Britische Parlamentswahlen - Plötzlich spannend

Eigentlich waren die Wahlen in Großbritannien schon entschieden. Die konservative Premierministerin Theresa May lag meilenweit vor dem selbst in der eigenen Partei unbeliebten Labour-Chef Jeremy Corbyn. Doch May schwächelt zunehmend, Corbyn dagegen punktet. Wie konnte das passieren?

Theresa May leistete sich viele Fehltritte, ihr Kontrahent könnte ihr dabei gefährlich nahekommen / picture alliance
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Noch vor Kurzem hätte diese Aussicht nicht nur konservativen Briten blankes Hohngelächter entlockt. Labour lag 24 Prozent hinter den Konservativen, als Premierministerin Theresa May zu Ostern vorgezogene Neuwahlen ausrief. Selbst in der Labour-Partei setzte niemand auf den eigenen Chef Jeremy Corbyn. Die eigene progressive Parlamentsfraktion hat den altlinken Atomwaffengegner seit seiner überraschenden Wahl 2015 nicht unterstützt. Warum ist die Wahl zwischen den beiden englischen Silberköpfen, die am 8. Juni stattfindet, plötzlich so spannend geworden? 

Geschmeidig das Lager gewechselt

Vornehmlich ist dies Theresa May selbst zuzuschreiben. Als Großbritannien über den Brexit debattierte, unterstützte die 60-jährige Pastorentochter mit wenig Enthusiasmus Tory-Chef David Cameron im Lager der Proeuropäer. Nachdem die Briten am 23. Juni 2016 für den Austritt aus der EU votiert hatten, wechselte sie dann jedoch geschmeidig das Lager. Die damalige Innenministerin wartete ab, bis sich alle männlichen Brexittiere in der politischen Arena gegenseitig erdolcht hatten. Dann zog sie als Premierministerin in Downing Street Nr. 10 ein und verkündete mit dem Furor der Konvertitin: „Brexit heißt Brexit.“

Gelassenheit und Glaubwürdigkeit – das war Theresa Mays Kapital. Die überzeugte Konservative wollte sich nicht mehr so sehr ums Big Business, als um die Nöte und Ängste der unteren Mittelschicht kümmern und dabei die frustrierten linken Labour- und europafeindlichen UKIP-Wähler abholen. All diese EU-skeptischen Kräfte sammelte sie in den ersten Monaten ihrer Regentschaft recht geschickt ein, versprach ihnen einen harten Brexit, die Einwanderung zu senken und das von den Ketten der EU-Technokraten befreite Großbritannien in eine globale, strahlende Zukunft zu führen.

Mays Fehltritte in der Innenpolitik 

Doch dann begann sie, sich selbst systematisch und ohne Not zu untergraben, indem sie eine Reihe von politischen Kehrtwendungen vollführte. Die Opposition war unterdessen durch parteiinterne Streitigkeiten gelähmt. So wurde über die vergangenen Monate immer deutlicher, dass May sich ständig in eigene Widersprüche verstrickt. 

Dass sie beim Brexit vom Saulus zum Paulus wurde, haben ihr die Briten noch verziehen – das entspricht nach wie vor der Stimmung im Land. Die EU-Austrittsverhandlungen mit Brüssel sind im britischen Wahlkampf in den Hintergrund getreten. Der Anschlag von Manchester am 22. Mai, bei dem 22 Menschen von einem islamistischen Selbstmordattentäter getötet wurden, hat zwar verdeutlicht, wie wichtig die Sicherheitskooperation mit der EU ist. Doch die Vorteile von Europol wurden eher im Akademiker-Kanal Radio 4 als im Massenblatt Daily Mail diskutiert. 

Theresa May tut sich weniger mit dem Brexit als mit der Innenpolitik schwer. Im Budget für 2017 hieß es erst, Selbständige sollten mehr für ihre Sozialversicherung zahlen. Nach einem Aufstand ihrer Kernwählerschaft zog May den Vorschlag zurück. Im Partei-Manifesto verkündete sie dann eine „Demenz-Steuer“, nach der Hausbesitzer für ihre Alterspflege mit ihrem Vermögen aufkommen müssten. Wieder gab es einen Sturm der Entrüstung und May vollzog eine Kehrtwende. Schließlich kündigte sie nach Monaten, in denen sie versichert hatte, dass es „ganz sicher keine vorgezogenen Neuwahlen“ geben werde, genau diese nach einem Osterspaziergang mit ihrem Mann doch an

