Zwangspause war illegal - Muss Boris Johnson zurücktreten?

Boris Johnson hat das Gesetz verletzt, als er das Parlament in die Pause schickte. Dieses Urteil des Obersten Gerichts könnte das politische Aus für den Premier bedeuten. Die Opposition stellt jetzt die Vertrauensfrage

Die Nachricht von der Entscheidung des Obersten Gerichts erreichte ihn beim UN-Klimagipfel in New York: Boris Johnson / picture alliance
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Jubel brach aus, als Gina Miller vor den Obersten Gerichtshof in London trat. Die Aktivistin hat eine weitere Schlacht gewonnen: „Das Urteil des Höchsten Gerichts sagt alles. Der Premierminister muss das Parlament wieder aufsperren“. Die Geschäftsfrau hat seit dem Brexit-Referendum 2016 mehrere Klagen gegen die britische Regierung eingebracht, wenn diese das Parlament in wichtigen Entscheidungen umgehen wollte. Einstimmig urteilten die elf Richter des Höchsten Gerichtshofes am Dienstag, dass die Suspendierung des Parlaments, die Regierungschef Boris Johnson mit dem Segen der Queen am neunten September durchgesetzt hatte, ungesetzlich gewesen sei.

Vor dem Gerichtshof im Zentrum Londons versammelten sich Abgeordnete, die ankündigten, sofort ins Parlament gehen zu wollen. „Wir stehen jetzt alle zusammen, dies ist ein Sieg für die Demokratie!“, rief Anna Soubry, eine konservative Rebellin, die aus Protest gegen die Brexit-Politik der Regierung aus der Tory-Partei ausgetreten ist und jetzt als unabhängige Abgeordnete im House of Commons, dem Unterhaus, sitzt. „Boris Johnson sollte überlegen, ob er im Amt bleiben kann!“, rief Labour-Chef Jeremy Corbyn bei der Parteikonferenz im Seebad Brighton von der Rednertribüne.

Ein schwerer Schlag für Johnson

Das Chaos war perfekt. Boris Johnson wurde in New York aus dem Bett geholt, wo er beim UN-Klimagipfel weilte. „Er soll sich morgen unseren Fragen bei den „Prime Ministers Questions“ im Parlament stellen“, forderte Dominic Grieve, ein weiterer konservativer Rebell. Jeden Mittwoch stellt sich der Regierungschef traditionell den Fragen des Oppositionschefs und der Abgeordneten. Ein spöttisches Lächeln huschte über das Gesicht des ehemaligen englischen Staatsanwaltes. Er war von Boris Johnson gerade aus der Partei geworfen worden, weil er sich dessen Plänen widersetzt hatte, am 31. Oktober ohne Abkommen aus der EU auszutreten.

Das Urteil ist ein schwerer Schlag für Boris Johnson. Was aber bedeutet es konkret für die nächsten Schachzüge des Premierministers? Johnson hat es mit seiner populistisch-extremistischen Politik innerhalb von nur zwei Monaten im Amt geschafft, das Brexitchaos in seinem Land auf unerhörte Art und Weise zu verstärken. Ändert das Urteil die Brexit-Pläne der Briten? Erst einmal nicht – die Richter haben nur geurteilt, dass Johnson das Parlament nicht hätte suspendieren dürfen. Muss er deshalb zurücktreten? „Er sollte wenigstens einmal das Richtige tun“, forderte die schottische Abgeordnete Joanna Cherry, die eine der Klagen gegen die Regierung eingebracht hatte: „Boris Johnson sollte zurücktreten!“

Die Queen blamiert 

Zumindest wird sich der Druck verstärken, dass der glücklose Premier erst einmal seinen Chefberater Dominic Cummings entlässt. Dieser hatte die Brexit-Kampagne 2016 erfolgreich geführt und mit dem Slogan „Take back Control“ ausgestattet. Seit er aber in Downing Street mit Johnson eingezogen ist, gelingt ihm nichts mehr: Die Eskalationspolitik mit der EU hat bisher zu keinem neuen Abkommen geführt; die Tory-Partei wurde zur Brexit-Party umfunktioniert, was vielen Konservativen zu weit geht. Ganz zu schweigen davon, dass Boris Johnson auch die Queen in seine verantwortungslose Politik hineingezogen hat. Sie hat schließlich die Suspendierung des Parlaments absegnen müssen, die jetzt als ungesetzlich verurteilt wurde. 

Die Königin blamiert, die Glaubwürdigkeit des Regierungschefs gefährlich unterminiert. Großbritannien ist in einer Verfassungskrise gelandet – und all das fünf Wochen vor dem Brexitdatum, dem 31. Oktober.  Eine Verschiebung des Austritts ist wieder ein Stück wahrscheinlicher geworden. Genauso wie sehr baldige Neuwahlen, die einen Ausweg aus der völlig verfahrenen Situation bieten könnten.

„Wir sitzen“

Im Regierungsbezirk Whitehall herrschte am Dienstag erstmals seit langem wieder eine geradezu euphorische Stimmung. Die Gerichte haben ihre Unabhängigkeit von der Regierung bewiesen. Das Parlament hat sich als souveräne Macht im Staat zurückgemeldet. Aktivistinnen aus der Zivilbevölkerung wie Gina Miller haben Engagement gezeigt und wurden dafür belohnt. Der konservative Abgeordnete Tom Tugendhat twitterte gleich nach dem Urteil ein Foto von sich aus dem Unterhaus: „Wir sitzen...“ Als Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses war er kein Freund der Ausschaltung des Parlaments gewesen. Er hat seinen Platz auf den grünen Bänken schon wieder eingenommen. Am Mittwoch werden dort alle Abgeordneten auf Boris Johnson warten.

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