Deutschland und Frankreich - Ziemlich beste Freunde

Die deutsch-französische Freundschaft hat die Epoche der Nachkriegszeit geprägt. Doch ausgerechnet vor der richtungsweisenden Wahl in Frankreich scheint das Verhältnis der Nationen ausgehöhlt. Was das für Auswirkungen auf Europa hat

Blicken sie zu sehr in die Vergangenheit? Angela Merkel und François Hollande / picture alliance
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Autoreninfo

Claus W. Schäfer ist Geschäftsführer des Zentrums für Angewandte Geschichte (ZAG) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Der promovierte Historiker forscht zu den deutsch-französischen Beziehungen, berät Familien, Unternehmen und Verbände bei der History Communication und untersucht die Entstehung und Entwicklung der modernen Outdoor-Sportarten.

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Wenn Politiker in Europa die Zukunft beschwören, haben sie in der Regel die Vergangenheit im Kopf. Zuletzt ist Frank-Walter Steinmeier der Faustregel gefolgt, als der Bundespräsident bei seinem Antrittsbesuch in Paris die Europäische Union für ebenso „unverzichtbar“ erklärte wie die deutsch-französische Freundschaft. Die Erklärung zeigt, dass der ehemalige Außenminister zwar die traditionellen Denkmuster der westdeutschen Außenpolitik verinnerlicht hat, aber die diese Tradition in Frage stellenden Rahmenbedingungen des 21. Jahrhunderts nicht wirklich im Kopf hat. Insofern ist auch Frank-Walter Steinmeier wie die meisten Europa-Politiker mehr Nachlassverwalter als Zukunftsgestalter.

Souveränitätsgewinne und -verluste

Das „Erbe“, das die Europäer bewahren wollen, geht im Kern auf französische Initiativen nach dem Zweiten Weltkrieg zurück, die die außenpolitischen Ambitionen des gerade gegründeten westdeutschen Teilstaates strukturell beschränken sollten. Mit dem Vorschlag der Vergemeinschaftung der deutschen und französischen Kohle- und Stahlproduktion unternahm der französische Außenminister Robert Schuman vor mehr als 65 Jahren den ersten Schritt. Das mit den Benelux-Ländern und Italien vollzogene Integrationsprinzip wurde in den Römischen Verträgen vor 60 Jahren erweitert und vertieft. Vertiefung und Erweiterung – dieser Logik ist die institutionelle Einigung des Kontinents bis zur Schaffung der Europäischen Union vor 25 Jahren gefolgt.

Dass die einzelnen Integrationsschritte mit mehr oder minder großen Souveränitätsverzichten verbunden gewesen sind, fiel für die Bundesrepublik nicht ins Gewicht. Unterm Strich machte Bonn – bis zur Wiedervereinigung – einen erheblichen Souveränitätsgewinn, trotz der Einführung des Euro und der Europäischen Zentralbank, die die deutsche Einheit gekostet hat. Paris und London haben in der Summe durch die europäische Integration eher ein Minus zu verbuchen, jedenfalls was die staatliche „Souveränität“ der stolzen Länder betrifft. Die Bilanz erklärt das Unbehagen, das Briten, aber auch Franzosen gegenüber Europa empfinden.

Kein Wunder, dass die einen für den Brexit gestimmt haben und die anderen den Frexit in Erwägung ziehen. Jedenfalls finden sich bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen in Frankreich links wie rechts Kandidaten, die zumindest die Neuverhandlung der europäischen Verträge, wenn nicht den EU-Austritt des Landes in Aussicht stellen. Nur der Mainstream-Kandidat der Mitte, Emmanuel Macron, fühlt sich noch dem europäischen „Weiter so“ verpflichtet. Die Parole ist Bundeskanzler Helmut Kohls Leitspruch gewesen, sie kann der Politik im 21. Jahrhundert nicht mehr Richtschnur sein. Denn die deutsch-deutsche Vereinigung hat die europäischen Einigung auf eine neue Grundlage gestellt. Dass der sogenannte 2+4-Vertrag die Karten neu verteilt hat, fiel den Beteiligten in den neunziger Jahren nicht auf. Wurde doch unter dem bis 1998 regierenden Helmut Kohl weiter nach den alten Regeln gespielt – trotz der grundlegenden Machtverschiebung in Europa. 

Auf und Ab der Beziehungen

Die Verschiebungen im deutsch-französischen Verhältnis bekamen erst mit dem Regierungsantritt Gerhard Schröders ein Gesicht. Der Niedersachse hat die deutschen Interessen mit einer Verve vertreten, die dem Pfälzer Kohl in den bilateralen Beziehungen fremd gewesen ist, was nicht zuletzt Jacques Chirac auf dem gescheiterten EU-Gipfel von Nizza zu spüren bekam. Die deutsch-französischen Differenzen über Art und Weise der europäischen Erweiterung konnten mit einer Intensivierung und Vereinfachung des im deutsch-französischen Vertrages von 1963 festgelegten Konsultationsmechanismus überwunden werden. Zumal sich der deutsche Bundeskanzler vom französischen Präsidenten in seiner Ablehnung des amerikanischen Irak-Krieges unterstützt sah. Dass sich zu den Zweien Wladimir Putin gesellte, ist der Ursprung der besonderen Beziehungen, die Schröder im Anschluss zu Putin pflegte.

