Terminhandel an deutschen Botschaften - Eines Rechtsstaates unwürdig

Flüchtlinge aus Syrien, die vor März 2016 anerkannt wurden, haben einen rechtlichen Anspruch, ihre Familien nach Deutschland zu holen. Doch die Auslandsvertretungen in der Region sind mit den bürokratischen Prozessen völlig überfordert. Und skrupellose Terminhändler nutzen jede Schwäche sofort aus

Manche flüchteten vor dem Bürgerkrieg in Syrien mit der ganzen Familie / picture alliance
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Autoreninfo

Mareike König hat Psychologie und VWL an der Universität Mannheim studiert. Sie ist freie Journalistin und beginnt im Herbst ihren Master in Politischer Psychologie an der Universität Belfast.

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Saed* ist anerkannter Flüchtling aus Syrien und lebt in Deutschland. Als er den Termin für seine Familie von der Botschaft in Beirut erhielt, glaubte er an einen Irrtum: Erst im August 2017 dürfen seine Frau und seine beiden Kinder, 15 und 17 Jahre alt, dort für ein Visum vorsprechen. Der 40-Jährige hatte bereits im Februar dieses Jahres seinen Antrag auf Familiennachzug gestellt.

Sein Landsmann Imad*, 38, hatte da mehr Glück. Seine Frau und sein 7-jähriger Sohn bekamen einen Termin für April 2016. Dabei ging sein Antrag zeitgleich mit dem von Saed an das Auswärtige Amt, das die Terminvergabe für die Botschaft in Beirut regelt.

Anderthalb Jahre Wartezeit hier, vier Wochen dort. Bei der Terminvergabe an Flüchtlinge herrscht offensichtlich Chaos. Dabei sind die Termine an den deutschen Botschaften um Syrien notwendig für jeden, der über die Prozesse des Familiennachzugs nach Deutschland kommen möchte. Ohne die persönliche Vorsprache gibt es nämlich kein Visum.

Die Familien harren in Syrien aus

„Saed, Imad und viele andere leben in ständiger Angst, weil der Daesch die christlichen Städte immer wieder mit Raketen beschießt, bei jedem Gespräch weint die Familie ins Telefon. Es ist unerträglich, nochmal über ein Jahr warten zu müssen, im Wissen, dass die Familie bedroht ist.“ Die Geschichte von Saed und Imad erzählt Margitta B. Sie ist ehrenamtliche Helferin und betreut die beiden christlichen Syrer seit letztem Sommer.

Saed besaß in seiner Heimat ein Kaffeehaus, Imad war Handwerker. Die beiden kommen aus einer kleinen Stadt im Westen von Syrien. Den Namen der Stadt können wir nicht nennen, denn Saed und Imad sind dort gut bekannt. Die beiden Männer haben ihre Familien inzwischen seit anderthalb Jahren nicht mehr gesehen.

Ihr Heimatort, in dem die Familienangehörigen noch ausharren, wird regelmäßig bombardiert. Viele Häuser sind vollkommen zerstört. Inzwischen leben noch 20.000 orthodoxe Christen in der Stadt. Hier, auf etwa halber Strecke zwischen Aleppo und Homs, verläuft die Frontlinie zwischen Regierungstruppen und oppositionellen Rebellengruppen. Auch die Jabhat Fatah a-Sham, Nachfolgeorganisation des Al-Qaida-Ablegers Al-Nusra-Front, mischt im Kampfgeschehen mit. Die Organisation „Kirche in Not“ berichtet von einer großen Angst in der christlichen Bevölkerung vor islamistischen Kämpfern.

Die gefährliche Flucht war erst der Anfang

Saed und Imad begaben sich im März 2015 gemeinsam auf ihre lebensgefährliche Flucht. Zu Fuß und im Jeep ging es von Syrien über den Irak in die Türkei. Von dort setzten sie mit acht anderen Männern in einem Schlauchboot nach Griechenland über. Saed erzählt, das Meer in der Nacht sei rau gewesen. Er und Imad wurden seekrank, zwei Rucksäcke gingen über Bord. 

