Krise der Schweizer SVP - Bodenlos

In der Schweiz verliert die SVP, die Partei des milliardenschweren Zürcher Unternehmers Christoph Blocher, eine Wahl nach der anderen. Ihr Populismus fällt nicht mehr auf fruchtbaren Boden. Doch ihr Niedergang bietet ihr auch eine Chance der Erneuerung

Christoph Blocher betrachtet die SVP als sein Eigentum/ picture alliance
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Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Was gibt es nicht alles zu berichten, seit die „Schweizerische Volkspartei“ bei den Zürcher Gemeindewahlen reihum Sitze verlor: Die SVP sei entzaubert, sie habe ihr Sieger-Image verloren, zu einer Partei in Angst sei sie geworden, die Basis probe den Aufstand gegen ihren ewigen großen Vorsitzenden. Was ist geschehen? 

In den städtischen Agglomerationen ist das Volk nicht mehr so selbstverständlich SVP-Volk. Es findet plötzlich Gefallen an Freisinnigen und Sozialdemokraten. Vor allem Letztere genießen den Zuspruch urban sozialisierter Bürgerinnen und Bürger. Hetze gegen die EU plus plus Hetze gegen Migranten genügt nicht mehr. Was also muss die SVP tun, um mit den modernen Wähler-Milieus mitzukommen? Die Themen wechseln? Das Spektrum ihrer Politik erweitern? 

Die SVP führt Krieg

Beides wäre leicht getan – und auch für den Oligarchen Christoph Blocher, der die Partei als dynastisches Eigentum betrachtet, keine Zumutung. Ihm geht es vor allem um den Erfolg. Und was Erfolg garantiert, das macht man. So lautet nun mal das erste Gebot des Populismus. Doch die Sache ist komplizierter – denn sie ist viel simpler. Die grösste Schweizer Partei repräsentiert eine ganz eigene politische Kultur: Sie ist unkultiviert. Sie liebt die primitive Sprache. Sie ist vernarrt in die Grobheit. Sie führt Krieg. Ja, die SVP kultiviert die politische Unkultur. 

Man kann es auch als Manko beschreiben: Die SVP inszeniert sich als frei von Geist, frei von Bildung, frei von Empathie. So böse, bitter und bissig, wie der Stammtisch schimpft, so schimpft auch die SVP. Denn sie ist das Volk und das Volk ist sie. Bodenlos niveaulos, dafür hemmungslos aggressiv. Bisher hat diese Formel funktioniert.  Die Partei, die mit Friedrich Traugott Wahlen einst einen weltoffenen Aussenminister stellte, die mit dem Historiker Walther Hofer im Nationalrat über eine außenpolitische Autorität verfügte, für die der Staatsrechts-Denker Ulrich Zimmerli im Ständerat saß – diese Partei ist heute intellektuell entkernt. 

Die Bürgerschaft wird anspruchsvoller

Und das ist ihr Problem. Denn die Komplexität von Welt und Zeit lässt die Bürgerinnen und Bürger nicht unberührt. Die Informations- und Bildungsgesellschaft verändert das Volk in seinen Wünschen und Erwartungen, sogar das SVP-Volk, das auch im ländlichen Raum mit welthaltigen Problemen konfrontiert wird – und welthaltige Antworten sucht. Die Bürgerschaft wird anspruchsvoller: intellektuell und kulturell. Sie erwartet Bildung und Anstand. 

Doch solche Qualitäten zählen nicht zum Wesen des populistischen Unwesens. Der Verzicht auf Nachdenklichkeit und Differenzierung ist Programm. Die Politik wird reduziert auf den Gegensatz von Freund und Feind. Die Herabwürdigung der politischen Debatte zum emotionalen Schlachtfeld ist – nicht nur in der Schweiz – die Konstante des Populismus. 

Wie soll sich die SVP davon befreien – und populistisch bleiben? Abschwören, ohne abzuschwören? Es bleibt ihr wohl nichts als eine Rückkehr zur Bürgerlichkeit. Die Schweiz hat die erste große populistische Partei Europas hervorgebracht, auch die erste Oligarchen-Partei. Damit war die SVP Avantgarde. Womöglich wird sie gerade erneut zur Avantgarde: durch ihren Niedergang.

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