Ägypten - Tourismushochburgen gleichen nun Geisterstädten

In Kairo spricht man von „Zusammenbruch" – seit dem Absturz der russischen Chartermaschine über dem Sinai im Oktober 2015 sind überall in Ägypten die Tourismuszahlen eingebrochen. Russen, die bisher den größten Teil der Touristen in Ägypten ausmachten, sollen erst im Herbst wiederkommen

dpa /picture alliance
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Martin Gehlen ist Journalist und berichtet aus der arabischen Welt.

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„Der Tourismus hisst die weiße Fahne“, titelte kürzlich eine Kairoer Zeitung. Noch nie zuvor erlebte die Sonnenbranche Ägyptens so finstere Zeiten. „Das ist kein Einbruch, das ist ein Zusammenbruch“, klagte Amani El-Torgoman, Vorstandsmitglied des nationalen Tourismusverbandes und Generaldirektorin beim größten heimischen Reisekonzern Travco. Der Badeort Sharm el-Sheikh gleicht seit Monaten einer Geisterstadt. Einsam plärren die Musikboxen in den leeren Cafés entlang der Promenade am Roten Meer. Das Spielkasino ist verrammelt, die Parkplätze davor genauso leer wie das Rollfeld des Flughafens. Manchmal landet noch eine Chartermaschine aus der Ukraine, Weißrussland oder Saudi-Arabien. Die meisten der wenigen Gäste sind Ägypter oder Araber aus den Golfstaaten. Ahmed Mahmud arbeitet seit neun Jahren in Sharm el-Sheikh, was lange als Vorzeigeprojekt der heimischen Urlaubsbranche galt. „So beschissen war es noch nie“, sagt der 39-Jährige, der sein Geschäft normalerweise mit T-Shirts und pharaonischen Souvenirs macht. „Aber was können wir tun? Wir können nur auf bessere Zeiten hoffen.“

Besucherzahlen kollabiert

Seit dem Absturz der russischen Chartermaschine im vergangenen Oktober über dem Nordsinai mit 224 Toten, der nach Moskauer Erkenntnissen durch eine an Bord geschmuggelte Bombe verursacht wurde, sind nicht nur in Sharm el-Sheikh, sondern in ganz Ägypten die Besucherzahlen kollabiert. Derzeit liegen sie noch bei einem knappen Drittel der Rekordwerte im letzten Mubarak-Jahr 2010, als 14,7 Millionen Feriengäste das Land am Nil besuchten. In diesen goldenen Zeiten steuerte die Branche elf Prozent zum Bruttosozialprodukt bei.

Heute dagegen stehen die vielen Hotels mehr oder weniger leer egal ob in Kairo oder am Roten Meer, auf dem Südsinai oder entlang der gegenüber liegenden Seite in Hurghada. 70 Prozent der 250 Tauchzentren haben aufgegeben, 500 Baderessorts zugemacht. Von den 260 Hotelschiffen auf dem Nil zwischen Luxor und Assuan fahren noch ein Dutzend. 600.000 der insgesamt 900.000 Hotelangestellten wurden nach Angaben des ägyptischen Hotelverbandes in den letzten fünf Jahren arbeitslos. Und Besserung ist nicht in Sicht.

Deutsche größte Touristengruppe unter den Europäern

Denn die populären Charterflüge von Russland ans Rote Meer, vormals mit drei Millionen Besuchern die größte Kundengruppe, sollen frühestens wieder im Herbst beginnen. Auch die britischen Reisekonzerne, die eine Million Gäste an ägyptische Strände brachten, nennen derzeit September oder Oktober als Rückkehrtermin. Und so sind momentan die Deutschen die größte Touristengruppe unter den Europäern. Aber auch ihre Zweifel an der Sicherheit und Stabilität Ägyptens wachsen. Die Italiener bleiben weg, seit der italienische Doktorand Giulio Regeni schwer gefoltert und totgeschlagen am Rande der Autobahn von Kairo nach Alexandria gefunden wurde, und Ägypten die römischen Ermittler mit immer neuen Fahndungspossen an der Nase herumführt.

Weltweites Entsetzen löste auch der Hubschrauberbeschuss von mexikanischen Wüstentouristen aus, bei dem im letzten September zwölf Menschen starben. Bis heute gibt es, wie bei dem abgestürzten russischen Ferienflieger, keinen offiziellen Untersuchungsbericht Ägyptens, der das Unglück aufklärt, Verantwortliche benennt und gar zur Rechenschaft zieht. In Mexiko-Stadt möchte man vor allem wissen, warum der Kampfpilot die Touristen insgesamt drei Stunden lang unter Feuer nahm, also auch zu einem Zeitpunkt, als er seinen Irrtum längst hätte erkannt haben müssen.

Zweifel an der Sicherheit

Obendrein sind die Sicherheitsexperten Russlands und Großbritanniens unverändert skeptisch bei den Kontrollen in ägyptischen Terminals. Ein erstes Teilgutachten der britischen Firma Control Risk, die im Auftrag Kairos die sieben internationalen Flughäfen des Landes unter die Lupe nimmt, kam zu wenig schmeichelhaften Ergebnissen. Vor allem der Zugang zum Rollfeld, wo die Flugzeuge geparkt oder abgefertigt werden, sei unzureichend gesichert, befanden die Gutachter. Die Kontrollen des Bodenpersonals seien lax, die Zäune um die Flugplätze faktisch unbewacht. Auch argwöhnen die ausländischen Fachleute, dass der Arbeitseifer ihrer ägyptischen Scanner-Kollegen sofort wieder in den üblichen Schlendrian zurückfällt, sobald ihnen niemand mehr auf die Finger schaut. Die Russen verlangen daher, dass ihr Sicherheitspersonal künftig permanent auf ägyptischen Flughäfen stationiert wird. „Das ist absolut inakzeptabel“, hieß es dazu empört in Kairo. „Das verletzt die ägyptische Souveränität.“

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