Auslandseinsätze der Bundeswehr - „Ein Versagen deutscher Außenpolitik“

Wer ist verantwortlich für das Fiasko in Afghanistan – und warum haben die Geheimdienste versagt? Der ehemalige General und Berater von Kanzlerin Angela Merkel spricht im Interview über die Lehren, die unsere nächste Bundesregierung für Mali und andere Auslandseinsätze ziehen sollte.

Taliban-Kämpfer stehen vor dem internationalen Flughafen Hamid Karzai Wache / dpa
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Autoreninfo

Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Erich Vad war General der Bundeswehr, langjähriger militärpolitischer Berater der Bundeskanzlerin und ist jetzt Unternehmensberater und Dozent an mehreren Universitäten im In- und Ausland.

Herr Vad, warum wurde die deutsche Bundesregierung dermaßen überrascht vom Vormarsch der Taliban?

Ich kritisiere die Informationspolitik des Auswärtigen Amts. Die Lageberichte der Botschaft in Kabul, die die Lage realistisch schilderten, wurden in Berlin nicht hinreichend ausgewertet. Deshalb sind sie auch nicht eingeflossen in Regierungshandeln. Und insbesondere im Hinblick auf die Evakuierung hat das die dramatischen Folgen, die wir nun beobachten können.

Aber auch aus den Geheimdiensten kamen ja offenbar keine Warnungen.

Ex-General Erich Vad

Das ist richtig. Auch der Bundesnachrichtendienst hat im Sommer ein geschöntes Bild von der Kampfkraft der afghanischen Streitkräfte gezeichnet – da stand etwa, dass diese bis 2023 durchhalten könnten. Das hat sich als völlig unrealistisch herausgestellt. Es ist deshalb etwas misslich, die Regierungschefin zu kritisieren, wenn Angela Merkel derartige Lagebilder bekommt. Das Auswärtige Amt ist federführend für die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Warum hat Heiko Maas nicht ernst genommen, was sein Botschafter geschrieben hat? Dann hätte man die Evakuierung schon viel früher einleiten können. Das ist ein Versagen deutscher Außenpolitik.

Warum zeichnet der BND geschönte Bilder? Auch die amerikanischen Dienste sind ja offenbar nicht davon ausgegangen, dass die Taliban das Land so schnell zurückerobern würden?

Generell laufen Geheimdienste immer Gefahr, Wunschdenken zu betreiben: Sie kommen zu oft zu Ergebnissen, die die Regierungspolitik unterstützen. Ganz krass hat man das im Vorfeld des Irak-Kriegs gesehen: Die CIA hat damals Beweise für Massenvernichtungswaffen geliefert, um einen Kriegsgrund gegen Saddam Hussein zu haben. Damals war der BND zurückhaltender.

Was bedeutet das im Fall von Afghanistan?

Hier haben sich die Dienste offenbar mit Lagebildern zurückgehalten, die konträr zu den politischen Absichten standen. Die Amerikaner haben politisch entschieden: Wir verlassen Afghanistan. Wenn nun die Dienste gemeldet hätten, dass dann alles zusammenbricht, wäre das auf den ersten Blick politisch kontraproduktiv gewesen. Aber was wir nun sehen, bestätigt mich in meiner Überzeugung: Die Dienste sollen berichten, was ist, und nicht, was sein soll. Das ist wichtig für richtiges Regierungshandeln. Es ist die Lehre aus diesem Fiasko.

Schauen wir auf andere Auslandseinsätze der Bundeswehr. Seit 2013 sind wir mit zwei Missionen und über tausend Soldaten in Mali aktiv. In Mali sollen staatliche Strukturen gestützt, soll die Armee kampffähig gemacht werden. Inwiefern ist das, was dort geschieht, vergleichbar mit Afghanistan?

Da gibt es gewisse Parallelen. Ähnlich wie in Afghanistan sind wir dort in einer Trainings- und Ausbildungsmission – Kampfeinsätze machen die Franzosen. Ganz allgemein sollte die nächste Bundesregierung bei unseren Auslandseinsätzen realpolitisch einschätzen: Sind unsere Ziele realisierbar? Wann und unter welchen Bedingungen gehen wir da wieder raus? Sind unsere Interessen gewahrt? Mali läuft Gefahr, eine unendliche Geschichte zu werden. Allein in diesem Jahr gab es dort zwei Putsche.

