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picture alliance/Anatoly Maltsev

Militarisierung - Putin rüstet auf und die Russen applaudieren

Am Tag des Sieges nahm Putin auf der Krim eine Militärparade ab. So versuchte er Stärke zu demonstrieren. Doch die Re-Militarisierung der russischen Gesellschaft begann lange vor der Annexion der Krim

Autoreninfo

Tomas Sacher ist ein tschechischer Journalist. Er leitete das Wirtschaftsressort des Magazins „Respekt“ und moderiert Debatten zur Politik und Wirtschaft. Er lebt in Berlin und Prag

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Die Nachricht provozierte eine Welle von Witzen. Im vergangenen Jahr entsorgte die russische Armee vierzigtausend Pferdegasmasken aus den 1940er Jahren. Und es war nicht die einzige bizarre Meldung. Statt klassischer Wintersocken, so war zu lesen, mussten die russischen Soldaten in den kalten Regionen des Landes bis vor Kurzem einen billigen geradezu mittelalterlichen Ersatz nutzen: Lappen.

Am Tag des Sieges, an dem Russland mit vielen Paraden an das Ende des zweiten Weltkrieges erinnert, versucht Präsident Putin andere Botschaft auszusenden. Stärke soll seine Armee demonstrieren, modern soll sie wirken und einsatzbereit. Putin feiert den Sieg der Roten Armee über Nazi-Deutschland auf der Krim trotz der Kritik Angela Merkels und anderer europäischer Politiker. Die Botschaft ist eindeutig: Wenn es sein muss, nutzen wir in den politischen Auseinandersetzungen mit dem Westen auch militärische Argumente.

Die Re-Militarisierung der russischen Gesellschaft begann jedoch lange vor der Annexion der Krim und der Krise in der Ukraine. Seit Jahren bereits setzt Präsident Putin auf mehr Militär und mehr Waffen und er weiß die Mehrheit der Russen hinter sich. Diese sehnt sich zurück in die Zeit der großen Siege.  

„Signal militärischer Stärke ist eindeutig“


Es ist bekannt, dass Wladimir Putin den Zusammenbruch der Sowjetunion für die größte geopolitische Katastrophe des Zwanzigsten Jahrhunderts hält. Die Ukraine-Krise verdeutlicht, wie das Land versucht, diese Wunden zu heilen oder zumindest, den alten Ruhm wiederzuerlangen. „Das Signal der Kontinuität mit der Sowjetunion und ihre militärischer Stärke ist eindeutig“, erklärt John Melvin vom Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI).

Seit ein paar Jahren bereits beobachtet das schwedische Institut eine Änderung der russischen Strategie. In einem speziellen Aufrüstungsprogramm will Russland bis 2020 etwa 700 Milliarden Dollar ausgeben. In absoluten Zahlen wären dies zwar immer noch weniger Militärausgaben als in den USA. Auf die Amerikaner entfielen im Jahr 2012 insgesamt 37 Prozent der weltweiten Militärausgaben, (Russland 5 %, China 11 %, Großbritannien 3,3 %, Deutschland 2,8 %). Doch gemessen am BIP haben die Russen mit ihrem Fünf-Prozent-Anteil die USA bereits überholt. Während die meisten anderen Länder ihre Militärbudgets zuletzt verringert haben, stieg das russische. Unter anderem baut Russland etwa hundert neue Militärbasen, viele davon in der Nähe der Grenze zu Europa. Die russische Armee ist derzeit nach der amerikanischen die zweitgrößte in der Welt.

Mit der Re-Militarisierung wurde in Russland auch das Denken in den Kategorien des Kalten Krieges wiederbelebt. „Wir erkennen die alten Namen und und Symbolen“, sagt John Melvin von SIPRI. Die Politiker in der Ukraine würden als faschistisch dargestellt und als Anhänger von Stepan Bandera, einem ukrainischen Nationalisten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Nicht nur die russische Armee wird derzeit also modernisiert, sondern darüber hinaus wird in der Gesellschaft ein großrussischer Nationalismus wiederbelebt.

Unter den Ersten, die traditionell am 9. Mai über den Roten Platz in Moskau marschieren, sind nicht nur die Kadetten der Militärschulen, sondern auch junge Kosaken. Diese wiederbelebten Kräfte der Heimatverteidigung und Hüter nationaler Werte spielen im heutigen Russland eine immer stärkere Rolle. Kosaken haben den Patrioten auf der Krim bei der Annexion zur Seite gestanden, zuvor waren sie beispielsweise bei den Olympischen Spielen in Sotschi aufgetaucht, wo sie auf die Frauen der Musikband Pussy Riot, die gegen Putin protestierten, einprügelten. Einem aktuellen Regierungsbericht über die Minderheiten in der Tschechischen Republik ist zudem zu entnehmen, dass die lokale Kosaken-Organisation direkte Unterstützung von der russischen Regierung erhält, um eine neue Auslandsstruktur aufzubauen. In den meisten post-sowjetischen Ländern ist die Organisation mittlerweile aktiv.

