Brandrodung am Amazonas - Spiel mit dem Feuer

Der Amazonasregenwald ist die Schatzkammer der Flora und Fauna. Er ist unser doppelter Boden im Kampf um das Klima. Um ihn vor weiterer Zerstörung zu schützen, muss schnell gehandelt werden. Doch Präsident Jair Bolsonaro denkt nicht daran. Der Grund: eine brasilianische Doktrin

Die grüne Lunge der Erde, bedeckt von Asche / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Jannik Wilk ist freier Journalist in Hamburg. 

So erreichen Sie Jannik Wilk:

Anzeige

Der Amazonasregenwald in Brasilien, das wichtigste Waldgebiet unseres Planeten, steht in Flammen. Zu großen Teilen. Die Rauchwolke ist bereits so groß wie Europa und zieht durch Südamerika. Seit nunmehr drei Wochen brennt diese Schatzkammer der Artenvielfalt. Neunzig Prozent der Tier- und Pflanzenwelt leben in tropischen Regenwäldern. Die Bilder der brennenden Bäume stimmen traurig, und man sieht dabei nicht einmal die Lebewesen, die vor der Feuerhölle fliehen oder in ihr verenden, die Lichtungen, Wasserfälle und Flüsschen, die im lodernden Rot verschwinden. Was passiert, wenn der Amazonasregenwald weg ist?

Als wäre das nicht tragisch genug, verlieren wir mit dem Amazonasgebiet auch das Netz und den doppelten Boden unseres Weltklimas, die grüne Lunge der Erde. Die eine Hoffnung, dass wir das Ruder doch noch herumreißen können. Mindestens sechs Prozent unseres Sauerstoffes produziert dieser unendlich wirkende Wald, der offensichtlich doch endlich ist. Viel wichtiger aber: Er speichert so viel CO2, wie die Menschheit in einer Dekade freisetzt.

Verschwindet er, sind alle weiteren Versuche, das Klima zu retten, vergebens. Aus, vorbei. Dann ist Zeit, einzupacken, sich in die Erde einzugraben, klimageschützt, und von dort an wie Maulwürfe als Erdvolk zu hausen. Herzlichen Glückwunsch.

Warum brennt das Amazonasgebiet?

Aber wieso brennen plötzlich im Amazonasgebiet mehr als siebzigtausend Feuer, die schon nach Bolivien und Paraguay vorgedrungen sind? Das liegt zum einen an der heißen und langen Trockenphase im Becken des Amazonas. Ein anderer Grund, der fassungslos macht: Brandstiftung. Es sind Brasilianer, die die Feuer legen. Landbesitzer, Spekulanten und Bauern dehnen ihre Flächen so illegal aus. Das wird von den örtlichen Autoritäten oft toleriert. Viehzüchter begingen sogar einen „Tag des Feuers“, legten gemeinsam Brände. Sie wollen Arbeit. Die bekommen sie nur, wenn kein lästiges Geäst im Weg liegt.

Nun kommt das Thema langsam, mit sträflicher Verspätung, in Europa an. Plötzlich schrillen die Alarmglocken, mit einem Mal berichtet die Presse. Auch die Politiker äußern sich. Der französische Präsident Emmanuel Macron ließ sich zu einem Weckruf hinreißen. Er schrieb: „Unser Haus steht in Flammen“. Dies sei „eine internationale Krise“. Dann schlug er vor, erste Maßnahmen mit den G7 bei ihrem Treffen in Biarritz, Frankreich, zu bereden, als ersten Punkt der Tagesordnung. Es muss gehandelt werden, so der Konsens, entschieden und bestimmt. Sonst fällt uns das Dach unseres Hauses auf den Kopf. Der Dachstuhl glüht schon. Gezimmert ist er aus Tropenholz.

Dafür bedürfte es aber der Unterstützung von Brasilien und dessen Regierung. Derjenige aber, der dort entscheidet, was getan wird, Präsident Jair Bolsonaro, denkt gar nicht daran. Bolsonaro, der die Brände bis vor kurzem einfach ignorierte, hegt eine tiefe Abneigung gegen Umweltschutz, hält ihn für Geldverschwendung, etwas für „Veganer, die nur Grünzeug essen“. Der Klimawandel? Hält seine Regierung für eine marxistische Verschwörung. Er streute unlängst die Vermutung, Umweltschützer hätten die Feuer selbst gelegt, um sich für gestrichene Gelder zu rächen. Interesse, seinen hauseigenen Garten zu retten, zeigt er nicht. 

