Großbritannien - Komm liebe May und mache...

Theresa May hat als neue britische Premierministerin für ihre europäischen Partner vor allem eine Qualität: Sie ist berechenbar. Der Brexit wird Brexit bleiben

Theresa May ist keineswegs farblos. Weder inhaltlich noch äußerlich / picture alliance
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Wer will derzeit freiwillig in Großbritannien Premierminister werden? Am Ende des Brexit-Prozesses wird das Vereinigte Königreich nicht mehr Mitglied der EU sein; die Schotten dürften dann bereits ihre Unabhängigkeit feiern; die Nordiren könnten folgen; und Little Britain wird sich erst nach Jahren von der prognostizierten Rezession und dem ebenfalls zu erwartenden Bedeutungsverlust erholen.

Trotz dieser traurigen Aussichten gibt es jemanden, der die Aufgabe liebend gerne übernimmt: Theresa May ist die Frau der Stunde. Warum die 59-jährige bisherige Innenministerin, die sich für den Verbleib in der EU ausgesprochen hatte, sich das Amt der Brexit-Verwalterin zutraut und nicht wie Brexit-Proponent Boris Johnson einknickt? Dafür gibt es einige Gründe.

Keine EU-Liebhaberin, doch gegen den Brexit

Wer die Innenministerin im vergangenen Jahr beobachtete, konnte ihre Taktik ganz klar erkennen: Theresa May liebt die EU keineswegs, da ist sie ganz traditionelle Engländerin. Als Innenministerin lernte sie allerdings die Vorteile der EU-Mitgliedschaft schätzen. Natürlich lässt sich vieles vernünftiger koordinieren, wenn man die entsprechenden EU-Gremien konsultieren kann. Informationsaustausch etwa ist im Zeitalter des grenzüberschreitenden islamistischen Terrorismus eben hilfreich.

So entschied sie sich Anfang 2016, ihrem Regierungschef David Cameron gegenüber loyal zu sein und das moderate Pro-EU-Lager zu stützen, ohne sich selbst zu sehr zu exponieren. Ein kluger Schachzug, denn gegen den Hofnarren unter den Brexitieren, Londons Ex-Bürgermeister Boris Johnson, wäre die kühle Ministerin nie angekommen. Sie ist das Gegenteil von telegen.

Vielleicht auch biegt eine Pastorentochter die Wahrheit nicht so leichtfertig, um sich politische Vorteile zu verschaffen. May wartete das Ergebnis des EU-Referendums einfach ab. Dass das Brexit-Lager nach seinem Triumph am 23. Juni derart schnell implodieren würde, hatte auch sie nicht erwartet. Als der Schlachtenlärm verhallte, blieb sie als einzige logische Nachfolgerin des großen Verlierers David Cameron übrig.

Eine Spur Originalität

Für die Briten wie für die europäischen Partner bedeutet das vor allem eines: Mit Theresa May kommt eine berechenbare, pragmatische Frau an die Macht.

Sie ist dabei keineswegs farblos. Weder inhaltlich noch äußerlich. Ihre hochhackigen Leoparden-Pumps, mit denen sie jetzt die große politische Bühne zu betreten gedenkt, sind legendär. Das auffällige Schuhwerk ist der Kontrapunkt zu ihren ergrauten Haaren. Sie signalisiert nicht nur Erfahrung und Ehrlichkeit, sondern eben auch eine Spur Originalität.

Es wäre ein Fehler, sie leichtfertig mit Angela Merkel zu vergleichen. Genauso wenig verdient sie es, als zweite „Eiserne Lady“ abgetan zu werden. Ganz anders als Margaret Thatcher wird Theresa May nicht auf harte Reformen setzen, die vielleicht die ökonomische Produktivität ankurbeln, dabei aber den sozialen Zusammenhalt der britischen Gesellschaft gefährden. Diese ist ihrer Meinung nach schon strapaziert genug.

Eine Lehre aus dem Brexit-Votum ist, dass sich große Teile der außerhalb der Hauptstadt lebenden Engländer vollkommen allein gelassen fühlen, sozial und finanziell abgekoppelt von der glitzernden Metropole. May will deshalb eher eine konservative Regierungschefin im Prä-Thatcher-Stil werden: Sie könnte mit harter Hand regieren, aber nicht bei den Ärmsten sparen. Ihr Vorgänger David Cameron und sein Schatzkanzler George Osborne wollten am Ende ihres Sparprogramms auch noch die Behindertenpauschalen streichen. May wird eher den Bankern ihre Bonus-Zahlungen kappen.

May will die zerstrittene Tory-Partei wieder vereinen

In einem ironischen Twist der Kabale in Westminster hat May sich Brexit-Vorreiter Boris Johnson als Außenminister ins Kabinett geholt. Den beim Volk beliebten Johnson behält sie lieber nahe bei sich. Gleichzeitig stärkte sie das pro-europäische Lager mit Finanzminister Philip Hammond und Innenministerin Amber Rudd.

