Asien statt Europa - Wie sich die Türkei neue Freunde sucht

Nicht erst seit der jüngsten Drohung des türkischen Außenministers – Flüchtlingsdeal nur gegen baldige Visafreiheit – kriselt es zwischen der EU und der Türkei. Ankara hat sich außenpolitisch längst umorientiert

Der türkische Präsident Erdogan und Syriens Machthaber Assad im Februar 2011 / picture alliance
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Autoreninfo

Ramon Schack ist Journalist und Buchautor mit Sitz in Berlin. Zuletzt erschienen seine Bücher „Neukölln ist nirgendwo“ und „Begegnungen mit Peter Scholl-Latour“.

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Zunächst ein kurzer historischer Abriss: Nach dem Zweiten Weltkrieg, vor allem mit dem Nato-Beitritt der Türkei 1952, vollzog sich eine vorsichtige Anpassung Ankaras an die demokratischen Gepflogenheiten des Westens. Die mächtige Armeeführung hingegen beobachtete die zunehmende Liberalisierung des Landes, darunter auch das Wiedererstarken der Religion, welche unter Atatürk als Machtfaktor ausgeschaltet worden war, misstrauisch.

Die hohe Generalität holte schließlich zum Putsch gegen den damaligen Ministerpräsidenten Menderes aus, ließ diesen sogar hinrichten, als seine Politik auf Konfrontationskurs mit den laizistischen Vorstellungen geriet. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass die Armee putschte. Dies war Ausdruck der Spannungen zwischen einer sich formierenden Zivilgesellschaft, die vielfältige und auch widersprüchliche Facetten entfaltete, und den Gralshütern einer staatlichen Ordnung, deren Garant die Armee war.

Beistand für Erdogan aus der EU

Der Antrag auf Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union, damals noch EG genannt, verstärkte den Druck, den europäischen Vorstellungen von Meinungsfreiheit, parlamentarischer Kontrolle und Rechtsstaatlichkeit nachzukommen. Die überaus mächtige Position des Militärs stieß bei den Vertretern der EU auf Ablehnung, wurde sogar als Stolperstein auf dem Weg in die EU interpretiert.

Es konnte nicht ausbleiben, dass ein Politiker vom Schlage Erdogans in eine offene Konfrontation mit der allmächtigen Generalität der türkischen Armee und ihrer auf kemalistischen Laizismus eingeschworenen Staatsdoktrin gerät. Als es darum ging, den Einfluss der Armee zu beschränken, unterstützten die europäischen Befürworter des EU-Beitritts ihn damals fleißig.

Die EU verliert für Ankara ihren Reiz

Mit der Entmachtung der Generäle wird nun jedoch die letzte Hürde auf dem Weg in eine Islamische Republik beseitigt. Nach dem gescheiterten Putsch, wer und was auch immer dahinter stecken mag, wird der innenpolitische Machtfaktor Armee mehr und mehr ausgeschaltet.

Die nachlassende Strahlkraft der EU, die durch den Brexit beschleunigt wird, lässt die aufstrebenden Märkte und Mächte in Zentralasien und China für Ankara verlockender erscheinen. Mit der EU befindet sich die Türkei ohnehin im Konflikt: Präsident Erdogan warf der EU vor, beim Flüchtlingsdeal bisher nur „symbolische Summen“ überwiesen zu haben, was von der EU-Kommission energisch zurückgewiesen wurde.

Auch im Verhältnis zur USA stehen die Zeichen wegen des Predigers Fethullah Gülen auf Sturm. Ankara baut den 75-Jährigen als Drahtzieher des Putsches auf und fordert seine Auslieferung. Die Wut Erdogans ist gegen den global ausgerichteten Verein Gülens gerichtet. In seinen Reden kündigte Erdogan die „Verfolgung dieses Rivalen bis in seine Höhle“ an. Ferner wurde in AKP-nahen Medien die Meldung lanciert, die USA wären im Vorfeld von den Putschplänen informiert gewesen, was man in Washington scharf dementierte.

Annäherung an Russland

Unterdessen ist Erdogan um eine Aussöhnung mit Russland bemüht, ein Treffen zwischen den beiden Staatsoberhäuptern wurde noch für den August vereinbart. Russische Medien behaupten auch den Grund für die schnelle Annäherung zu kennen: Der russische Geheimdienst soll Erdogan wenige Stunden vor dem Putsch über das Vorhaben des Militärs informiert haben.

Die spannende und für den Westen sogar existenzielle Frage dabei ist, ob das eine radikale Kehrtwende von Ankaras außenpolitischer Doktrin einleiten wird?

So wird darüber spekuliert, ob die Türkei der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) beitreten könnte. Die SCO, der neben China und Russland die mittelasiatischen Republiken Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan angehören, wurde einst gegründet, um den Einfluss der USA in Zentralasien zu mindern. Eine SCO-Mitgliedschaft wäre wohl deshalb nicht mit einer Mitgliedschaft in der Nato vereinbar.

Die neue Verbündeten: Iran und Assad?

Auch in Richtung Teheran sendet Ankara neuerdings freundliche Signale, nachdem das Verhältnis zwischen der Türkei und Iran aufgrund der unterschiedlichen Positionen im syrischen Bürgerkrieg zuletzt angespannt war.

Teheran und Russland unterstützen den syrischen Staatschef Assad, während Ankara seine Entmachtung forderte – bisher zumindest.

Erdogan, der noch vor einigen Jahren mit den Assads seinen Urlaub verbrachte, ist aber auch hier flexibel. Für die Türkei ist es von größtem Interesse, die syrischen Kurden im Zaum zu halten, um ein Übergreifen des kurdischen Separatismus auf das eigenen Staatsgebiet zu verhindern. Bekommt Ankara diesbezüglich Unterstützung, wird Erdogan auch im syrischen Bürgerkrieg Zugeständnisse machen.

Steht der Bruch mit den USA bevor?

Eine Ausrichtung auf Saudi-Arabien, den Gegner Irans und Verbündeten der USA, mit dem dort verankerten Wahhabismus ist für die türkische Regierung unvorstellbar, ja sogar ein Tabu.

Der Bruch mit den USA, mit denen Ankara früher aufs engste verbunden war, bahnt sich an. Dann aber steht auch die Mitgliedschaft in der Nato auf dem Spiel. Für die Nato ist die Türkei von immenser strategischer Bedeutung. Ob das umgekehrt noch gültig ist, darf bezweifelt werden. Welche politische Position der Westen angesichts der geopolitischen Umbrüche in der Region einnehmen wird, ist zur Stunde höchst ungewiss.

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