Anschläge gegen Kopten - „Es geht nicht um Christen gegen Muslime“

Gleich zwei Mal hat der IS am Palmsonntag Anschläge gegen die koptische Gemeinde in Ägypten verübt, dabei kamen mehr als 40 Menschen ums Leben. Der Pastor der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde Kairos, Stefan El Karsheh, über die tiefe Betroffenheit im Land und was die wiederholten Anschläge für die dortigen Christen für Auswirkungen haben

Christen und Muslime trauern gemeinsam um die Opfer in Ägypten / picture alliance
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Julia Mirkin studiert Philosophie und Politikwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Sie arbeitet für Cicero Online.

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Hannah Fuchs studiert Philosophie an der Universität Wien. 

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Herr El Karsheh, am Palmsonntag traf der Terror erneut die koptische Gemeinde in Ägypten. Bei gleich zwei Anschlägen auf koptische Kirchen kamen mehr als 40 Menschen ums Leben. Wie haben Sie von den Anschlägen erfahren?
Interessanterweise habe ich als erstes durch ein deutsches Nachrichtenportal von den Anschlägen gehört. Dann habe ich den Ticker der deutschen Botschaft, mit dessen Sicherheitsabteilung wir hier vernetzt sind, aufgerufen, wo der Verdacht bestätigt wurde. Dort haben wir genauere Informationen und Sicherheitshinweise erhalten.

Muss man als Christ in Ägypten mit Anschlägen rechnen?
Gerechnet habe ich damit definitiv nicht. Vorkommnisse gegen Christen gab es vereinzelt immer. Der Anschlag im Dezember traf uns überraschend und mitten ins Herz: So ganz ohne Respekt vor den heiligen Räumen, den Gebeten der Menschen und ihrem Glauben. Sowohl seitens der Christen, als auch der Muslime wird der Glaube der Anderen hier in Ägypten sehr ernst genommen. Insofern hat es uns fassungslos gemacht, dass sich so ein Ereignis nun an zwei Orten in solch einem Ausmaß wiederholt hat.

Wirken sich die Anschläge auf Ihr Leben, besonders als Pastor, aus?
Es gibt natürlich ein Gefühl einer allgemeinen Bedrohungslage, was aber abstrakt ist und sich darin äußert, dass man wachsamer ist und sich informiert. Sonst fühle ich mich nicht bedroht. Ich gehe in meiner Amtstracht nach draußen und erlebe das genaue Gegenteil dessen was man erwarten sollte. Ich erlebe wahnsinnig viel Respekt.

Haben Sie bei Ihren Bekannten ein verändertes Verhalten im Alltag feststellen können?
Man wird von einer noch größeren Zahl von Sicherheitskräften durchgecheckt, wenn man zum Gottesdienst geht. Und es ist seit einiger Zeit nicht mehr möglich, mit dem Auto zur Kirche zu fahren. Natürlich wird das Osterfest dieses Jahr für Kopten mit einer gewissen Trauer einhergehen. Es werden sicherlich Tränen fließen und man wird dem Leben der Opfer gedenken, doch wird man nicht aufhören, seine Feste zu feiern. Auch sehe ich nicht, dass die Leute mit einer größeren Ängstlichkeit unterwegs sind.

Fühlen Sie sich sicher?
Das Polizeiaufkommen an Feiertagen wird deutlich höher sein, man wird uns vermutlich ermahnen Kameras vor unserer Kirche aufzubauen. Aber das alles bringt ja nichts. Jedem von uns ist klar, und das ist mittlerweile auch in Deutschland angekommen, dass wir mit einem gewissen Risiko leben, weil es Terrorismus und Fanatiker gibt. Man muss damit umgehen, dass vollständige Sicherheit nicht herzustellen ist.

Wollen Sie denn weiterhin in Ägypten leben?
Ja. Wenn man sich überlegt, ob man in einem Land leben will oder nicht, betrachtet man die Gesamtlage. Über die wird größtenteils nicht berichtet. Ägypten hat ein großes wirtschaftliches Problem. Wir können beobachten, wie die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft und wie diese Entwicklung das Land immer weiter destabilisiert. Der Terror, wie wir ihn gerade erleben, ist nur ein Teil des gesamten Lebens in Ägypten.

Gewöhnt man sich an den Terror?
Durch das Leben in Deutschland sind wir eine andere Perspektive gewohnt. Rechtssicherheit ist selbstverständlich und lange Zeit kannte man keinen Terror – das war der Normalfall. Da erscheint das Leben hier zunächst als Sonderfall, aber das ist es nicht. Das Leben in Deutschland war der Sonderfall. Europa war der Sonderfall. Ein Leben ohne Terror und Gewalt erleben zu dürfen, ist eben etwas, das nicht normal ist.