„Wir werden den Amazonas ausbeuten!“

Im Gegenteil, er will ihn an das Agrarbusiness verscherbeln, der brasilianischen Wirtschaft opfern. Viele würden das nicht offen zugeben, weil das eine Haltung offenbart, bei der man als vernünftiger Mensch den Kopf schüttelt. Nicht so Bolsonaro. Er geht mit seiner umweltfeindlichen Haltung hausieren, propagiert sie, vertritt sie mit voller Überzeugung, eben genau wie seine menschenverachtenden, gewaltverherrlichenden oder homophoben Ansichten auch. Insofern ist er konsequent. Kürzlich sagte er etwas, dass für den Rest der Welt wie eine Drohung klang: Man werde den Amazonas ausbeuten.

Seine Meinung begründet er in der Regel so: „Im Moment läuft unsere Wirtschaft fast nur durch das Agrarbusiness. Aber das ist gehemmt, erstickt von diesen Umweltthemen.“ In einem hat er Recht: Die Agrarwirtschaft ist die wohl wichtigste Säule der brasilianischen Volkswirtschaft. Millionenfach werden Rindfleisch, Soja oder Mais in die Welt verschifft. Die Politik ist abhängig vom Agrarbusiness: Landwirte und Großgrundbesitzer stellen in den Parlamenten die größte Fraktion. „Wir sind eure Regierung“, versprach Bolsonaro neulich den Landbossen auf einer Versammlung.

Brasilien war einst ein Musterbeispiel für Umwelt- und Klimaschutz. Als dann Bolsonaro gewählt wurde, war bereits klar, dass der Amazonasregenwald von nun an mächtige Probleme bekommen würde. Seitdem er regiert, haben sich die Entwaldungsraten vervielfacht. Er entmachtete die Umweltbehörde, hetzte gegen NGOs, die indigenen Völker, deren Heimat der Regenwald ist, stutzte ihre Reservate zusammen. Oder er unterstützte Goldgräber, die zu Hunderttausenden in den tiefen Wäldern nach glitzernden Steinchen wühlen, und dabei mit Quecksilber den Amazonas verseuchen, weil der Mensch dafür Unsummen an Papiergeld zahlt. Er relativierte, dass sie in eigentlich geschützte Gebiete eindringen, die Ureinwohner vertreiben, ja sogar deren Häuptlinge ermorden.

Das Rebellentum Brasiliens liegt in dessen Geschichte

Nun versucht die internationale Gemeinschaft, einzugreifen. Ein Vorgehen, auf das die Brasilianer, angestachelt durch Bolsonaro, allergisch reagieren. Ihre Sicht der Dinge geht so: Der Amazonasregenwald gehört uns, nur uns. Wir können damit machen, was wir wollen. Und ihr nehmt uns weder ihn noch seine Bodenschätze weg. Wenn wir ihn wirtschaftlich erschließen oder roden, dann ist das unsere Angelegenheit, unsere allein!

Darin liegt ein rebellischer, nationalistischer Trieb. „Wir können nicht akzeptieren, dass der Rest der Welt uns in Sachen Amazonas belehrt“, sagte General Augusto Heleno Peirera, Sicherheitsberater der Regierung. Dieses Denken, diese Linie, hat Bolsonaro über die letzten Monate, in denen er ohnehin für die Rodungen kritisiert wurde, kultiviert und in die Köpfe vieler Brasilianer festgesetzt. Paradox dabei ist, dass der Regenwald die Brasilianer eigentlich nie sonderlich interessiert hatte.

Erfunden hat er diese Linie nicht. Sie wurzelt in der kolonialistischen Vergangenheit Brasiliens und in den sechziger Jahren. Seitdem nämlich hängt vor allem das Militär, das in Brasilien hohe politische Macht besitzt, der paranoiden Doktrin an, die Welt wolle Brasilien den rohstoffreichen Amazonasregenwald wegnehmen. Daher müsse man ihn wirtschaftlich erschließen und besiedeln. In Bolsonaros Kabinett sitzen alte Generäle, die tief daran glauben. Er selbst steht dem Militär nahe und beschönigt die Zeit, in der es Brasilien in eine Diktatur zwang. 

