UN-Untersuchungskommission zu Syrien - Zwischen Anspruch und Realität

Die Sonderermittlerin für Syrien, Carla Del Ponte, hat ihren Rücktritt aus der UN-Untersuchungskommission mit scharfer Kritik verbunden. Ohne Frage ist das System der Vereinten Nationen reformbedürftig. Doch ohne die UN-Berichte würden Kriegsverbrechen wohl nie aufgeklärt werden

Carla Del Ponte hat nach fünf Jahren als UN-Sonderermittlerin für Syrien resigniert / picture alliance 
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Lars Hauch ist freier Journalist mit dem Themenschwerpunkt Syrien und Irak. Er publiziert bei verschiedenen deutschsprachigen und internationalen Medien.

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Carla Del Pontes Rücktritt als Mitglied der Untersuchungskommission der Vereinten Nationen für Syrien wird kontrovers diskutiert. Während einer Podiumsdiskussion am Rande des Filmfestivals in Locarno hatte Del Ponte Anfang August ihren Rücktritt bekannt gegeben und auch gleich mit den Vereinten Nationen abgerechnet. Die Kommission sei nutzlos und lächerlich. Nach fünf Jahren als Sonderermittlerin habe sie resigniert. 

Das Medienecho fiel unterschiedlich aus. Einerseits wurde Del Pontes persönlicher Frustration mit Verständnis begegnet. Allerdings zeuge die Begründung für ihren Rücktritt von einer erstaunlichen Naivität und Unkenntnis, hieß es. Es sei falsch, der Untersuchungskommission Tatenlosigkeit vorzuwerfen, bloß weil der blockierte UN-Sicherheitsrat kein Sondertribunal für die Kriegsverbrechen in Syrien einrichte. Vielmehr habe die Kommission in den vergangenen Jahren trotz widriger Rahmenbedingungen Informationen gesammelt, die für die Aufarbeitung des Krieges von großer Bedeutung seien.

Andererseits wurde Del Pontes Kritik an den Vereinten Nationen geteilt. Die Berichte der Untersuchungskommission seien sinnlos, solange es kein Sondertribunal gebe, also einen vom Sicherheitsrat legitimierten Gerichtshof für die Kriegsverbrechen in Syrien. Del Pontes Rückzug führe vor Augen, wie sehr die UN in Syrien versagt hätten.

Parallelen zu Kofi Annan

Ist Del Pontes Rücktritt nun die Folge persönlicher Frustration oder ein wichtiges Zeichen, um auf die Untätigkeit der viel beschworenen internationalen Gemeinschaft aufmerksam zu machen? Immerhin hat der Krieg mehr als zehn Millionen Syrer in die Flucht getrieben und hunderttausende getötet. Die Antwort ist: Beides trifft zu.

Der Rücktritt der 70-jährigen Schweizerin, die acht Jahre als Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag für die Kriegsverbrechen in Jugoslawien sowie für den Völkermord in Ruanda fungierte, weist Parallelen zu Kofi Annans Rücktritt als UN-Sonderbotschafter für Syrien im Jahr 2012 auf: Auch Annan übte damals scharfe Kritik am UN-Sicherheitsrat, dessen Unterstützung für seine Arbeit er als unzureichend bezeichnete.

Russlands Veto

Die Untersuchungskommission wurde im August 2011 auf Initiative des UN-Menschenrechtsrats mit dem Auftrag gebildet, Menschenrechtsverletzungen in Syrien zu untersuchen. Von eben jenem Menschenrechtsrat wurde auch die entsprechende Resolution verabschiedet. An dieser Stelle begannen die Probleme: Die Untersuchungskommission ist auf den UN-Sicherheitsrat angewiesen, wenn es darum geht, die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen der Justiz zuzuführen. Dazu wird es allerdings im Fall des Assad-Regimes schon deshalb nicht kommen, weil das verbündete Russland als Vetomacht jede entsprechende Resolution verhindern kann. Del Pontes Wahrnehmung, sie sei nicht mehr als eine „Alibi-Ermittlerin“, ist deshalb nachvollziehbar. Genauso nachvollziehbar ist die allzu menschliche Reaktion, aus einer gefühlten Ohnmacht heraus die Position der Sonderermittlerin nicht mehr besetzen zu wollen. 

Del Pontes Kritik an den UN-Institutionen und insbesondere dem UN-Sicherheitsrat verdeutlicht das Spannungsfeld zwischen Anspruch und Realität internationalen Rechts. Letzteres ächtet von Staaten ausgehende Gewalt gegen die eigene Bevölkerung. Doch in der Praxis ist das verhältnismäßig junge Rechtsgebiet oft nur so stark, wie die Staaten es zulassen. Ohne Konsens im Sicherheitsrat gibt es keine bindenden Entscheidungen. Und ohne bindende Entscheidungen folgen keine Konsequenzen.

Ein Kampf gegen Windmühlen

Belanglos ist das Völkerrecht samt der Vereinten Nationen deswegen jedoch nicht. In einer prinzipiell anarchischen Welt sind sie so etwas wie der unverzichtbare, kleinste gemeinsame Nenner. Die zahlreichen im Syrienkrieg involvierten Staaten versuchen vor allem ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Gerechtigkeit kann es im Rahmen dieses Machtpokers nur selten geben. Entsprechend führt die Sonderermittlerin in einer Kommission für die Untersuchung von Kriegsverbrechen stets einen Kampf gegen Windmühlen. Diesen Kampf hat Carla Del Ponte sechs Jahre lang erfolgreich ausgetragen. 

Einen Frieden wird es in Syrien in absehbarer Zeit nicht geben. Der Krieg ist zum Alltag geworden. Dennoch werden die Menschen in Syrien eines Tages vor der enormen Herausforderung stehen, die Gräueltaten aufzuarbeiten. Die dutzenden detaillierten Berichte der Untersuchungskommission können dazu einen wichtigen Beitrag leisten, da sie chronologisch und umfassend Verbrechen dokumentieren, die angesichts des täglichen Leids schwer zu fassen sind. Sei es seitens des Assad-Regimes, der bewaffneten Opposition, islamistischer Gruppen, der Dschihadisten, kurdischer Milizen oder der USA.

Del Pontes Rücktritt bedeutet nicht das Ende für die Kommission. Paulo Sérgio Pinheiro und Karen Koning AbuZayd, die zwei weiteren Personen an der Spitze, dankten ihr für ihre unermüdliche Arbeit, während UN-Generalsekretär António Guterres die Wichtigkeit sowie das Fortbestehen der Untersuchungskommission beschwor. Carla Del Ponte hat eine persönliche Entscheidung getroffen und diese öffentlichkeitswirksam in Locarno verkündet. Damit hat sie einerseits Aufmerksamkeit für einen präsenten und doch vergessenen Krieg erzeugt. Offen bleibt andererseits, ob ihre Kritik an dem fraglos reformbedürftigen System der Vereinten Nationen Früchte tragen kann. 

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