Reform des Stabilitätspakts - Ein Staatsschulden-Diätplan ohne Erfolgsaussichten

Die neue Variante des Stabilitäts- und Wachstumspakts wird keinen Abbau der Überschuldung der Eurostaaten bewirken. Eine wirkungsvolle Reform wäre möglich, müsste aber gegen die EZB und die Banken durchgesetzt werden.

Die Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt / dpa
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Autoreninfo

Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute mit Sitz in Köln. Zuvor war er Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe und Leiter von Deutsche Bank Research. Davor bekleidete er verschiedene Funktionen bei Goldman Sachs, Salomon Brothers und – bevor er in die Privatwirtschaft wechselte – beim Internationalen Währungsfonds in Washington und Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Thomas Mayer promovierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und hält (seit 2003) die CFA Charter des CFA Institute. Seit 2015 ist er Honorarprofessor an der Universität Witten-Herdecke. Seine jüngsten Buchveröffentlichungen sind „Die Vermessung des Unbekannten“ (2021) und „Das Inflationsgespenst“ (2022).

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Übergewicht ist für viele Menschen nicht nur eine körperliche und psychische Belastung, sondern auch ein Gesundheitsrisiko. Zum Abnehmen wurden über die Jahrzehnte unzählige Diäten propagiert, die jedoch keine dauernden Erfolge brachten. Ob die Wunderdroge Wegovy nun den Durchbruch erzielt, bleibt abzuwarten. Was für die Menschen das Übergewicht ist, stellt für Staaten die Überschuldung dar. Und die verschiedenen Variationen des Stabilitäts- und Wachstumspakts sind die bisher wirkungslosen Diätpläne zur Entschuldung der Eurostaaten. Nun hat sich der Rat der Finanzminister auf einen neuen Diätplan geeinigt. Doch anders als von Wegovy für das Übergewicht sollte man sich davon keinen anhaltenden Abbau der Überschuldung der Eurostaaten versprechen.

Schon vor der Schuldenexplosion in der Zeit der Pandemie erwies sich der ursprüngliche Stabilitätspakt samt seinen Variationen und Ergänzungen als zahnloser Tiger. Statt auf die als Aufnahmekriterium in die Währungsunion vereinbarte Schuldenquote von 60 Prozent zu fallen, stiegen die Schulden in der Währungsunion vor allem in den südeuropäischen Ländern tendenziell weiter. 

Auch die Schuldenkrise von 2010–2012 brachte keine Wende zum Besseren. Entgegen den vertraglichen Vereinbarungen wurden überschuldete Staaten durch gemeinschaftliche Verschuldung vor dem Bankrott gerettet. Aber statt dies als Weckruf zur Entschuldung zu betrachten, verschuldeten sich viele Staaten zur Milderung der Folgen der Pandemie weiter, manche bis über die Halskrause. Die Aussetzung des Stabilitätspakts beseitigte alle Hemmungen. Vor und nach der Pandemie wurde die Schuldenbremse, zu der sich alle EU-Länder verpflichtet hatten, nur von Deutschland und wenigen anderen Ländern respektiert. Schließlich wurde für viele der Schuldenberg so groß, dass eine Rückkehr zu den Bestimmungen des Stabilitätspakts unmöglich erschien. Zur Wahrung des Scheins einer Rückkehr zu fiskalpolitischer Disziplin wurden in der nun beschlossenen Reform des Pakts die Anforderungen so sehr verwässert, dass ihre Erfüllung nicht völlig unmöglich aussehen sollte.

 

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Länder mit Staatsschulden von mehr als 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sollen ab 2025 fünf Jahre lang ihre Schuldenquote um im Durchschnitt ein Prozent pro Jahr verringern. Allerdings soll die Verpflichtung zur Schuldenreduktion im Falle von Wirtschaftsreformen und größeren Investitionen bis auf sieben Jahre ausgedehnt werden können. Bis 2027 sollen auch hohe Zinsausgaben als Entschuldigung für einen langsameren Schuldenabbau angeführt werden können. Länder mit Staatsschulden in Höhe von weniger als 90, aber mehr als 60 Prozent des BIP brauchen ihre Schuldenquote nur um 0,5 Prozent des BIP pro Jahr zu verringern. 

Das Defizit des Staatshaushalts soll weiterhin nicht mehr als drei Prozent des BIP betragen. Damit es jedoch in Zeiten der Rezession diese Grenze nicht übermäßig übersteigt, sollen die Länder ein strukturelles Defizit von nicht mehr als 1,5 Prozent des BIP anstreben. Dahin sollen sie kommen, indem sie zunächst ihr Defizit um 0,4 Prozent pro Jahr und, wenn nötig, in den folgenden vier bis sieben Jahren um weitere 0,25 Prozent pro Jahr verringern. Die bisher übliche Androhung, Verletzungen der Schuldenregeln mit Geldstrafen zu belegen, bleibt erhalten. Doch wurde diese Drohung noch nie wahrgemacht und dürfte auch künftig folgenlos bleiben.

Durchlöchert mit Ausnahmen

Die neue Diät zur Verringerung der Überschuldung folgt dem sprichwörtlichen Wunsch „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“. Verwässerte Ziele zur Entschuldung werden mit Ausnahmen durchlöchert und ihre Verletzung kaum mit Sanktionen belegt werden. Der reformierte Pakt gleicht einem zerlaufenden Schweizer Käse mit vielen Löchern. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird er daher ebenso wenig erfolgreich sein wie die früheren Anstrengungen zur Verringerung der Schulden. Wie bei der Eindämmung der Fettleibigkeit wäre ein grundlegend neuer Ansatz nötig, in dem die Entschuldung der Staaten mit einer Geldreform verbunden wäre. Die Einführung eines digitalen Euro könnte eine Gelegenheit dafür bieten. 

Wie ich schon seit längerem und mehrfach ausgeführt habe, könnten die schon auf der Bilanz des Eurosystems akkumulierten Staatsschulden mit weiteren Staatsanleihen ergänzt und als Deckungsstock für die Ausgabe des digitalen Euro als „Vollgeld“ verwendet werden (siehe hier und hier). Dadurch würde nicht nur das Geldsystem stabiler und die Währungsunion vollendet (in der es noch immer keine gemeinsame Versicherung für Bankeinlagen gibt), sondern es könnte auch ein erheblicher Teil der Staatsschulden aus dem Markt genommen werden. 

Echte Geldreform notwendig

Allerdings müssten durch entsprechende Programmierung des digitalen Euros Vorkehrungen getroffen werden, dass die monetäre Finanzierung der Staatsverschuldung durch das Eurosystem nicht wiederholt werden kann. Eurostaaten würden bei erneuter Überschuldung bankrottgehen können und müssen. Statt neues Geld durch Kreditvergabe zu schaffen, müssten sich die Banken begnügen, vorhandenes Geld in Form von Spareinlagen zur Weiterreichung als Kredite einzuwerben.

Ein mit der Geldreform verbundener Neustart der Währungsunion müsste gegen den Willen der Banken und der Europäischen Zentralbank durchgesetzt werden. Denn die Banken würden die Geldschöpfung als Einnahmequelle und die Zentralbanker ihre lukrativen Jobs verlieren. Zu einer Geldreform bräuchte es daher Politiker mit Weitsicht und Mut. Diese Eigenschaften sind bei dem gegenwärtigen Personal nicht zu finden. Stattdessen dürfte die Überschuldung anhalten und langfristig zum Verfall des Geldwertes führen.

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