Die große Mehrzahl der Russen verfolgt die Feierlichkeiten zum 9. Mai, das berichtet das Meinungsforschungsinstitut Levada-Center, mit Sitz in Moskau, mehr als siebzig Prozent nehmen demnach aktiv daran teil. „Wir erkennen eine stark zunehmende Bedeutung dieses Ereignisses, sagt Levada-Analytikerin Adele Ovakimyan, „die Regierung investiert viel Geld in die Vorbereitungen.“ In den Medien habe das Thema „absolute Priorität".

Hinzukomme, dass die Feierlichkeiten zum Ende des Zweiten Weltkrieges von Putin in den letzten zehn Jahren immer stärker in den Kontext der heutigen russischen Armee gestellt wurden. Damit einher gehe eine neue Interpretation der russischen Geschichte. „Die Gesellschaft verzichtet auf Diskussionen über die problematischen Momente am Anfang des Zweiten Weltkrieges, als auch die Russen Aggressoren waren “, so Ovakimyan, „alles wird nur auf die Symbolik vom Sieg fokussiert.“

Die Propaganda wirkt. Einer Levada-Studie zufolge sind fast 70 Prozent der Russen davon überzeugt, die Sowjetunion hätte den Krieg auch ohne die Hilfe anderer Länder gewonnen. Diese Zahl ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Gleichzeitig besagt eine Studie des Meinungsforschungsinstituts aus dem April, dass Präsident Wladimir Putin derzeit auf die Unterstützung von 82 Prozent seiner Landsleute bauen kann. Im Januar waren es nur 65 Prozent. Die Ereignisse auf der Krim und aktuell in der Ostukraine helfen dem Kreml klar, Präsident Putin zu stärken.

Dafür sehen die Umfragen zwei Hauptgründe: Erstens die Nostalgie in der Gesellschaft, die sich nach einer Rolle Russlands als Supermacht in der Welt sehnt. Der zweite Grund ist das weitverbreitete Gefühl einer feindlichen Außenwelt. „Diese Logik half in den Zeiten der Sowjetunion dabei, Leute loyal zu halten. Und die gleiche Logik funktioniert offensichtlich noch immer. Der sowjetische Mann mit seiner Loyalität zur Macht lebt noch immer in der russischen Gesellschaft“, sagt Ovakimyan.

Russland kauft Kriegsmaterial aus Israel, Italien und Frankreich


Alleine jedoch wäre Russland die Remilitarisierung nicht so leicht gefallen. Einen wichtigen Beitrag  zur Aufrüstung des russischen Militärs leisteten mit Waffenlieferungen auch die europäischen Länder. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat angesichts der Ukraine-Krise die Geschäfte des Rüstungskonzerns Rheinmetall mit der russischen Armee vorerst gestoppt. Der Deal hatte eine Größenordnung von etwa 120 Millionen Euro. Andere Länder jedoch sind mit den Russen weiterhin im Geschäft. So kauft Russland beispielsweise Drohnen aus Israel, Panzer aus Italien, Kriegsschiffe aus Frankreich.

Der französische Deal ist größer als alle anderen zusammen. Für 1,2 Milliarden Euro statten die Franzosen die russische Armee mit neuen großen Kriegsschiffen aus. Doch das Geschäft steht in Frankreich in der Kritik, aber die Regierung spielt auf Zeit. Im Oktober soll das erste Schiff fertiggestellt sein, anschließend soll darüber gesprochen werden, ob dieses ausgeliefert wird.

Nur, woher hat der Kreml das Geld für die aufwendige und teure Aufrüstung seiner Armee? Wie lange kann sich Russland diese leisten? Die russische Wirtschaft steht infolge des Konfliktes mit der Ukraine vor einer Depression. Die Macher des Rüstungsprogramms rechneten mit der Prämisse eines Wirtschaftswachstums von 4 Prozent. Wie wir alle wissen, so schnell wächst die Wirtschaft nicht, im Gegenteil, wir müssen mit einer De-facto-Stagnation rechnen,” schreibt der Militärexperte Puchov in der russischen Tageszeitungen Vedomosti.

Doch trotz aller negativen Nachrichten über die Aussichten für die russische Wirtschaft soll die Aufrüstung weiter Priorität haben.

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