Chinas Blick auf die Coronakrise - Der Kampf gegen Covid-19 zeigt, wie zerrüttet die Weltordnung ist

In der Coronakrise sollten sich betroffene Länder gegenseitig helfen. Doch die Solidarität hält sich in Grenzen. China steht sogar unter Verdacht, es helfe nur zu Propaganda-Zwecken. Dabei soll Präsident Xi-Jinping jetzt sogar den Landrat von Heinsberg unterstützen.

Nicht ohne Atemschutzmaske: Was Europa von China lernen kann / picture alliance
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Autoreninfo

Klaus Mühlhahn ist Präsident der Zeppelin Universität in Friedrichshafen und Inhaber des dortigen Lehrstuhls Moderne Chinastudien.

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Nichts schreit so sehr nach internationaler Zusammenarbeit wie weltweit auftretende Krankheiten. Während des Kalten Krieges arbeiteten Wissenschaftler von beiden Seiten des Eisernen Vorhangs an einem Impfstoff gegen Kinderlähmung. Sie führten gemeinsam Impfkampagnen gegen die Windpocken und andere Infektionskrankheiten durch. Auch auf den SARS-Ausbruch von 2003 reagierte die internationale Staatenwelt mit internationaler Zusammenarbeit und Hilfe.

Im September 2005 verständigten sich die Präsidenten der USA und China, George W. Bush und Hu Jintao, auf „zehn Grundprinzipien“, um künftig besser auf den Ausbruch einer Pandemie reagieren zu können. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit wurde als zwingend notwendig erachtet, um globale Infektionsketten zu unterbinden. Denn es war klar, dass selbst wenn ein Land oder Block allein eine Epidemie bezwingen würde, diese immer wieder von Außen eingeschleppt werden könne. Ein Virus macht nicht vor nationalen Grenzen oder ideologischen Blöcken Halt.

Coronavirus bot Chance für internationale Zusammenarbeit   

Auch der Ausbruch des Coronavirus hätte China, den USA und Europa eine gute Gelegenheit geboten, sich über Differenzen hinwegzusetzen und ungeachtet ideologischer oder wirtschaftlicher Unterschiede gemeinsam eine weltweite Bedrohung anzugehen. Effektive Pandemie-Bekämpfung kann es nur geben, wenn die Staaten zusammenarbeiten. Wissenschaftliche Erkenntnisse müssen offen zugänglich gemacht werden. Auch gegenseitige Unterstützung ist geboten in Form der Lieferung von Medikamenten, medizinischer Ausrüstung und Expertise. 

Doch abgesehen von der schnellen Veröffentlichung der genetischen Sequenzierung des neuartigen Coronavirus am Anfang des Ausbruchs in China, die es weltweit ermöglichte, diagnostische Tests für die Krankheit und einen potenziellen Impfstoff zu entwickeln, ist kaum internationale Kooperation zustandegekommen. 

Streit um den Ursprung des Virus 

Im Gegenteil: Am 31. Januar gab die Trump-Regierung bekannt, allen die Einreise zu untersagen, die sich kürzlich in China aufgehalten hatten. Das war ein großer Schock, ja, eine Demütigung für China. In den USA leben Millionen Menschen chinesischer Abstammung, wohnen Hunderttausende von Studenten, haben sich Zehntausende von chinesischen Unternehmen niedergelassen, die alle auf offenen Handels- und Reiseverkehr angewiesen sind. China sah diesen Entschluss als willkürliche Maßnahme an, das Land zu isolieren. 

Statt zusammenzuarbeiten, begannen dann auch noch die USA und China, über den Ursprung des Virus zu streiten. Präsident Trump sprach mehrfach öffentlich vom „Chinesischen Virus“, andere vom „Wuhan Coronavirus“. China wiederum kolportierte, das Virus sei von amerikanischen Soldaten eingeschleppt worden. Woanders sind die Fronten nicht so verhärtet. So hat Deutschland beschlossen, schwerkranke Patienten aus Italien und Frankreich aufzunehmen, wo die Gesundheitssysteme bereits überlastet sind.

Sind die Spenden uneigennützig? 

Auch Chinas Regierung sowie wohlhabende Privatleute haben medizinische Ausrüstung gespendet, vor allem Masken und Testkits. Die Sendungen aus China gingen in verschiedene Länder Europas, darunter nach Italien, Spanien und Serbien sowie auch in die USA. Millionen von Masken wurden auch an Länder außerhalb Europas wie Südkorea, Iran, oder die Philippinen geschickt. In Deutschland hat der Landrat des hart getroffenen Kreises Heinsberg sich sogar direkt mit einem Hilfeersuchen an den chinesischen Präsidenten Xi Jinping gewandt. 