Angela Merkel konnte nach Gerhard Schröder nicht ohne Weiteres auf den Präsidenten der Republik setzen. Dem Franzosen waren nach der Ablehnung des EU-Verfassungsentwurfes in seinem Land die Hände gebunden. Zudem blieb ihr der noch zwei Jahre amtierende Jacques Chirac genauso fremd wie zunächst sein Nachfolger Nicolas Sarkozy. Dass sich die deutsche Bundeskanzlerin mit Louis de Funès-Filmen auf das erste Treffen mit diesem französischen Staatspräsidenten vorbereitet haben soll, ist bekannt. Unbekannt ist, welcher Streifen ihr empfohlen worden ist.

Kein Happy End für „Merkozy“

„Balduin, der Geldschrankknacker“ wäre jedenfalls nicht die richtige Wahl gewesen, denn Nicolas Sarkozy entpuppte sich in der Banken- und Staatsfinanzkrise der späten Nuller-Jahre als der Partner, auf den sich Angela Merkel in Europa verlassen konnte. Kein Wunder, dass die Bundeskanzlerin den Président sortant im Wahlkampf 2011 unterstützte, zumal Sarkozy in Frankreich Reformen ins Werk setzte. Die vergleichbare Agenda 2010 wurde in Deutschland zwar von den Sozialdemokraten auf den Weg gebracht, aber auch von den Christdemokraten goutiert, spätestens seit sie davon profitierten.

Trotz der Unterstützung feierten „Merkozy“ kein Happy End. Dass die Parteinahme Angela Merkels François Hollandes Bereitschaft gestärkt hätte, nach der Wahl auf die deutsch-französischen Beziehungen zu setzen, kann nicht behauptet werden. Im Gegenteil hatte die Weigerung der Bundeskanzlerin, den so genannten Fiskalpakt neu zu verhandeln, wie das der sozialistische Präsidentschaftskandidat hingegen angekündigt hatte, die bilateralen Beziehungen weiter angespannt. Der quasi zum Ausgleich gewährte EU-Wachstumspakt hat dem Franzosen nicht wirklich weitergeholfen, sortierte er doch nur bestehende EU-Mittel neu, ohne zusätzliche bereitzustellen. So verkleinerte Merkels Europapolitik Hollandes Handlungsspielraum. Ein Grund, warum seine Präsidentschaft so krachend gescheitert ist.

Ukraine-Konflikt zeigt Grenzen der Partnerschaft

Dass sich trotz der Differenzen die bilateralen Beziehungen als stabil erwiesen haben, hat auch mit dem Druck zu tun, den Putin mit seiner Annexionspolitik erzeugt hat. Die Ironie der Geschichte ist, dass sich der russische Staatspräsident von den Europäern – sie hatten der Ukraine Beitrittsoptionen zur Nato und EU eröffnet – zu der aggressiven Außenpolitik genötigt sah. Nach der Annexion der Krim sahen sich wiederum Angela Merkel und François Hollande bemüßigt, Wladimir Putin in die Schranken zu weisen. Mit überschaubarem Erfolg. Das sogenannte „Normandie-Format“ gelangte an seine Grenzen, als im Frühjahr 2015 der Konflikt in der Ostukraine eskalierte. Mit einem Waffenstillstand konnten François Hollande und Angela Merkel zwar die Lage beruhigen, aber das Problem nicht lösen. Nicht nur der Ukraine-Konflikt zeigt die Grenzen der deutsch-französischen Aktionsgemeinschaft auf internationalem Feld. Auf der Bühne zeigt sich auch, dass die Grande Nation der deutschen Außenpolitik nur mehr Feigenblatt ist, der französische Staatspräsident nicht nur der rechtspopulistischen Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen als eine Art externer „Vize-Kanzler“ der Bundesrepublik erscheint.

Europa muss sich neu formieren

Dass das Brexit-Votum nicht zu einer Aufwertung der deutsch-französischen Beziehungen führte, spricht für den Befund, dass die besonderen Beziehungen über den Rhein „ausgehöhlt“ sind, wie das Nicolas Sarkozy ausgedrückt hat. Kein Wunder, dass das Paar Partner sucht, wie zuletzt in Versailles, als sich Angela Merkel und François Hollande mit Matteo Renzi (Italien) und Mariano Rajoy (Spanien) trafen. Ein weiteres Indiz, dass die EU nicht mehr handlungsfähig ist und in immer kleinere Aktionseinheiten der Willigen zerfällt. Das ist die Zukunft. Europa wird sich aus den souveränen Staaten des Kontinents neu formieren müssen, die äußere Sicherheit der Beteiligten garantieren, ihre Außengrenzen sichern und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schaffen müssen, die den Wohlstand aller Beteiligten mehren. Mehr Europa brauchen die Europäer im 21. Jahrhundert nicht.

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