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(picture alliance) Hamed Abdel-Samad: „Die Religion ist ein Teil des Problems“

Hamed Abdel-Samad - „Religionen sind grundsätzlich nicht demokratiefähig“

Der Autor Hamed Abdel-Samad sprach mit Cicero Online über den Geburtsfehler im Islam, die fehlende Trennung von Religion und Staat und das unanständige Verhalten der deutschen Regierung im Libyen-Konflikt

Herr Abdel-Samad, Sie sind mit 23 Jahren nach Deutschland gekommen, waren nach eigenen Aussagen latent antisemitisch und dem Westen gegenüber mehr als kritisch eingestellt. Wie kam es zu diesem Wandel vom Westen-Hasser zum Islam-Kritiker?
Es war ein sehr langer Weg, ein mühsamer Prozess. Ich war meinem Gastland gegenüber feindlich gesinnt, was dazu führte, dass ich mich auch in meiner eigenen Haut nicht wohl fühlte. Ich projizierte innere Konflikte auf das Land, in dem ich lebte und machte es für eigene Probleme verantwortlich. So verpasste ich die Chance zu erkennen, was bei mir selbst, was bei meiner eigenen Kultur schief läuft. Irgendwann erkannte ich dieses Spiel. Dieser Identitätspoker, den ich lange gespielt habe, hat mir geschadet. Schließlich habe ich mich entschieden, ehrlicher mit mir und meiner Kultur umzugehen. So kam es zu meiner ganz persönlichen Transformation.

Auch ihr Bild vom Islam transformierte sich. Sie sind ein scharfer Kritiker des Islam geworden. Sie stellen u.a. die These auf, dass der Islam als politische und gesellschaftliche Idee, als Kultur untergehen wird. Sie sprechen in diesem Zusammenhang von einem Geburtsfehler im Islam. Was genau ist der Geburtsfehler?
Die früheren politischen Erfolge des Islam haben dazu geführt, dass sich Religion und Staat vermischt haben. Der Prophet galt nicht nur als geistiger Anführer, sondern war gleichzeitig Feldherr und Gesetzgeber. Das ist in der Seele des Islam verankert und erschwert heutige Säkularisierungsbemühungen...

... und gleichzeitig auch Demokratisierungsbemühungen? Wie sieht es mit der Demokratiefähigkeit des Islam aus? Geraten Demokratie und Religion nicht immer dann in einen Konflikt, sobald Gott als Souverän gilt und nicht die Bevölkerung?
Ich spreche grundsätzlich jeder Religion die Demokratiefähigkeit ab. Wann immer die Religion das Sagen in der Gesellschaft hat, gibt es keine Demokratie. Der Vatikan hat sich nicht demokratisiert, sondern er wurde von der Politik entmachtet. Soweit ist der Islam noch nicht. In den meisten islamisch geprägten Gesellschaften gibt es diese Skepsis gegenüber der Religion nicht. Es ist richtig, dass alle Religionen im Grunde archaischer, patriarchischer Natur sind, aber es geht letztlich um die Frage, was die Menschen daraus machen. Zumindest in Europa erkämpften die Menschen die Trennung von Religion und Staat. Diese Trennlinie gibt es in vielen islamischen Ländern nicht. Viele Menschen sagen, die Religion sei ein Teil der Lösung in diesen Gesellschaften. Ich sage, die Religion ist ein Teil des Problems.

Sehen sie diese fehlende Skepsis gegenüber der Religion auch bei liberaleren Kräften des Islams? Haben die liberalen islamischen Kräfte den Absolutheitsanspruch abgelegt? Anders gefragt: Sind liberalere Formen des Islam fähig, demokratische Strukturen, weltliche Wahrheiten zu akzeptieren?
Die sogenannten liberaleren Strömungen haben entweder mit der Religion nichts zu tun oder sie versuchen einen Spagat, der nicht funktionieren kann. Sie betonen die demokratietaugliche Seite des Islam und verschweigen die grausame Seite, weil sie sowohl von zivilgesellschaftlicher Seite als auch vom Westen anerkannt werden wollen. Letzten Endes bedeutet liberal aber eine totale Trennung von Religion und Staat. Es bedeutet, dass die Gesetzgebung nicht von Gott, sondern von den Menschen kommt und zwar durch Verhandlung, nicht durch göttliche Botschaften. Würden diese Prinzipien von liberaler Seite anerkannt, wäre der politische Islam im Kern bereits diskreditiert.

