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US-Haushaltsstreit - Der Shutdown legt Amerika lahm

Bis zuletzt hat die Welt mitgefiebert – jetzt ist der Shutdown eingetreten: In den USA liegt die Verwaltung lahm. Barack Obama muss 800.000 Staatsbedienstete in den unbezahlten Zwangsurlaub schicken. Wie konnte es so weit kommen?

Autoreninfo

ist Autor des „Tagesspiegel“ und berichtete acht Jahre lang aus den USA. Er schrieb die Bücher: „Der neue Obama. Was von der zweiten Amtzeit zu erwarten ist“, Orell Füssli Verlag Zürich 2012. Und „Was ist mit den Amis los? Warum sie an Barack Obama hassen, was wir lieben“. Herder Verlag Freiburg 2012.

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So etwas hat es in 17 Jahren nicht gegeben: In den USA ist die öffentliche Verwaltung lahmgelegt. Barack Obamas Weißes Haus verkündete am Morgen den so genannten „Government Shutdown. Viele Behörden, Museen, die NASA, selbst die Steuerfahndung müssen ihre Mitarbeiter in den unbezahlten Zwangsurlaub schicken.

Republikaner und Demokraten hatten sich in der Nacht zum Dienstag nicht auf einen neuen Übergangshaushalt einigen können, mit dem die Bundesverwaltung zumindest vorläufig hätte weitebetrieben werden können. Am heutigen 1. Oktober beginnt das Haushaltsjahr 2014. Bis zu diesem Zeitpunkt hätte das Parlament ein Budget verabschieden müssen – andernfalls fehlt die gesetzliche Grundlage für die Bezahlung der laufenden Verpflichtungen.

Insgesamt sind 800.000 Staatsbedienstete von dem Shutdown betroffen. Ausgenommen sind nur Angestellte, die die Notversorgung des Landes aufrechterhalten, darunter das Krankenhauspersonal, Militärangehörige, Polizisten oder Grenzbeamte. Sollte allerdings bis zum nächsten Fälligkeitsdatum keine Einigung gefunden werden, müssen sie und möglicherweise auch Rentner bis auf Weiteres auf ihre monatlichen Einkünfte verzichten.

Warum hat sich der Konflikt um den Etat so extrem zugespitzt?

 

Jedes Jahr gibt es Streit um den Etat, denn Republikaner und Demokraten haben sehr unterschiedliche Vorstellungen, wofür der Staat Geld ausgeben soll und wofür nicht. In keinem der zurückliegenden Jahre hat der Kongress rechtzeitig einen regulären Haushalt verabschiedet. Die Volksvertreter behalfen sich zumeist mit einem Beschluss, dass die Regierung auf der Budgetbasis des Vorjahres weiter agieren darf, bis der neue Haushalt beschlossen ist. 2013 wird der Konflikt jedoch mit besonderer Schärfe ausgetragen. Denn ebenfalls zum heutigen 1. Oktober tritt die nächste Stufe der im Frühjahr 2010 beschlossenen Gesundheitsreform in Kraft. Unter anderem nehmen die so genannten Versicherungsbörsen ihre Arbeit auf, bei denen Bürger sich informieren können, wo sie ihre individuellen Policen möglichst günstig abschließen. Außerdem wird auf bestimmte medizinische Geräte wie künstliche Gelenke, Herzschrittmacher und ähnliches eine Zusatzsteuer erhoben, die zur Finanzierung der Reform beitragen soll. Zum 1. Januar 2014 treten dann die Strafgebühren für diejenigen in Kraft, die sich der Auflage verweigern, eine Versicherung abzuschließen.