Der deutsche Mali-Einsatz wurde in diesem Frühjahr noch einmal bis 2022 verlängert. Gibt es denn im Fall von Mali klar definierte Ziele?

Die gibt es, und die gab es auch in Afghanistan, aber sie werden im Laufe des Einsatzes immer wieder verändert: Zuerst ging es darum, gegen Terroristen zu kämpfen und ihnen die Rückzugsräume zu nehmen. Dann ging es um Demokratieaufbau, Menschenrechte, Frauenrechte. Die Aufträge werden immer mehr erweitert. Innenpolitisch lassen die sich immer gut verkaufen: Wer hat schon was gegen Demokratisierung und Frauenrechte? Aber in Afghanistan war das am Ende eine Überforderung für uns.

Und in Mali?

In der Sahelzone haben wir ein Interesse, Teil der Mission zu sein, weil es darum geht, Flüchtlingsströme zu stoppen und als Partner von Frankreich Flagge zu zeigen. Aber man muss die Frage stellen: Ist das realistisch? Hängt das ab von den paar hundert Mann, die dort Ausbildung betreiben? Ich will nicht sagen, dass man möglichst schnell nach Hause soll. Aber man darf nicht Gefahr laufen, in ein ähnliches Fiasko zu geraten wie in Afghanistan.

Gleichzeitig ist es seit etwa zwei Jahrzehnten in weiten Teilen der Politik verbreitet, davon zu sprechen, dass Deutschland seiner Verantwortung gerecht werden muss. Und nicht nur, wie in den ersten 50 Jahren der Existenz der Bundesrepublik, Geld zu zahlen und die anderen die Drecksarbeit machen zu lassen.

Diese Rhetorik hört man ja seit Jahren. Es ist richtig, dass wir uns von der Scheckbuchdiplomatie fortbewegt haben hin zu Truppenstellern, die Soldaten entsendet haben. Aber in der Normalität sind wir nicht angekommen: Von echten Kampfeinsätzen der Bundeswehr im Ausland wollen wir nichts wissen. Da muss man sich die Frage stellen: Wozu entsenden wir dann überhaupt Streitkräfte ins Ausland? In Afghanistan sind wir auch erst sehr spät in echte Kampfeinsätze hineingeschlittert, aber ohne dass wir das wollten. So kam es, dass in Kundus deutsche Fallschirmjäger kämpften und starben, und man gleichzeitig in Deutschland diskutierte, ob das nun ein Krieg ist oder nicht.

Aber ist die deutsche Öffentlichkeit denn zu mehr bereit? Selbst diese Kampfeinsätze, die nicht so genannt werden sollten, haben ja schon für große Diskussionen gesorgt.

Nein, sie ist nicht bereit dazu. Deshalb sollten wir das auch nicht machen. Dann sollte man überlegen, ob man nicht lieber das Technische Hilfswerk schickt und Brunnen bohrt. Daran schließt sich die Überlegung an: Wozu brauchen wir überhaupt die Bundeswehr, wenn wir eigentlich nicht bereit sind, sie als Streitkraft in Kampfeinsätze zu schicken? Dann kann man die 46 Milliarden pro Jahr auch woanders hinstecken.

Was passiert denn in Mali, wenn sich die Situation dort verschlechtert und die Bundeswehr wider Willen in Gefechte gerät?

Wenn es zu Kämpfen in Mali käme und zu toten Soldaten, dann würden die Deutschen aus Mali abziehen, das steht außer Zweifel. Ganz allgemein ist es ein Problem westlicher Streitkräfte, dass wir mit solchen Einsätzen nicht mehr unsere politischen Ziele erreichen können. In Afghanistan sind wir von einer Bauernarmee, von Moped-Guerillas mit Kalaschnikows und Turnschuhen aus dem Land getrieben worden.

Vielleicht auch, weil die wussten, wofür sie kämpfen, und wir nicht?

Richtig. Peter Struck hat ja mal gesagt, Deutschland werde am Hindukusch verteidigt. Aber so richtig überzeugend war das nicht. Und mit jedem Jahr wurde es weniger überzeugend.

Das Gespräch führte Moritz Gathmann.

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