Schaut man sich demokratische Prozesse an, bedarf es eigentlich immer einer Mittelschicht, einer Zivilgesellschaft. Wo sehen sie diese Institutionen in der islamischen Welt?
Es gibt zumindest neue Ansätze einer Mittelschicht, in Ägypten, in Tunesien, in Syrien, sogar in Pakistan gibt es diese Ansätze einer zivilen Gesellschaft. Sie braucht aber wirtschaftliche und politische Unterstützung, braucht Institutionen damit diese Strukturen gedeihen und sich zu einer fähigen Demokratie entwickeln können. Aber es gibt ein grundsätzliches Tauziehen zwischen dieser zivilen Gesellschaft und den Islamisten, die immer versuchen diese Prozesse rückgängig zu machen.

Wie sehen sie vor diesem Hintergrund die Entwicklungen im Nahen Osten, in Nordafrika. Haben wir es dort mit einem demokratischen Aufbegehren zu tun, oder wäre es falsch und kontraproduktiv, die Ereignisse gleich mit einem solchen Etikett zu versehen?
Was wir dort erleben ist eine junge Generation, die nicht einverstanden ist mit den alten Garden, mit den alten Strukturen, mit dem alten System. Sie wollen Selbstbestimmung, sie reden von Freiheit und benutzen auch den Begriff Demokratie. Nicht alle, aber die meisten von Ihnen. Wie sie sich diese Demokratie vorstellen, wird in einem nächsten Schritte zu klären sein. Es geht nicht nur darum, einen Diktator loszuwerden, sondern darum Strukturen aufzubauen, die eine Perspektive bieten können. In Ägypten und Tunesien besteht die Hoffnung, dass sich diese zivilen Gesellschaften etablieren. Ich weiß nicht, ob in Libyen oder Jemen ähnliche Prozesse zu erwarten sind. Die Strukturen sind dort andere und die Mentalitäten auch. Vermutlich wird es in Teilen der islamischen Welt zum Aufbruch kommen und in anderen Teilen zum Zusammenbruch.

Blicken wir auf den Libyen-Konflikt. Würden Sie die These teilen, dass Deutschland die Demokratiebewegung im Stich gelassen hat?
Soweit würde ich nicht gehen. Zunächst einmal hat Deutschland die eigenen Verbündeten im Stich gelassen. Das ist politisch gesehen unanständig. Deutschland ist nicht flexibel und nicht mutig genug. Deutschland wartet bis zum Ende und positioniert sich dann zu spät und oft auch falsch. Das war im Falle Tunesien und Ägypten nicht anders.

Kann man der deutschen Regierung bei ihrer Entscheidung, sich militärisch nicht zu beteiligen, nicht die Angst vor einem zweiten Afghanistan zugutehalten?
Nein. Im Falle Libyens geht es um einen Diktator der militärische Macht gegen die eigene Bevölkerung einsetzt. Gaddafi bombardiert seine eigene Bevölkerung aus der Luft, beschießt sie mit Panzern. Da wurde eine Grenze überschritten. Man musste handeln. Und wenn sich die Vereinten Nationen dazu entschließen zu intervenieren, kann sich Deutschland nicht einfach enthalten, weil es keine Lust auf militärische Interventionen hat. So funktionieren die Mechanismen in der internationalen Politik nicht. Würde Deutschland die Hilfe benötigen, würde es ja auch von seinen Verbündeten erwarten, dass sie diese Hilfe leisten, dass sich die Weltgemeinschaft solidarisch zeigt. Ein ständiges Enthalten führt irgendwann zur Bedeutungslosigkeit. Auch ein ständiger Sitz im Weltsicherheitsrat ist damit in weite Ferne gerückt. Eine Enthaltung ist eben keine Haltung.

