Corona-Totenzahlen in 103 Ländern - Laut Studie erhebliche Unterschiede bei Übersterblichkeit

Insgesamt mehr als vier Millionen Menschen sind seit 2020 in Folge einer Corona-Infektion gestorben. Die Übersterblichkeit unterscheidet sich weltweit aber stark, am höchsten ist sie in Lateinamerika. Laut der Vergleichsstudie eines deutsch-israelischen Forscherteams schneiden einige westeuropäische, aber auch Länder aus Ozeanien am besten ab.

Laut Statistischem Bundesamt lag die Übersterblichkeit in Deutschland für 2020 bei fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr / dpa
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Uta Weisse war Online-Redakteurin bei Cicero. Von Schweden aus berichtete sie zuvor als freie Autorin über politische und gesellschaftliche Themen Skandinaviens.

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Ein viel genutztes Argument gegen die Sinnhaftigkeit von Corona-Maßnahmen ist, dass während der Pandemie nicht mehr Menschen gestorben wären als wenn sich das Corona-Virus nicht ausgebreitet hätte. Eine statistische Maßzahl hierfür ist die sogenannte Übersterblichkeit.

Tatsächlich ist in manchen Ländern in den vergangenen eineinhalb Jahren die Übersterblichkeit sogar zurückgegangen. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Pandemie dort nicht viele Menschenleben gefordert hätte. Ein Team aus Forschern der Universität Tübingen und der Hebräischen Universität Jerusalem hat die Sterbedaten von 103 Ländern untersucht. In Dänemark zum Beispiel gab es keine Übersterblichkeit, in Australien oder Neuseeland war sie sogar negativ. Eine Erklärung hierfür steht laut den Autoren, deren Studie online im Fachjournal „eLife“ veröffentlicht wurde, in direktem Zusammenhang mit den staatlicherseits ergriffenen Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung.

Vergleich von Übersterblichkeiten belastbarer als Vergleich von Infektions- und Totenzahlen

Um herauszufinden, welche Länder und damit gleichzeitig welche Pandemie-Strategien sich als besonders wirksam herausgestellt haben, bietet sich den Forschern zufolge der Vergleich der Übersterblichkeiten an. Denn allein die Infektions- und Todeszahlen heruntergebrochen auf die Bevölkerungsgrößen würden unter Umständen stark vom jeweiligen Testverfahren und der Art der Registrierung beeinflusst. Die Sterblichkeit im Zeitraum der Pandemie verglichen mit einer entsprechenden Zahl, die auf Mittelwerten erwarteter Sterblichkeiten aus den vergangenen Jahren beruht, sei dagegen ein verlässlicherer Indikator, wie viele Todesopfer Covid-19 gefordert habe. Als Vergleichszeitraum dienten den Forschern die Zeit von 2015 bis 2019.

Die Übersterblichkeit in Deutschland lag demzufolge unter jener der europäischen Nachbarländer. Mit rund 50 zusätzlichen Toten pro 100.000 Einwohnern hatte die Bundesrepublik in der Pandemie eine viel geringere Übersterblichkeit erfahren als umliegende europäische Länder. In den Niederlanden etwa starben im Schnitt 110 Menschen mehr als im Schnitt der vorangegangen Jahre auf 100.000 Einwohner im Zusammenhang mit Corona, in Belgien 140, in Frankreich 110, in Tschechien sogar 320 und Polen 310.

 

Positive Übersterblichkeit rot schraffiert, negative Übersterblichkeit blau schraffiert, graue Linie erwartete Sterblichkeit / Grafik: eLife 2021;10:e69336

Besonders in einigen lateinamerikanischen Ländern sind der Studie zufolge in der Pandemie die Todeszahlen um mehr als die Hälfte gestiegen, darunter sind Peru, Ekuador, Bolivien und Mexiko. In Australien und Neuseeland seien dagegen sogar weniger Menschen als in vergleichbaren Zeiträumen vor der Pandemie gestorben. Eine Erklärung der Autoren für diese Entwicklung ist, dass die Abstands- und Hygieneregeln die Zahl von Fällen anderer Infektionskrankheiten wie etwa der Grippe, zu denen es unter normalen Bedingungen gekommen wäre, reduziert hätten. Auch für die im Vergleich zu europäischen Nachbarländern niedrige Übersterblichkeit in Deutschland wird diese Erklärung für plausibel gehalten: In den Wintermonaten seien vergleichsweise wenige Menschen an herkömmlichen Atemwegserkrankungen gestorben.

Paralleler Kurvenverlauf von Übersterblichkeit und Corona-Totenzahlen

Nun ließe sich einwenden, dass die zusätzlichen Toten in den einzelnen Ländern auch auf das Konto anderer Faktoren als der Corona-Pandemie gegangen sein könnten. Aber der Trend sei sehr eindeutig gewesen. In knapp 70 Prozent der untersuchten Länder war die Übersterblichkeit höher als in den Jahren zuvor.

Zudem zeigte die Gegenüberstellung der Zahl wöchentlich registrierter coronabedingter Todesfälle mit der wöchentlichen Übersterblichkeit, dass die Kurven für viele Länder nahezu exakt parallel verliefen. Das heißt, andere Erklärungen für die Übersterblichkeiten sind sehr unwahrscheinlich. Einzelne Abweichungen der beiden Kurvenverläufe in Belgien, Frankreich und Deutschland erklären die Autoren mit Hitzewellen und damit verbundenen Hitzetoten.

Für Peru lag die Korrelation, gekennzeichnet durch den Koeffizienten r, zwischen wöchentlicher Übersterblichkeit und Corona-Toten-Zahlen zum Beispiel bei 0,99. Das heißt, der Zusammenhang, je mehr Übersterblichkeit, desto mehr Corona-Tote, war nahezu 100-prozentig. Andere Erklärungen außer Corona-Erkrankungen für die jeweils gemessene Übersterblichkeit können also nahezu ausgeschlossen werden.

 

Verhältnis von Übersterblichkeit und Corona-Toten-Zahlen im 2020 / Grafik: eLife 2021;10:e69336

Eine Schwachstelle des Ländervergleichs, auf die die Autoren hinweisen, besteht darin, dass zwar viele Länder genaue Zahlen über ihre Covid-19-Todesfälle registriert hätten. Bei anderen Ländern, zum Beispiel Nicaragua, Russland oder Usbekistan, müsse man hingegen davon ausgehen, dass dies nicht der Fall gewesen ist. Anhand der von ihnen ausgewerteten Daten schätzen sie, dass es in diesen Ländern tatsächlich mindestens 1,4-mal mehr Todesfälle gegeben haben dürfte als gemeldet. Insgesamt würde das zusätzlich über eine Million weitere Todesfälle ergeben.

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