Die Republikaner haben die Gesundheitsreform erbittert bekämpft und sind in den Wahljahren 2010 und 2012 mit dem Versprechen angetreten, dieses Prestigeobjekt der Präsidentschaft Barack Obamas rückgängig zu machen. Nun verlangen sie, dass die jetzt anstehende nächste Stufe um mindestens ein Jahr verschoben wird; andernfalls wollen sie der Regierung die Budgetmittel verweigern. Präsident Barack Obama und seine Partei gehen auf diese Forderung nicht ein. Es ist nicht das erste Mal, dass die Konservativen mit dem Shutdown drohen. Sie hatten das in jüngster Zeit mehrfach getan, wenn sich der Budgetstreit zuspitzte. Am Ende waren sie jedoch davor zurückgeschreckt. Denn sie hatten diese Strategie 1995/96 gegen Präsident Bill Clinton eingesetzt und zwei Mal die Schließung der Regierung erzwungen. Die Bürger nahmen ihnen das jedoch übel und wählten Clinton wenig später für eine zweite Amtszeit. Nach Umfragen würden die Amerikaner auch beim jetzigen „Government Shutdown“ mehrheitlich den Republikanern die Schuld geben.

Wie versuchen beide Seiten, den Shutdown zu beenden?

 

Bisher ist kein aussichtsreicher Kompromiss in Sicht. Da die Republikaner in der einen Parlamentskammer, dem Abgeordnetenhaus, die Mehrheit haben und die Demokraten in der anderen, dem Senat, blockieren sie sich gegenseitig. Das Abgeordnetenhaus hat Budgetvorlagen mit der Auflage beschlossen, die Gesundheitsreform zu verzögern. Der Senat strich den Zusatz aus dem Entwurf wieder heraus. Gesetz kann aber nur werden, was beide Kammern gemeinsam beschließen. Barack Obama droht zudem, sein Veto gegen jeden Entwurf einzusetzen, der die Gesundheitsreform verwässert. Einen inhaltlichen Ansatz für einen Kompromiss gäbe es eventuell. Die neue Steuer auf medizinische Geräte ist nicht populär. Auch einige Demokraten wären bereit, für ihre Abschaffung zu stimmen. Das könnte ein Ausweg sein, bei dem die Republikaner das Gesicht wahren, weil sie einen Erfolg ihres Protest vorweisen können.

Was droht bei dem Shutdown?

 

Jede staatliche Institution muss eine Liste erstellen, welche Bediensteten und welche Funktionen unverzichtbar sind, weil sonst Gefahr für das Staatswesen eintritt. Nur dieses Personal und diese Bereiche sind von der Schließung ausgenommen. Alle anderen Bundesangestellten gehen in Zwangsurlaub, schätzungsweise 800.000, darunter auch ein großer Teil der Mitarbeiter von Präsident Barack Obama. Nationalparks, Museen und die meisten Behörden müssen schließen. Gehälter und Renten können nicht mehr ausgezahlt werden. Auch in den Steuerämtern müssen 90 Prozent der Mitarbeiter Zwangsurlaub nehmen, so dass dem Staat Einnahmen entgehen. In der Börsenaufsicht SEC werden wohl nur 252 der 4149 Angestellten arbeiten dürfen. Börsengänge werden sich wohl verzögern, weil Firmen entsprechende Anträge zwar einreichen können, diese aber nicht bearbeitet werden. Pharmaunternehmen müssen mit Verspätungen bei Entscheidungen der Arzneimittelaufsicht FDA rechnen.

Die Behörde will nur in begrenztem Ausmaß weiterarbeiten. Wer heimlich von zu Hause aus arbeitet, riskiert seine Entlassung oder ein Bußgeld. Bei den Streitkräften müssen zumindest zahlreiche Zivilangestellte in den Zwangsurlaub. Die Soldaten selbst bleiben vom Shutdown wie die Mitarbeiter in anderen sicherheitsrelevanten Bereichen unberührt. So werden neben Fluglotsen und Gefängniswärtern auch Fleischbeschauer weiter arbeiten, da auch ihr Job als wichtig für die nationale Sicherheit gilt.

Wie oft ist das in der Vergangenheit vorgekommen – und wie wurde es gelöst?