Doch den Spenden aus China schlägt Misstrauen entgegen. Man wirft der Regierung politisches Kalkül vor und vermutet hinter der Hilfe die Absicht, propagandistisches Kapital zu schlagen. Demagogie und bewusste Verdrehungen tauchen solche Akte grundlegender Menschlichkeit in ein merkwürdiges Licht. Tatsächlich aber gibt es in der chinesischen Bevölkerung eine echte Bereitschaft zu helfen.

Die Zahl der Scheidungen stieg an 

Persönliche Gespräche oder Unterhaltungen in den sozialen Medien zeigen, wie groß in China die Unterstützung für Hilfsmaßnahmen im Ausland ist. Viele betonen die Notwendigkeit einer weltweiten Solidarität. Manche hoffen, dass sich China mit der Hilfe als Krisenmanager verkaufen kann. 

Viele im Land sind der Auffassung, dass China durchaus in der Lage sei, effektive Hilfe zu leisten. Obwohl viele Chinesen die lokale Regierung in Wuhan für den zögerlichen und intransparenten Umgang mit dem neuartigen Virus Anfang Januar stark kritisieren, denken sie, dass die Regierung in der Hochphase der Epidemie effizient und entschlossen darauf reagiert habe. Die verordneten harten Maßnahmen wie die Abriegelung ganzer Städte wurden von vielen mitgetragen, auch wenn sie niemandem leicht gefallen sind. Die psychischen Kosten sind hoch: In den abgeriegelten Städten sind die Scheidungsfälle nach oben gegangen und psychische Erkrankungen deutlich angestiegen.

Lohnfortzahlung während der Quarantäne  

Weniger oft wird in Deutschland über die Maßnahmen berichtet, die chinesische Behörden zur Versorgung der abgeriegelten Gebiete und Städte unternommen haben. Diejenigen, die ihre Wohnung nicht verlassen konnten, bekamen Vorräte geliefert. Für jede „Nachbarschaft“ wurde ein Zuständiger benannt, der Lebensmittelbestellungen über ein Online-Formular entgegennahm, Einkäufe organisierte und auslieferte. Taxis wurden für den Transport von leicht Erkrankten eingesetzt. 

Anders als in Deutschland hat China auch alle Fahrten zur Arbeit untersagt und effektiv in den betroffenen Regionen die Wirtschaft zum Stillstand gebracht. Alle, die unter Quarantäne stehen, haben seit drei Monaten nicht mehr gearbeitet. Auf Anordnung der Regierung mussten die Unternehmen weiterhin den volle Lohn ausbezahlen. Kündigungen waren untersagt. Als Reaktion darauf verlangen allerdings einige Arbeitgeber jetzt von den Arbeitnehmern, dass sie die gezahlten Gehälter nach ihrer Rückkehr wieder abarbeiten müssen. 

Kopfschütteln über Europa 

Mit Blick auf Europa und Deutschland sind viele Chinesen der Meinung, dass Europa es sträflich verpasst hätte, die Zeit zur Vorbereitung auf die Epidemie zu nutzen. Zudem wäre trotz anderslautender Erkenntnisse aus China das Virus anfangs stets mit einer saisonalen Grippe verglichen worden. Daher hätten viele in Deutschland die Situation nicht ernst genommen.

Einige sind auch der Meinung, dass es europäische Länder versäumt hätten, aus Chinas Erfahrungen und Erkenntnissen Lehren zu ziehen. Über Reden wie die des englischen Premierministers Boris Johnson zur „herd immunity“ wurden auch in China berichtet. Man ist entsetzt über die Naivität des Politikers und spricht von einer „lächerlichen Methode“.   

Was Europa von China lernen kann 

Ein sehr beliebtes Thema im chinesischen Internet ist der Gebrauch von Atemschutzmasken. Die europäische Auffassung, die Nutzung von Atemschutzmasken sei eher ein kulturelles Phänomen und ihre Effizienz nicht nachgewiesen, stößt auf Unverständnis. Für viele Chinesen steht fest, dass das Tragen einer Maske effektiv und unverzichtbar ist, um eine Ausbreitung der Infektion zu verhindern. 

Je schwerer sich also Europa und Deutschland im Kampf gegen das Coronavirus tun, desto besser wirken Pekings Maßnahmen und die Bereitschaft, dringend benötigte Waren zu liefern. Die Antwort auf diese Herausforderung kann aber nur sein, Kooperation dort zu suchen, wo es sinnvoll ist, und eigene wirksame Antworten auf die Krise zu finden. Unkonstruktive Äußerungen und Verhaltensweisen von Politikern, Journalisten und Diplomaten sind schädlich. Sie führen zu einer Eskalation, die eine notwendige und sinnvolle Kooperation im Angesicht einer globale Krise unmöglich macht. Das Coronavirus entlarvt gnadenlos den zerrütteten Zustand der heutigen Weltordnung. 

Hinweis des Autors: Ich danke meiner Mitarbeiterin Tian Lu für die Hilfe bei der Recherche und Durchführung von Befragungen.

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