Später wurden sie in Ungarn von der Polizei festgenommen. Ein korrupter ungarischer Beamter half ihnen weiter: Für 200 Euro vermittelte er einen Fahrer nach Österreich. Sie quetschten sich in einen Lkw, der mit Kaffee beladen war. 23 Stunden harrten Saed und Imad mit anderen Flüchtlingen versteckt hinter Trennwänden aus. Es gab kaum Wasser, kein Essen. Wer auf Toilette musste, pinkelte in leere Plastikflaschen. Die Flucht endete in einem Erstaufnahmelager in Süddeutschland.

Saed und Imad haben jeweils mehr als 7000 Euro an Schlepper bezahlt. Sie kamen gemeinsam nach Deutschland und wurden gleichzeitig als Asylberechtigte anerkannt. Trotzdem muss der eine gut anderthalb Jahre länger auf seine Familie warten als der andere. 

Wie kommen die Termine zustande?

Seit die deutsche Botschaft in Damaskus im Januar 2012 geschlossen wurde, sind die Botschaften in den Nachbarländern zuständig. Das Nadelöhr ist die Botschaft Beirut, denn hier laufen alle Anträge zusammen, die syrische Staatsbürger an den Auslandsvertretungen in Jordanien, im Irak und der Türkei stellen. Die Terminvereinbarungen im Rahmen des Familiennachzugs laufen für die Botschaft in Beirut über eine zentrale E-Mailadresse des Auswärtigen Amts. Sobald die Familie in der Heimat alle Unterlagen für die Visaanträge beisammen hat, schickt sie diese an die E-Mailadresse. Eine eigene Abteilung im Auswärtigen Amt kontrolliert, ob die Dokumente vollständig sind. Dann vergibt sie die Termine zur persönlichen Vorsprache für die Botschaft in Beirut nach der Reihenfolge des Eingangs. Experten loben das Verfahren. Es sei effizient und schütze vor Korruption, weil ausschließlich Entsandte und Beamte in Deutschland eingebunden seien. 

Nach dem offiziellen Verfahren hätten die Familien von Saed und Imad Termine zu einem ähnlichen Zeitpunkt erhalten müssen. Wie kam also Imad an den kurzfristigen Termin für seine Frau und seinen Sohn? Saed hat eine Vermutung: Imad habe davon gesprochen, einen früheren Termin kaufen zu wollen.

Schwächen im Buchungssystem ermöglichen Terminhandel 

Schon im April 2014 berichtete die Welt vom Handel mit Terminen für die deutsche Botschaft in Beirut. Findige Händler würden Lücken im dortigen Onlinebuchungssystem ausnutzen. Sie sichern sich mit gefälschten Daten zahlreiche Termine und verknappen so das Angebot. Syrer, die nach einem Termin in der Botschaft suchen, finden im System dann oft überhaupt keine mehr.

Kommt ein Interessent, stornieren die Händler die zuvor blockierten Termine. Stornierungen geben die Botschaften umgehend wieder zur Buchung frei. Die Geschäftemacher müssen den neuen Termin dann nur noch mit den korrekten Daten des Kunden, Vor- und Nachname sowie Passnummer erneut belegen.

Dieser Dienst war im Frühjahr 2014 für wenige hundert Euro zu haben. Die Opposition im Bundestag war empört. Die Bundesregierung musste sich in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion umfassend rechtfertigen.

Maßnahmen des Auswärtigen Amts reichen nicht aus

Das Auswärtige Amt zog Konsequenzen. Zunächst wurde eine Sicherheitsabfrage (Captcha) in das System integriert, um zumindest eine automatische Belegung der Termine mithilfe von Software zu unterbinden. Das brachte nicht viel: Das Captcha schützt nicht vor Missbrauch. Im Juli 2015 berichtete das Politmagazin Monitor, dass der Terminhandel an der Botschaft Beirut weiterhin blühe. Nach Recherchen der deutschen Huffington Post waren noch im Sommer 2015 sämtliche Termine im System bis ins Jahr 2022 blockiert. Im Auswärtigen Amt hatte man das Problem zu dem Zeitpunkt bereits bemerkt: Im Mai 2015 wurde die Terminvereinbarung über die E-Mailadresse eingerichtet, die auch Saed und Imad nutzten.