 

In den letzten 35 Jahren hat es offiziell fünf Zwangsschließungen gegeben, davon zwei unter dem Republikaner Ronald Reagan, eine unter seinem Nachfolger George H. W. Bush; sie dauerten nur Stunden oder wenige Tage. Die politische Dramatik war größer als die wirtschaftlichen Folgen. Anders entwickelten sich die beiden Shutdowns unter Clinton. Beim bislang letzten vom 16. Dezember 1995 bis zum 6. Januar 1996 bekamen mehr als 200.000 Antragsteller keinen Reisepass ausgestellt, Nationalparks und die staatlichen Museen blieben geschlossen, der Tourismus-Branche entgingen Millionen Dollar. Insgesamt verursachten die beiden Shutdowns Schäden von über einer Milliarde Dollar und verschoben die Gewichte zwischen den beiden politischen Lagern zu Lasten der Republikaner.

Was passiert, wenn die USA Mitte Oktober die Schuldenobergrenze erreichen?

 

Mit dem Erreichen der Schuldenobergrenze bietet sich den Republikanern eine weitere Gelegenheit, Druck auszuüben. Sobald Barack Obamas Regierung die festgelegte Schuldengrenze erreicht hat, darf sie keine neuen Kredite mehr aufnehmen. In der Praxis heißt das, dass sie ihre Ausgaben drastisch reduzieren muss, denn im Schnitt der letzten fünf Jahre hat die Regierung von Barack Obama rund 30 Prozent mehr ausgegeben, als sie durch Steuern und Abgaben einnahm. Allerdings hat sich das Tempo des Schuldenanstiegs verlangsamt, erstens, weil die Wirtschaft nach der langen Finanzkrise nun wieder wächst und mehr Steuern in den Staatshaushalt fließen; zweitens hat der kompromisslose Lagerstreit um das Budget eine drastische Ausgabenkürzung seit dem Frühjahr 2013 erzwungen.

Zuletzt war die Schuldenobergrenze im Sommer 2011 signifikant angehoben worden, von 14,3 auf 16,4 Billionen Dollar, was mehr als hundert Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der USA entspricht. Auch dieser Kompromiss gelang erst nach langem erbittertem Streit, in dessen Verlauf die Finanzagentur Standard & Poor’s das Kreditrating der USA herabsetzte. Damals wurde erwartet, dass die Regierung die neue Höchstmarke kurz nach der Präsidentschaftswahl 2012 erreichen würde. Tatsächlich geschieht das nun erst annähernd ein Jahr später. Freilich war die Obergrenze im Frühjahr erneut geringfügig auf 16,7 Billionen Dollar erhöht worden.

Welche politischen und wirtschaftlichen Folgen hat der Streit um den US-Etat?

 

Die USA sind die größte Volkswirtschaft der Welt. Wenn es dort zu Verwerfungen kommt oder die Zahlungsunfähigkeit droht, reagieren die Märkte über kurz oder lang nervös. Sie tun das nicht immer sofort. Denn die Analysten haben sich daran gewöhnt, dass die beiden politischen Lager erst in letzter Minute aufeinander zugehen und nach einem Kompromiss suchen. Im Falle einer Regierungsschließung werden die Folgen zudem international nur spürbar, wenn sie mehr als eine Woche andauert. Die in diesem Zusammenhang meist benutzte Formulierung „Zahlungsunfähigkeit“ ist zudem irreführend. Es fehlt den USA nicht an Geld, um Kredite zu bedienen und laufende Ausgaben zu bezahlen. Sondern es fehlt bei politischer Blockade die rechtliche Grundlage durch den Kongress. Niemand zweifelt daran, dass die USA die aufgenommenen Kredite und die Zinsen darauf bezahlen. Die Vereinigten Staaten sind nicht „pleite“ im landläufigen Sinne. Der Konflikt um Budget und Schuldenobergrenze verursacht jedoch wirtschaftliche Schäden und verringert die Wachstumschancen. (mit rtr)

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