TV-Debatte offenbart Unsicherheit 

Von starker und stabiler Führung war bisher wenig zu spüren. Die Rechnung dafür bekam May am Montag erstmals im Fernsehen serviert. Weil sie sich weigerte, an TV-Duellen mit anderen Parteichefs teilzunehmen, trat sie bloß in einer Politshow bei Sky-News auf, bei der sie – parallel zu ihrem Kontrahenten Jeremy Corbyn – vom Publikum befragt wurde. Ein älterer Herr im Publikum trug würdevoll seine Lebensgeschichte vor, ein sozialer Aufstieg von Armut zu bescheidenem Mittelstand wurde deutlich. Ob Frau May sicher sei, dass er seinen Kindern sein sauer verdientes Häuschen wegen ihrer „Demenz-Steuer” nicht mehr vererben dürfe? Die Regierungschefin versprach zahm eine „sachgerechte Konsultation“. 

Einige Male wurde sie vom Publikum für die offensichtliche Kluft zwischen ihren Proklamationen und ihrer tatsächlichen Politik ausgelacht. Im anschließenden Gespräch mit dem Journalisten Jeremy Paxman, berüchtigt für seinen beißenden Interviewstil, fragte dieser mehrfach, ob sie wirklich glaube, der Brexit sei plötzlich gut für das Vereinigte Königreich, wo sie doch vor dem Referendum noch dagegen gekämpft hatte. „Ich glaube, wir können aus dem Brexit einen Erfolg machen”, sagte sie immer wieder. Auf Paxmans bösen Angriff, ob die EU nicht zu Recht annehmen werde, sie sei eine „aufgeblasene Angeberin, die beim ersten Windstoß umfalle”, ließ die stets beherrschte May gequält den Szenenapplaus – für Paxman – über sich ergehen.

Leichtes Spiel für Corbyn

Jeremy Corbyn dagegen muss sich mit solchen Lästigkeiten dagegen nicht abplagen. Der 68-jährige Labourlinke gab sich in dieser ersten TV-Wahlveranstaltung wie immer. Seine politischen Positionen haben sich seit 40 Jahren kaum verändert. Er will sich, wie May, um den kleinen Mann kümmern, nebenbei noch die Bahn und Post renationalisieren und hat sich als Republikaner nur mit Mühe daran gewöhnen können, dass selbst seine Partei die Queen nicht abschaffen will: „Ich habe mich sogar letztens sehr nett mit ihr unterhalten”, sagte er vergnügt. Neben einer Premierministerin im Zickzack-Kurs hat es der altmodische Mann leicht. 

Angesichts des islamistischen Anschlags von Manchester wurde Corbyn gefragt, ob es ein Fehler war, terroristische Organisationen wie die IRA oder die palästinensischen Islamisten von der Hamas unterstützt zu haben. „Ich habe immer versucht, mit allen Beteiligten in einem Konflikt eine friedliche Lösung zu finden”, antwortete der Labour-Chef salbungsvoll. Er hat das zwar bisher nicht einmal in der eigenen Partei geschafft, doch wer weiß? Labours Höhenflug in den Umfragen hat den ungeliebten Chef auch innerhalb der eigenen Reihen gestärkt. 

Verdammt schwierig und kämpferisch   

Nichtsdestotrotz wird sich Jeremy Corbyn vermutlich nicht als Premier beweisen müssen. Das Wettbüro William Hill sieht immer noch eine 6:1 Chance für eine Tory-Mehrheit. Spekuliert wird vielmehr darüber, ob Politrüpel Boris Johnson nach der Wahl Außenminister bleiben darf oder nicht. Einen Unterschied für Europa würde ein Sieg der linken Volkspartei sowieso kaum machen. Corbyn war immer schon EU-Skeptiker. Grundsätzlich unterstützen beide Parteichefs den Brexit. 

Aber wäre die kämpferische May für die EU eventuell unangenehmer als ein Corbyn, der sich dialogbereit gibt? Die Regierungschefin wirkt ja meistens so, als sei es ihr egal, ob man sie mag oder nicht. Das könnte ihr bei den Brexit-Verhandlungen mit den EU-Granden durchaus zugutekommen. In der Fernsehdebatte wurde sie gefragt, ob sie tatsächlich, wie Parteikollege Kenneth Clarke sagte, eine „verdammt schwierige Frau” sei. May konnte da nur grimmig lächeln: „Wenn es eine schwierige Frau braucht, um den Brexit zum Erfolg zu machen, dann werde ich diese Person sein.” 

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