Aber durch die endlosen Wartezeiten auf Termine über das Mailverfahren ist die Nachfrage nach kurzfristigen Terminen nach wie vor riesig. Mit jeder Nachricht zu den Entwicklungen in Syrien steigt die Panik der Ehemänner und -frauen, Mütter und Väter hierzulande und die Bereitschaft, jeden Preis zur Rettung der eigenen Familie zu zahlen. Das Onlinesystem der Botschaft in Beirut ist beinahe komplett durch die Terminvereinbarung per Mail ersetzt worden.

Aber vereinzelt gibt es sie noch, die begehrten Termine über das Onlinesystem. Noch im Juli boten Händler Termine für die Botschaft in Beirut für über 5000 Euro an. Die Wartezeit bis zur Vorsprache lag bei weniger als einem Monat, genau wie bei Imad.

Geplante Verbesserungen werden nichts verändern

Momentan dauert es über das Mailverfahren bis zu fünf Monate, bis man eine Antwort erhält. Die Vorsprachetermine, die in dieser Antwort zugeilt werden, liegen mindestens 15 Monate in der Zukunft, wie bei Saed. Hat man bei der Botschaft persönlich vorgesprochen, braucht die Bearbeitung der Visaanträge weitere vier bis sechs Monate. Imads Frau und Sohn, die im April ihren Termin in der Botschaft hatten, haben bis heute noch kein Visum erhalten. Insgesamt dauert es also auf offiziellem Wege über zwei Jahre, bis syrische Familien hier in Deutschland wieder vereint sind.

Das Auswärtige Amt will noch in diesem Sommer das Personal aufstocken. Dadurch sollen Termine vorverlegt werden können. Ob das allerdings zu einer merklichen Reduktion der Wartezeiten führt, ist fraglich. Die Bundesregierung gibt an, dass bis September 2017 allein für die Botschaft Beirut 8000 Termine gebucht sind.

Saed hat auch einen Termin gekauft

Auch Saed hat inzwischen die deutsche Bürokratie aufgegeben. Er vertraute sich den Händlern an. Sie buchten seiner Familie einen Termin in der Botschaft in Amman, Jordanien – für Oktober. Dort ist es etwas günstiger als in Beirut. Saed musste für den Service 4000 Euro zahlen. In Amman wird das gleiche Onlinesystem wie in Beirut verwendet. Deshalb haben viele Händler ihr Geschäft einfach nach Jordanien verlegt. Sie haben längst verstanden, dass durch das Mailverfahren für die meisten von ihnen in Beirut nicht mehr viel zu holen ist. Bis November haben sie alle Termine blockiert, weiter reicht das System nicht. Zu einer offizielle Stellungnahme, ob auch ein Mailverfahren für die Botschaft Amman geplant sei, um den Terminhandel einzudämmen, war das Auswärtige Amt auf Cicero-Anfrage bisher nicht bereit.

Der Termin in Jordanien ist allerdings keine ideale Lösung: Amman liegt von Saeds Heimatstadt fast 500 Kilometer entfernt. Die Route führt durch umkämpftes Gebiet, unter anderem durch Damaskus, wo die Assad-Russland-Allianz Luftangriffe fliegt. Für seine Frau und die zwei Kinder ist es eine lange und gefährliche Strecke. Und das nur für die persönliche Vorsprache für das Visum. Außerdem muss das jordanische Innenministerium Saeds Familie eine Einreiserlaubnis erteilen. Ansonsten haben sie keine Chance, den Termin wahrzunehmen. ProAsyl berichtete im April von einem Fall, bei dem einer Frau und ihrem Sohn die Einreise zum Zweck der Vorsprache in der deutschen Botschaft in Amman verweigert wurde.

Der Kontakt von Margitta B. zu Imad ist seit einigen Monaten abgebrochen. Neuigkeiten über ihn erfährt sie von Saed, mit dem sie sich regelmäßig trifft. Sie wird gemeinsam mit den beiden bangen, bis ihre Familien endlich hier in Deutschland sind. Nach den Erfahrungen im Asylverfahren und den Prozessen rund um den Familiennachzug wollte Margitta B. eigentlich keine neuen Flüchtlinge mehr begleiten.

Sie hat sich für einen Kompromiss entschieden: Inzwischen hat sie zwei neue Patensöhne. Es sind ledige Männer ohne Familie.

*Namen geändert

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