China und Taiwan - Festhalten am brüchigen Status Quo

Chinas Präsident Xi Jinping droht dem Nachbarstaat Taiwan, notfalls mit Gewalt eine Wiedervereinigung zu erzwingen. Wie gefährlich ist das angespannte Verhältnis zwischen der autoritären Weltmacht und dem demokratischen Inselstaat für den Rest der Welt?

„Wir behalten uns die Möglichkeit vor, alle erforderlichen Mittel zu ergreifen“, drohte Chinas Staatschef Xi Jinping / picture alliance
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Klaus Mühlhahn ist Präsident der Zeppelin Universität in Friedrichshafen und Inhaber des dortigen Lehrstuhls Moderne Chinastudien.

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Chinas Präsident Xi Jinping warnte in einer Ansprache vor Militärführern am Mittwoch, dass die Vereinigung von Taiwan und dem chinesischen Festland das ultimative Ziel aller künftigen Initiativen sein müsse. Deswegen müsse jede Bemühung um Erlangung von Taiwans Unabhängigkeit durch den Einsatz militärischer Mittel beantwortet werden. Xis Rede war eine Reaktion auf eine Stellungnahme der taiwanischen Präsidentin Tsai Ing-wen, in der sie die Volksrepublik China aufgefordert hatte, Streitigkeiten über die Insel friedlich beizulegen und die Autonomie der 23 Millionen Menschen zu respektieren. Die Rede Xis hat weltweit Besorgnis ausgelöst. Aber um was geht es in dem Konflikt eigentlich?

Die Regierung in Peking behandelt Taiwan seit langem als abtrünnige Provinz. Nach dem Sieg der Kommunisten auf dem Festland 1949 floh der Führer der unterlegenen Kuomintang (nationalistische Partei) Chiang Kai-shek nach Taiwan, und etablierte de facto einen neuen Staat mit dem Namen Republik China. Für lange Zeit agierte die Insel als ausschließliche Vertretung der chinesischen Nation in der internationalen Politik und in internationalen Organisationen. Erst im Jahr 1979 erkannten die USA die Volksrepublik China offiziell als Vertretung Chinas an, aufgrund von strategischen Überlegungen aus der letzten Phase des Ost-West-Gegensatzes: Gegen die Sowjetunion sollte die „chinesischen Karte“ gespielt werden und die Öffnung „Rotchinas“ für westliche Interessen ermöglicht werden.

Xi: Wiedervereinigung historisch unabwendbar

Die USA brachen in der Folge die diplomatischen Beziehungen zu „Nationalchina“ ab und annullierten den bis dahin bestehenden Verteidigungspakt mit Taiwan. Im selben Jahr wurde vom Kongress jedoch der „Taiwan Relations Act“ angenommen, in dem die USA zusicherten, „Kapazitäten bereitzuhalten, um jeder Gewaltanwendung zu widerstehen, die die Sicherheit der Bevölkerung auf Taiwan beeinträchtigen würde“. Zusätzlich wurden Waffenlieferungen in Aussicht gestellt. Die USA wurden durch diese weitreichenden Verpflichtungen ein wichtiger Verbündeter Taiwans, von dessen Garantien die Sicherheit der Insel abhing. Zugleich wurden die USA zu einem wichtigen Akteur in diesem innerchinesischen Drama. Unweigerlich waren sie von nun an in jeden Konflikt in der Region um Taiwan involviert.

Xi Jinping bekräftigte in seiner Rede nun die bereits oft und lang geäußerte offizielle Position der Volksrepublik China, dass die Wiedervereinigung historisch unabwendbar sei:  „Das Land wird stark, die Nation verjüngt sich und die Vereinigung zwischen den beiden Seiten der Taiwan-Straße ist der große Trend der Geschichte“, führte Xi aus. China werde die religiösen und rechtlichen Freiheiten der taiwanesischen Bevölkerung innerhalb des von China bereits gegenüber Hong Kong praktizierten Konzepts von „einem Land, zwei Systeme“ garantieren. Er warnte jedoch davor, dass die tiefgreifenden politischen Unterschiede zwischen Taiwan (einer Demokratie) und China (einer autoritären Regierung) keine Basis dafür bieten würden, eine Wiedervereinigung abzulehnen.

Gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeiten

Diese kontroversen Positionen zeigen vor allem, dass die Zukunft Taiwans eine ungelöste Frage bleibt, die zu einer großen weltpolitischen Krise führen könnte – insbesondere wenn beide Seiten die Absichten der anderen – oder der USA – falsch einschätzen. Zudem hat China massiv in die Modernisierung seiner Marinestreitkräfte und der militärischen Präsenz in der Region investiert. Amerikanische Militärs sind mittlerweile nicht mehr sicher, wie ein militärischer Konflikt in der Taiwan-Straße ausgehen würde. Im Pentagon rechnet man damit, dass China in der Lage sein würde, eine militärische Intervention der USA wirksam zurückzuschlagen.

Jedoch sind die Konfliktlinien in der Region vielschichtig und kompliziert. Es gab wiederholte Treffen von KP-Vertretern mit taiwanischen Politikern der Kuomintang. Zwischen Taiwan und China gibt es außerdem bedeutende wirtschaftliche Abhängigkeiten. China ist Taiwans größter Handelspartner und nimmt über 30 Prozent seiner Exporte auf. Die massenhafte Herstellung der iPhones von Apple-Produkte erfolgt auf dem chinesischen Festland, aber in den Fabriken der taiwanesischen Firma Foxconn, die für Apple produziert.

Rückschläge für die Demokratische Fortschrittspartei

Die Unabhängigkeitsbewegung in Taiwan ist stark, hat aber aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtungen keine Mehrheit. Die Partei der Präsidentin, die Demokratische Fortschrittspartei, die für die Unabhängigkeit Taiwans eintritt, hat im November bei den Kommunalwahlen in Taiwan heftige Einbußen erlitten. Die oppositionelle Kuomintang, die für engere Beziehungen mit dem Festland eintritt, gewann die Bürgermeisterwahlen in den drei bevölkerungsreichsten Städten Taiwans.

Die Rückschläge an den Wahlurnen veranlassten die Präsidentin Tsai dazu, als Vorsitzende der Demokratischen Fortschrittspartei zurückzutreten. Viele Taiwaner lehnen eine Unabhängigkeit der Insel ab, streben allerdings genauso wenig eine Wiedervereinigung mit dem Festland an. Sie misstrauen Peking, das seinen wachsenden Einfluss nutzt, um Taiwan international zu isolieren und die Insel dazu zu drängen, die chinesische Souveränität über die Insel zu akzeptieren.

Erhalt des Status Quo liegt im Interesse Europas

Seit langem warnt die Führung in Peking vor einer Veränderung des Status Quo in Richtung Unabhängigkeit. Die Rede von Xi Jinping ist daher eher als eine Bestätigung der seit langem verfolgten Politik zu sehen und als Warnung vor Veränderungen. Ein Hinweis darauf ist, dass von Xi keine Frist gesetzt wurde. Ohne Zeitplan für die Wiedervereinigung bleibt diese nur ein eher vages Fernziel.

Insofern herrscht auf beiden Seiten noch mehrheitlich die Absicht vor, an dem brüchigen Status Quo festzuhalten, denn jede Änderung scheint gefährlich und die Folgen einer Eskalation wären unabwägbar. Es sollte auch im Interesse Deutschlands und Europas sein, dass dies möglichst lange so bleibt.

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