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Papst Franziskus - „Reformen sind überfällig”

Welche Impulse sollten von Franziskus' Pontifikat ausgehen? Ein Gespräch mit dem kirchenkritischen Theologen Hans Küng

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Christophe Braun hat Philosophie in Mainz und St Andrews studiert.

So erreichen Sie Christophe Braun:

Herr Küng, hat die Wahl Jorge Mario Bergoglios zum Papst Sie überrascht?
Ja – und zwar freudig! Von den papabili aus den USA, Italien und Kanada habe ich nicht viel gehalten. Ich hatte gehofft, dass die Kardinäle eine gute Entscheidung treffen würden. Es hat mich dann aber doch überrascht, dass es ausgerechnet der Erzbischof von Buenos Aires geworden ist.

Franziskus ist 76 Jahre alt, seine Gesundheit angeblich angeschlagen. Schon wieder ein Übergangspapst?
Nein. Auch ein kurzes Pontifikat kann prägend sein. Denken Sie an Johannes XXIII. In den fünf Jahren seines Pontifikats hat er mehr bewirkt als die Päpste der fünfhundert Jahre zuvor. Ich hoffe, dass auch der jetzige Papst in der Kirchengeschichte tiefe Spuren hinterlassen wird, dass sein Pontifikat nach der Restauration unter Wojtyla und Ratzinger den Beginn einer neuen, hoffnungsvollen Periode in der Kirchengeschichte markiert.

Welche Erwartungen haben Sie an sein Pontifikat?
Dass endlich eine Wende in der katholischen Kirche kommt. Ich bin unter Pius XII. groß geworden, habe die große Wende unter Johannes XXIII. miterlebt und die anschließende Konzilszeit – dann aber auch die Restauration unter dem polnischen und dem deutschen Papst. Ich hoffe auf eine erneute Wende.

Welches sind die dringendsten Probleme der katholischen Kirche?
Die sind so zahlreich, dass man sie kaum aufzählen kann. Ich würde auf jeden Fall die Frauenfrage nennen. Das betrifft Fragen von der Empfängnisverhütung über die Abtreibung bis zur Frauenordination. Außerdem müssen die ökumenischen Fragen angegangen werden. Da könnte sehr viel erreicht werden durch die Anerkennung der anderen Kirchen und Eucharistiefeiern. Die ganze Öffnung zur Welt, zur Moderne hin. Aber das wichtigste ist natürlich die Reform der Kurie. Wenn eine Reform der Kurie nicht gelingt – wozu auch neues Personal gehört –, sind die übrigen Reformen überhaupt nicht durchführbar.

Was sind konkret die Probleme der Kurie?
Die römische Kurie ist ein Produkt des Mittelalters, das sich in Gegnerschaft zur Reformation, Aufklärung und Liberalismus zementierte. Zu Beginn des zweiten Jahrtausends wurde die Kirchenverfassung verändert. Die Gregorianische Reform unter Gregor VII. hat eine Revolution von oben eingeleitet. Damals wurde der päpstliche Absolutismus eingeführt, ein forcierter Klerikalismus und das Zölibatsgesetz. Diese Strukturmomente charakterisieren die römisch-katholische Kirche erst seit dem zweiten Jahrtausend! Die Frage ist, ob wir sie im dritten Jahrtausend noch beibehalten wollen.

Franziskus ist der erste Nicht-Europäer auf dem Heiligen Stuhl. Wird er sich in Rom durchsetzen können?
Das hängt vor allem davon ab, ob er selbst es will. Der Papst ist mächtiger als der Präsident der Vereinigten Staaten. Er ist der absolute Herr – in der Exekutive, in der Legislative und in der Judikative. Er hat keinen Kongress neben und keinen Supreme Court über sich. Wenn er wollte, könnte er das Zölibatsgesetz sofort aufheben. Natürlich wird er klugerweise nicht so vorgehen. Er wird versuchen, die Leute mitzunehmen, das hat er schon angedeutet. Trotzdem: Er hat eine ungeheure Macht. Die sollte er noch mal ausnutzen und im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils eine kollegiale Kirchenregierung von Papst und Bischöfen durchsetzen.

Franziskus ist der erste südamerikanische Papst. Welche Rolle wird seine Herkunft spielen?
Die Ost-West-Problematik wird nicht so exklusiv im Vordergrund stehen wie unter seinen beiden Vorgängern. Die Nord-Süd-Problematik wird mehr ins Zentrum rücken mit Fragen nach Armut, Hunger, Elend, Überbevölkerung. Dazu kommt die Bedeutung der Kirche in Lateinamerika. Die blüht nämlich nur scheinbar. Die Kirche hat in Südamerika Millionen Menschen an Pfingstkirchen verloren; es gibt immer weniger Priester; Pfarreien verwaisen. Das sind natürlich nur zum Teil spezifisch lateinamerikanische Probleme; viele Probleme sind universal.

Franziskus ist Jesuit. Welche Rolle wird seine Ordenszugehörigkeit spielen?
Die Spiritualität des Ignatius von Loyola, die auch die meine ist, wird seinen Pontifikat sicher prägen. Das war bei seinem ersten Auftreten schon deutlich. Aber er wird keine Ordenspolitik betreiben. Im Übrigen bin ich sehr froh, dass ein Jesuit Papst geworden ist. Die Jesuiten sind derjenige Orden, der am entschiedensten die Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils zu verwirklichen versucht hat. Dafür wurden sie von Papst Wojtyla zum Teil heftig abgestraft. Ich hoffe, dass mit einem Jesuiten auf dem Heiligen Stuhl jetzt eine neue Zeit anbricht, in der wieder seriöse Theologie eine Rolle spielt und nicht all diese Movimenti und Opus Dei und dergleichen.

Herr Küng, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Hans Küng, 84, ist einer der bekanntesten katholischen Theologen und Kirchenkritiker. Das von ihm initiierte Projekt Weltethos soll die Gemeinsamkeiten der großen Weltreligionen ausloten.

Das Gespräch führte Christophe Braun.

 

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