Brexit-Referendum - Keine Sternstunde der Demokratie

Anhänger von Volksabstimmungen feiern den Brexit als souveräne Entscheidung der britischen Bürger. Dabei taugt ausgerechnet dieser Fall überhaupt nicht als leuchtendes Beispiel für die direkte Demokratie

Demonstration zum Verbleib Großbritanniens in der EU. Bild: picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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So hatten sich das die Freunde der direkten Demokratie bestimmt nicht vorgestellt. Da bekommt das britische Volk also die Gelegenheit, über die Mitgliedschaft des Königreichs in der EU abzustimmen – und hinterher ist die Unzufriedenheit größer als vorher. Natürlich gibt es immer noch viele Briten, die nach dem Referendum vom vergangenen Donnerstag noch einmal ganz genauso für den Austritt stimmen würden. Aber ob sie auch nach einer zweiten Runde noch in der (ohnehin schon knappen) Mehrheit wären, das kann inzwischen doch stark bezweifelt werden. Und wenn – vom irrlichternden Nigel Farage und seinen Freunden abgesehen – sogar führende Brexit-Befürworter nach ihrem Sieg aussehen wie begossene Pudel, dann muss wirklich etwas schief gelaufen sein.

Premierminister David Cameron behauptete zwar am Montag noch, es sei „richtig“ gewesen, „bei einer Frage dieser Größenordnung den Menschen direkt zuzuhören“. Aber von der Tatsache abgesehen, dass zwischen zuhören und abstimmen lassen mehr als nur nuancenhafte Unterschiede bestehen, erinnert diese Bekräftigung doch sehr an die Geschichte vom Mann in der Oper: Der lehnt sich während einer Aufführung zu weit aus der Loge und fällt in den Orchestergraben. Damit keiner auf den Gedanken kommt, ihm sei ein Missgeschick passiert, geht er an den folgenden Abenden immer wieder in die Oper und stürzt sich absichtlich in die Tiefe. Lieber will er als Exzentriker gelten denn als Pechvogel.

Eine Meisterleistung staatlichen Versagens

Zwar werden Exzentriker und Querköpfe auf den britischen Inseln grundsätzlich mit mehr Respekt behandelt als auf dem konformistischen Festland jenseits des Ärmelkanals. Aber hier geht es eben nicht um irgendwelche Marotten oder weltanschauliche Differenzen, sondern um die Zukunft und den Fortbestand sowohl Großbritanniens wie auch der Europäischen Union. Dass der Brexit für beide verkraftbar ist, mag sein. Dass irgendwer einen Vorteil davon hat, ist nach derzeitiger Lage nicht zu erkennen. Ganz davon abgesehen, dass Referendums-Befürworter Cameron sein Amt als Ministerpräsident verlieren und der Referendums-Gewinner Johnson selbiges kaum jemals antreten wird. Eine Lose-Lose-Situation, in die die politische Elite Großbritanniens sich selbst und ihre Bevölkerung ohne jede Not hineinmanövriert hat: Das ist schon eine Meisterleistung staatlichen Versagens.

Was bedeutet das alles aber für die direkte Demokratie? Sind plebiszitäre Elemente durch den Brexit nachhaltig diskreditiert worden? Geht es nach den Brüsseler Apparatschiks der Liga Schulz und Juncker, dann sollte das gewiss so sein. Denn sie möchten nicht nur an den unbotmäßigen Briten möglichst schnell ein Exempel statuieren, sondern auch an allen Ländern, die auf den abwegigen Gedanken kommen könnten, in europäischen Fragen das Volk abstimmen zu lassen. Das hinterlässt den schlechten Nachgeschmack, aus Sicht der Berufseuropäer sei Europa für Normaleuropäer ohnehin viel zu kompliziert. Keine gute Werbung für ein politisches Gebilde, das sich nicht zuletzt als demokratisches Großprojekt versteht.

Falsche Machart des britischen Referendums

Das britische Referendum aber ist nicht vom Grundsatz, sondern von seiner konkreten Machart her ein schlechtes Beispiel für direkte Demokratie. Denn Camerons Beweggründe, einer Volksabstimmung den Weg zu bereiten, waren bekanntlich weniger der Sache selbst geschuldet, als vielmehr dem innenpolitischen Kalkül. Es schwingt auch eine höchst unangenehme Verächtlichkeit mit, wenn politische Führungsfiguren ihrer Bevölkerung nur bei passender Gelegenheit und zum Zwecke des eigenen Machterhalts eine Sachabstimmung vor die Füße werfen. Dass andere Politiker, Boris Johnson vorneweg, bei solchen Gelegenheiten mit kalkulierter Desinformation nach höheren Ämtern streben, ist da schon fast wieder konsequent.

Unterm Strich ist der Brexit keine Sternstunde der Demokratie gewesen, sondern das Ergebnis einer elitären Demokratieverachtung. Kein Wunder, dass jetzt alle den Schaden haben.

Lesen Sie auch den Beitrag von Ralf-Uwe Beck, Bundesvorstandssprecher von Mehr Demokratie e.V., zur Brexit-Debatte: Warum wir Volksabstimmungen brauchen

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