Ein Land, das sich ähnlich zurückhält, aber aus anderen Gründen, ist Israel. Ist dessen Zurückhaltung und Skepsis gegenüber den Entwicklungen in der arabischen Welt nicht schon eher nachvollziehbar? Schließlich ist Israel von möglichen Instabilitäten unmittelbar betroffen.
Israel kann natürlich alles mit Skepsis betrachten. Aber es kann die Prozesse damit nicht aufhalten. Israel hat es zunächst verpasst, richtig auf die Entwicklungen zu reagieren. Beispielsweise hat sich Israel während der ägyptischen Unruhen für Mubarak ausgesprochen. Das kam in der Ägyptischen Bevölkerung nicht sehr gut an. Natürlich hat Israel alle Gründe, jede Veränderung in der Welt mit Skepsis zu betrachten, das hat es die Geschichte gelehrt. Aber: Man muss sich doch mal überlegen, ob diese Skepsis Israel hier und jetzt überhaupt weiter bringt. In Anbetracht dieser Umwälzungen hat es keinen Sinn mehr, immer auf die alten Rezepte zu setzen. Doch auf israelischer Seite agieren momentan die falschen Akteure. Vielleicht bräuchte es in diesem historischen Moment jemanden wie Jitzchak Rabin. Mit Netanjahu oder Lieberman wird es ungleich schwerer. In dem man sich zurückzieht und alles mit Bedenken sieht, verpasst man die Chance, mitzugestalten. Man kann auch ein Partner in diesem Prozess der Veränderung in Arabien werden, sei es Israel oder Europa.

Aber welchen Partner sollte sich Israel in diesem Prozess suchen?
Der erste Partner der Israelis sind die Palästinenser. Es wird keine Normalität mit Ägypten, Jordanien, Katar, Saudi Arabien geben, bevor die Konflikte mit den Palästinensern nicht beigelegt werden. Die Berührungsängste mit Israel seitens der arabischen Welt würden kleiner werden, wenn das Palästina-Problem auf faire Art und Weise gelöst werden würde. Ich kann mir vorstellen, dass es dann zu einer neuen Dynamik in der Region kommen kann, wovon die ganze Region und vor allem Israel profitieren könnte, weil es am fortschrittlichsten ist und weil die Region die israelische Expertise braucht.

Man merkt ihren Ausführungen an, dass sie den Entwicklungen in der arabischen Welt sehr optimistisch gegenüber eingestellt sind…
Nein. Alles kann furchtbar werden. Das weiß ich. Aber es kann auch furchtbar werden, wenn wir nichts tun. Aber indem wir die Chancen erkennen und auch die Initiativen ergreifen, können wir positives Erreichen. Wir haben jetzt Feuer, damit können wir etwas Schönes kochen oder wir können die gesamte Region damit verbrennen.

Was wäre der größte Fehler, den der Westen jetzt begehen könnte.
Der größte Fehler auf westlicher Seite wäre, wenn man mit zu viel Skepsis, Ängsten und Vorbehalten den Aufständischen gegenüberstünde. Diese Vorbehalte schwächen die demokratischen Strömungen und geben den Rückwärtsgewandten Macht.

Herr Abdel-Samad, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Timo Stein

Hamed Abdel-Samad war am Sonntag, den 3. April 2011 zu Gast beim CICERO FOYERGESPRÄCH im Berliner Ensemble. Gemeinsam mit CICERO-Chefredakteur Michael Naumann und dem Schweizer Journalisten Frank A. Meyer debattierte er über die politischen Umbrüche in der arabischen Welt und spricht über seine ganz persönliche Sicht auf die Ereignisse.

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