Überzeuge, wer nicht überzeugt werden will

Wie also bringt man Bolsonaros Brasilien zur Vernunft? Der Präsident wird seine Linie nicht verlassen, und die meisten Vorschläge wird er im zuvor beschriebenen Duktus verteufeln. Macrons Vorstoß etwa nannte Bolsonaro eine „koloniale Mentalität“, weil Brasilien beim G7-Gipfel in Frankreich am Wochenende nicht dabei ist, wo ausgeknobelt werden soll, was gegen die Waldbrände getan wird. Man redet also wieder über und nicht mit Brasilien, möchte darüber bestimmen. Und den Brasilianern stellen sich die Nackenhaare auf. Zwar sprach er davon, dass Brasilien gesprächsbereit sei, solange man mit dem Land spreche und nicht über das Land. Allerdings sind die potenziell daraus resultierenden Ergebnisse fragwürdig.

Bolsonaro hat nicht einmal etwas dagegen, dass der Amazonasregenwald brennt. Er will es so. Aktuell wurden in Brasilien offizielle Regierungsdokumente geleaked, die zeigen, dass Bolsonaro und seine Regierung den Amazonas vorsätzlich zerstören wollen. Ein Mittel dazu: Hassreden auf indigene Völker und Minderheiten, und wirtschaftliche Erschließung. Bolsonaro hat also eine sehr genaue Agenda. 

Mit Klimamoralismus oder Umweltromantik wird man den brasilianischen Präsidenten nicht überzeugen können. Er sitzt seinen eigenen Phantasmen auf. Die einzige Sprache, die Bolsonaro, ein Typ ganz ähnlich wie Trump, verstehen wird, ist die Sprache des Geldes. Nur an dieser Stelle kann man ihn treffen.  

Die Lösung heißt Mercosur

Nicht zwingend mit wirtschaftlichen Sanktionen, auf die Bolsonaro erneut trotzig reagieren könnte. Sondern vielmehr wie Irland das nun getan hat: Die Regierung drohte dem Präsidenten offen damit, das geplante Mercosur-Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und einer Handvoll lateinamerikanischer Staaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay), über das seit zwanzig Jahren verhandelt wird, nicht zu unterzeichnen. Sollte Bolsonaro nicht handeln und „seinen Umweltschutzpflichten“ nachkommen. Frankreich schlug in dieselbe Kerbe.

Clever. Das trifft mitten ins Schwarze. Denn Bolsonaro und Brasilien wünschen sich nichts sehnlicher, als den europäischen Markt mit Soja, Fleisch und Mais zu beliefern. Das Abkommen würde Brasilien einen großen wirtschaftlichen Schub geben. Es bleiben noch zwei Jahre bis zu der Abstimmung über Mercosur. Bis dahin wolle Irland die Umweltpolitik Brasiliens genau beobachten.

Tatsächlich sollte die EU sich geschlossen der Forderung Irlands anschließen. Dann könnte Bolsonaro einknicken. Das Problem: in der Zeiten der Handelskriege braucht die EU neue, lukrative Handelspartner. Aber mit wem Handel treiben, wenn die Erde wüst und leer wird?

Es geht nur gemeinsam

Bolsonaro räumte unterdessen ein, dass sein Land ohnehin nicht die Mittel habe, die Feuer unter Kontrolle zu bringen. Das Amazonasgebiet sei größer als Europa. Es fehlten die Ressourcen. Ein Grund mehr für eine gemeinsame internationale Intervention, um die grüne Lunge unserer Welt zu retten. Wenn man Brasilien deutlich macht, dass man nicht seine Souveränität beschneiden, oder dessen Bodenschätze abschöpfen will, sondern einfach nur den Schutz des Regenwaldes fordert, unserer Umwelt – dann gibt es vielleicht doch noch Hoffnung für unseren Planeten. Auch für die Schatzkammer der Artenvielfalt. 

Anzeige