Heiko Maas zu Afghanistan - „Es bedeutet, Wege zu gehen, die sich keiner gewünscht hat“

Bild TV hat Außenminister Heiko Maas zur Evakuierung der Menschen aus Afghanistan befragt. Er gibt sich vorsichtig, wiegelt ab, bleibt vage. Wie nah der Terror an Deutschland heranreiche, sei ungewiss. Doch eines steht für ihn fest: Man müsse mit den Taliban sprechen, um die Evakuierung voranzutreiben.

Bundesaußenminister Heiko Maas / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Charlotte Jost studiert Political- and Social Studies an der Julius-Maximilians Universität in Würzburg und ist Hospitantin in der Cicero Online-Redaktion.

So erreichen Sie Charlotte Jost:

Anzeige

Farad Said, Pizzabäcker in Nordrhein-Westfalen, fliegt nach Afghanistan, um seine Frau und seinen zweieinhalb Jahre alten Sohn nach Deutschland zu holen. Doch die Taliban übernehmen das Land binnen kürzester Zeit, Kabul fällt innerhalb eines Tages. Said sitzt mit seiner Familie am Flughafen fest und dokumentiert die Zustände auf seinem Handy. Leichen liegen auf der Straße, die Menschen sind panisch, die Flughäfen sind überfüllt. Er berichtet von fehlendem Flughafenpersonal, gestrichenen Flügen und der stetigen Angst der Bevölkerung vor Terror.

Nachdem die Familie drei Tage in Usbekistan festsaß, gelingt es ihnen endlich, nach Frankfurt am Main auszureisen.

Diese Bilder zeigt Bild TV Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD). Dieser zeigt sich betroffen. Die deutsche Regierung habe deutlich zu spät reagiert, räumt er ein. Ziel sei es nun, schnell möglichst viele Menschen nach Deutschland auszufliegen. Es seien bereits mehr als 3.000 Menschen ausgeflogen worden, davon 351 deutsche Staatsbürger, mit 100 Menschen stehe man aktuell in Kontakt und kenne deren Standorte. Mehr als 10.000 Menschen, Ortskräfte und Schutzbedürftige befänden sich allerdings noch in Afghanistan.

Wie geht es mit den Evakuierungen weiter?

Auf die Frage, wie es mit den Evakuierungen nach Deutschland weitergehe, antwortet Maas vorsichtig. Dies entscheide sich im Laufe des Tages, da nicht sicher sei, wie viel Zeit bleibe, die Menschen sicher aus Afghanistan herauszubringen. Amerika plane, bis zum 31. August mit den militärischen Evakuierungen fortzufahren. Die meisten Kräfte in Afghanistan seien derzeit aus den USA, Großbritannien und Deutschland, weshalb gemeinsam entschieden werden müsse, wie nach dem 31. August vorgegangen werde.

Laut Maas reiche dieses Datum nicht aus, um alle Schutzbedürftigen nach Deutschland zu holen. Der Flughafen sei zivil weiterzuführen, um Menschen aus Afghanistan herauszubringen. Bild TV fragt, wie er sich das genau vorstelle und was von Deutschland aus gegen die Taliban getan werden könne.

„Es bedeutet, Wege zu gehen, die sich keiner gewünscht hat“, antwortet Maas. Man müsse mit den Taliban sprechen, auch wenn schrecklich sei, wofür sie stünden. Für Deutschland aber sei das der einzige Weg, die eigenen Staatsbürger und andere Menschen aus Afghanistan zu holen.

Zusammenarbeit mit Afghanistans Nachbarstaaten

Ein weiteres Problem ist nach Maas die Kommunikation mit den Nachbarstaaten Usbekistan und Pakistan: Diese müssten als Transitländer dienen und sich nicht nur dazu bereiterklären, vorläufig Tausende Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen, sondern sie auch im Anschluss nach Deutschland und in andere Länder ausfliegen zu lassen.

Auf die Frage, ob sich die deutsche Regierung bei den Verhandlungen mit der Taliban nicht „über den Tisch ziehen lasse“, antwortet Maas, dass den Worten der Taliban keinerlei Glaube geschenkt werden dürfe. Deutschland müsse sich einzig an den zukünftigen Entwicklungen im Land und den Taten der Taliban orientieren.

Wie nah der Terror letztendlich an Deutschland herankomme, ist, Maas zufolge, ungewiss. Es werde sich zeigen, ob Afghanistan, möglicherweise auch durch die Mithilfe des IS, erneut zur Operationsbasis für internationalen Terrorismus wird.

Zu langsam reagiert

Farad Said, der eingangs erwähnte Pizzabäcker, wird dann zugeschaltet: Ihm gehe es inzwischen gut, beteuert er, doch die Familie sei von den vergangenen Tagen schwer mitgenommen. Maas gesteht abermals ein, dass er die Lage völlig falsch eingeschätzt hat. Die deutsche Regierung sei von der nahezu mühelosen Einnahme Kabuls durch die Taliban, der Flucht Präsident Ghanis und der frühen Aufgabe der afghanischen Truppen überrascht worden.

Für die Bundesregierung geht es um Schadensbegrenzung. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat bereits angekündigt, nach dem Evakuierungseinsatz in Kabul Konsequenzen ziehen zu wollen; sie werde „den Kopf hinhalten“.

Zu der Frage, welche Konsequenzen er nach seiner Amtszeit als Bundesaußenminister ziehen möchte, äußert sich Maas nicht.

Anzeige