Zum ersten Mal gilt es als Vorteil, dass sie nie Teil der männlichen Seilschaft um Cameron war. Die eitlen, ehrgeizigen Männer sind diskreditiert. May wirkt dagegen mütterlich einigend. Dass sie keine eigenen Kinder hat, wird ihr nicht übel genommen. Im Gegenteil. Über Theresa May ist alles bekannt. Sie hat bereits sechs Jahre Innenministerium und die britische Boulevardpresse überlebt. Sie wird ihre momentane Stärke unter anderem auch dazu nutzen, die tief zerstrittene Tory-Partei wieder zu einen.

Kein Exit vom Brexit

Genauso wie sie die Schlammschlacht in der Tory-Partei zu beenden gedenkt, so will Theresa May auch das Schaumbad an proeuropäischen Visionen trockenlegen, in dem sich viele Enttäuschte die Zeit nach dem Referendums-Schock vertreiben. Die Seifenblasen, wie man den Brexit noch verhindern könnte, möchte die neue Regierungschefin schnell zerplatzen lassen: „Brexit heisst Brexit“, hat sie von Anfang an gesagt.

Bisher werden verschiedene Varianten diskutiert, um eventuell doch in der EU zu bleiben. Man könnte a) den Artikel 50 nie auslösen und damit das an sich nicht bindende Referendumsergebnis vom 23. Juni einfach vergessen und die EU nie über den Austritt informieren. b) Das Parlament könnte über die Auslösung des Artikel 50 vorher abstimmen. Da es im House of Commons eine klare pro-europäische Mehrheit gibt, ergäbe eine offene Abstimmung ohne Parteizwang, dass das Referendumsergebnis gekippt würde. c) Neuwahlen im kommenden Frühling führten eventuell zu einem Mandat für einen Verbleib in der EU. d) May könnte das Ergebnis ihrer Verhandlungen mit Brüssel in einem zweiten Referendum dem Volk vorlegen und fragen, ob man nicht doch lieber in der EU bleiben will.

Im derzeitigen instabilen Zustand Britanniens ist keine Variante mit Sicherheit auszuschließen. Doch Experten erwarten keinen Exit vom Brexit: „Es ist ein frommer Wunsch, dass sich der noch abwenden lässt“, sagt Simon Hix, Professor für europäische und vergleichende Politik an der London School of Economics: „Ich kann mir derzeit keine Variante vorstellen, die dazu führt, dass wir Briten doch nicht aus der EU austreten.“

Harte Verhandlungen mit der EU stehen bevor

Theresa May fühlt sich dem Votum des Volkes verpflichtet und hat ein Ausstiegsszenario skizziert, das ihrem eigenen politischen Befinden entspricht. Hier liegt der große Unterschied zwischen Theresa May und Angela Merkel. Die historische Komponente der europäischen Friedenssicherung ist bei der Britin May im Gegensatz zu Merkel zweitrangig. Mays Dilemma ist, dass Britannien einen Zugang zum europäischen Binnenmarkt braucht. Alles andere wäre für die britischen Exporteure zu kostspielig. Über die Hälfte aller britischen Exporte gehen schließlich in die EU. Gleichzeitig möchte die neue Regierungschefin die Immigration aus den EU-Staaten verringern. Sie verfolgte bereits als Innenministerin eine harte Linie in der Einwanderungspolitik.

Die Personenfreizügigkeit aber ist ein Grundpfeiler der EU. Es wird viel Verhandlungsgeschick erfordern, um ein Handelsabkommen nach dem Vorbild Norwegens mit der EU zu erreichen. May hat deshalb sogar mit David Davis einen eigenen Minister für den Brexit ernannt. Am Ende könnte ein Abkommen stehen, bei dem die Briten eine gewisse Begrenzung der EU-Immigration erhalten, dafür aber sehr hohe Mitgliedsbeiträge zahlen, um tariffrei Handel treiben zu dürfen. Ohne dabei irgendein Mitspracherecht bei EU-Entscheidungen zu haben.

Für Großbritannien wird dieser Deal insgesamt wohl schlechter sein als das, was das Land heute als Mitgliedsstaat der EU hat. Dies könnte dem Inselvolk allerdings mehr entsprechen als eine volle EU-Mitgliedschaft. Kein Wunder, dass die neue Premierministerin so selbstbewusst wirkt, obwohl ihre künftigen Aufgaben erdrückend erscheinen. Sie ist letztlich genau dort, wo sie hinwollte.

Krisenmanagerin Theresa May wird für ihr konservatives Handelsvolk eine neue Rolle am Rande Europas suchen. Koste es, was es wolle.

Dieser Text wurde am 14.07. nach der Bekanntgabe des neuen Kabinetts aktualisiert.

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