöht zum patriotischen Bekenntnis – zum modernen Rütlischwur.

Da wollten die Dunkelmänner des Nachrichtendienstes auf keinen Fall hintanstehen – und inszenierten ihr peinliches Kasperletheater.
Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.

Anzeige