Präsident Abdel Fattah el-Sisi präsentiert sich als Beschützer der Christen. Trauen Sie ihm?
Al-Sisi hat dadurch, dass er die Ära der Muslimbrüder beendet hat, einen großen Vertrauensvorschuss bei den Christen. Wir begrüßen es, dass er zu wichtigen Gottesdiensten in der Kirche erscheint und sich aufgeschlossen zeigt. Er hat versprochen, dem IS und den Kämpfen im Sinai Einhalt zu gebieten und will einen Schutzwall gegen jeglichen islamischen Terror errichten. Auf der anderen Seite ist klar, dass er dieses Versprechen nicht einhalten kann. Der Sinai lässt sich nicht beherrschen und trotz des hohen Sicherheitsaufgebotes auch nicht der Terror an den Kopten verhindern.

Sollte die ägyptische Regierung etwas dafür tun, damit Christen in Ägypten ihre Religion sicherer und freier ausüben können?
Wenn man verhindert möchte, dass sich radikale Gruppen bilden, dann ist es ein guter Weg, die beteiligten Gruppen an einen Tisch zu bringen. Extremisten bilden sich aus, wenn man radikale Strömungen nicht ins Gespräch einbezieht. Das wird hier in Ägypten nicht ausreichend gemacht. Ob al-Sisi alle muslimischen Gruppen miteinbezieht, ist die Frage.

Nach einer Reise von Ägypten erklärte Angela Merkel, die koptischen Christen in Ägypten hätten „eine sehr gute Situation für die Ausübung ihrer Religion“.
Hier müssen wir unterscheiden, von welcher Seite wir sprechen. Wenn wir es von staatlicher Seite betrachten, dann stimmt ihre Aussage. Es gibt keine vom Staat ausgehende Diskriminierung. Was jedoch vorkommt und was es auch immer gab, sind einzelne Regionen, wo sich verschiedene Gruppen nicht verstehen oder die Konflikte auf einer ganz anderen Ebene liegen; zwischen Nachbarn oder in der Familie, dann spielt der Religionsunterschied auf einmal eine Rolle. Aber dabei sind nicht nur die Christen, sondern genauso die Muslime gefährdet.

Was wünschen Sie sich als Deutscher in Ägypten von der Kanzlerin, um die Lage in Ägypten zu stabilisieren?
Ich würde mir mehr Unterstützung für Ägypten als Ganzes wünschen. Also vor allem zu helfen, dass die wirtschaftliche Lage stabilisiert wird, damit Meinungsfreiheit und das Ausleben eigener Interessen möglich werden. So wird verhindert, dass Radikalismen sich weiter verselbstständigen.

Nun wird der Ausnahmezustand verhängt. War das der richtige Schritt?
Für mich bedeutet ein Ausnahmezustand, dass die Regierung mehr Sicherheitskräfte einsetzen darf, um vor Ort die Sicherheitslage zu verbessern. Sprich Soldaten einzusetzen, um in wichtigen Städten Sicherheit zu schaffen. Außerdem kann schneller ein Versammlungsverbot erhoben werden, um schneller zugreifen zu können, wenn sich irgendwelche angespannten Situation ergeben. Das ist allerdings für Ägypten, anders als in Deutschland, nichts ungewöhnliches.

Ein weiterer Aspekt des Ausnahmezustandes ist, dass Verhaftungen ohne Haftbefehl durchgeführt werden dürfen. 
Ja, so etwas passiert hier nun mal. Das ist Teil des Alltags, den man hier miterlebt. Der Umgang mit der Opposition und Meinungsfreiheit befindet sich grundsätzlich in einem kritischen Zustand, auch schon vor dem Ausnahmezustand.

Wie erleben Sie die Maßnahmen konkret?
Das Militär ist an allen prekären Stellen präsent. Es gibt seit geraumer Zeit - das ist ja auch in den Medien bekannt - Verhaftungen von Oppositionellen. Fernsehsendungen werden eingestellt, die sich zu kritisch gegenüber politischen Entscheidungen verhalten. Jetzt kann man sich fragen, ob eine nächste Stufe gezündet wird, um noch mehr präsidiale Gewalt zu etablieren. Das ist jederzeit möglich. Ob daraus der Konflikt weiter geschürt wird, das vermag ich nicht zu sagen. Er ist ein weiteres Instrument, das benutzt wird, um einen starken Staat herzustellen, den Terrorismus einzudämmen und zersetzende Kräfte aufzuhalten. Diese sind es, die die Gesellschaft spaltet, auch unter den Muslimen.

Droht auch eine Spaltung zwischen Christen und Muslimen?
Es geht nicht um Christen gegen Muslime. Der Anschlag ging nicht vom Islam aus, sondern war ein radikaler Akt von einzelnen Personen. Al-Sisi versucht mit seiner Politik Brücken zu schlagen und durch Einbezug seines Rats alles zusammenzuhalten – da ist das Militär sehr stark vertreten. Der Vorfall darf nicht zu pauschal gesehen werden, es war ein Anschlag nicht nur gegen die Christen, sondern genauso gegen die Regierung. Hier geht das Band durch die ganze Gesellschaft und es gibt eine große christlich-muslimische Solidarität.

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