Abschied von der EU - Briten stimmen für den Brexit

Das Votum fiel knapp aus: Die Briten verlassen die Europäische Union. Premierminister David Cameron kündigte seinen Rücktritt bis Oktober an, Rechtspopulist Nigel Farage sprach von einem „Unabhängigkeitstag“

Premierminister David Cameron will bis Oktober sein Amt niederlegen / picture alliance
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Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Großbritannien verlässt die Europäische Union. Laut BBC sind alle Wahlbezirke ausgezählt: Bei dem Referendum stimmten 51,9 Prozent der Wahlberechtigten für einen Austritt des Landes. 48,1 Prozent votierten für einen Verbleib.

Der britische Premierminister David Cameron erklärte noch am Vormittag seinen Rücktritt bis Oktober. In einer Rede vor seinem Amtssitz in 10 Downing Street sagte er, er wolle in den kommenden Wochen und Monaten versuchen, das „Schiff auf Kurs“ zu bringen. Cameron hatte das Referendum ausgelöst und dann für einen Verbleib der Briten in der EU gekämpft.

Das Votum hat weltweit für Turbulenzen an den Märkten gesorgt. Der Pfund verlor gegenüber dem Euro um 6,5 Prozent. Der Dax stürzte um zehn Prozent ab. Auch die Gemeinschaftswährung gab deutlich nach. Der britische Notenbankchef Mark-Joseph Carney erklärte: „Es wird eine Phase der Unsicherheit und der Anpassung nach diesem Ergebnis geben.“ In einer Erklärung gab die Bank of England bekannt, dass sie nicht zögern werde, weitere Maßnahmen zu ergreifen, wenn erforderlich.

Das „Brexit“-Lager jubelte. Der europafeindliche UKIP-Chef Nigel Farage sagte, der 23. Juni werde als „Unabhängigkeitstag“ in die britische Geschichte eingehen.

Bei der Auszählung gab es regionale Unterschiede: In Wales und England lag das Brexit-Lager deutlich von, dagegen stimmten London, Nordirland und Schottland klar für einen Verbleib in der Europäischen Union. Die Wahlbeteiligung lag bei 72,1 Prozent. Das war nach Angaben der BBC mit 30 Millionen Bürgern die höchste Wahlbeteiligung seit 1992.

In Europa reagierten die Menschen mit Entsetzen. Angela Merkel drückte in einer kurzen Stellungnahme ihr Bedauern über den Ausgang der Abstimmung aus: „Es gibt nichts drum herumzureden, der heutige Tag ist ein Einschnitt für Europa, er ist ein Einschnitt für den europäischen Einigungsprozess.“ Außerdem rief Merkel zu mehr Besonnenheit und Gelassenheit auf. Sie würdigte die Europäische Union als „einzigartige Solidar- und Wertegemeinschaft. Sie ist unser Garant für Frieden, Wohlstand und Stabilität.“ Für Montag kündigte sie ein europäisches Krisentreffen an.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier nannte die Nachrichten aus Großbritannien „ernüchternd“. Bei Twitter sprach er von „einem traurigen Tag“ für Europa und Großbritannien.

Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, bezweifelte indes, dass nun auch weitere EU-Staaten austreten könnten. „Die Kettenreaktion wird es gar nicht geben“, sagte er im ZDF-„Morgenmagazin“. Er sprach sich für einen schnellen Beginn der Trennungsverhandlungen zwischen der EU und Großbritannien aus. Eine „Hängepartie über Jahre“ sei für keine der beiden Seiten von Interesse. Schulz sah die Schuld für den Sieg der EU-Gegner auch beim britischen Premierminister David Cameron. Dieser habe „große Verantwortung auf sich geladen“.

Die Erste Ministerin Schottlands Nicola Sturgeon erklärte, dass ein erneutes Referendum über die Unabhängigkeit ihrer Region nun „sehr wahrscheinlich“ sei. Es sei demokratisch unakzeptabel, dass Schottland nun gegen seinen Willen aus der Europäischen Union gezogen werde. Das Ergebnis habe gezeigt, „dass die Menschen Schottlands ihre Zukunft als Teil der Europäischen Union sehen“. Alle 32 schottischen Lokalbezirke hatten überwiegend für den Verbleib gestimmt.

Der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Manfred Weber, hat den britischen Austritt aus der EU bedauert, jedoch deutlich gemacht, dass sich nunmehr Großbritannien in einer schwierigen Lage befinde. Die Briten stehen jetzt allein und sind nicht mehr Teil der Familie. Sie haben ein Problem, nicht wir, sagte der CSU-Politiker im Fernsehsender phoenix.

Dagegen zeigten sich die Rechtspopulisten in Deutschland hocherfreut. AfD-Vizechefin Beatrix von Storch erklärte bei phoenix: „Ich habe geweint vor Freude. Der 23. Juni sei ein historischer Tag. Kommissionspräsident Juncker und Parlamentspräsident Schulz müssen jetzt Verantwortung übernehmen und zurücktreten, denn ihr Projekt ist gescheitert, sagte Storch.

Die deutsche Wirtschaft erwartet nach dem Brexit Nachteile. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Markus Kerber, sagte im Deutschlandfunk, besonders betroffen seien die Branchen Automobile, Chemie, Elektro und Maschinenbau. Diese würden sich künftig mit Investitionen in Großbritannien zurückhalten. In Großbritannien arbeiten seinen Angaben zufolge rund 400.000 Menschen in den Niederlassungen deutscher Unternehmen.

Letztes Update: 15:40 Uhr

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