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Prism - Wie Bürger massenhaft ausgespäht werden

Der Zugriff von US-Geheimdiensten auf Daten von Internetdiensten läuft ganz nach Programm. Massenhaft werden Daten von Internetdiensten und sozialen Netzwerken abgeschöpft. Wie ist das möglich?

Autoreninfo

ist Autor des „Tagesspiegel“ und berichtete acht Jahre lang aus den USA. Er schrieb die Bücher: „Der neue Obama. Was von der zweiten Amtzeit zu erwarten ist“, Orell Füssli Verlag Zürich 2012. Und „Was ist mit den Amis los? Warum sie an Barack Obama hassen, was wir lieben“. Herder Verlag Freiburg 2012.

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Mit seinen Enthüllungen über die massiven Ausspähpraktiken amerikanischer Geheimdienste im Rahmen des „Prism-Programms“ hat der 29-jährige Edward Snowden eine Lawine ausgelöst.

Welche Dimension hat das Ausspähen?

Das „Prism-Programm“ hat seine Rechtsgrundlage im Foreign Intelligence Surveillance Act (Fisa), der bereits 1978 erlassen und von der Bush-Regierung nach 9/11 deutlich ausgeweitet wurde. Die Obama-Regierung verlängerte wesentliche Punkte. Das Gesetz ermöglicht es Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten, die Kommunikation zwischen Nicht-Amerikanern abzuhören, es deckt aber auch Kontakte zwischen Amerikanern und Nicht-Amerikanern.

Dass darüber hinaus bei bestimmten Abfragen Gespräche zwischen US-Bürgern als „Beifang“ abgefischt werden, wollen Sicherheitsexperten nicht ausschließen.

Der Umfang der erhobenen und untersuchten Daten ist schwer abzuschätzen. Das liegt vor allem daran, dass die Anordnungen für das Abhören strenger Geheimhaltung unterliegen. Mit dem Gesetz wurde ein eigenes Gericht etabliert, dass über die Abhöranfragen der Sicherheitsbehörden entscheidet. Die Entscheidungsgrundlage ist ebenso geheim wie der Umfang der angeordneten Überwachung. Mögliche Eingrenzungskriterien könnten einzelne E-Mail-Adressen und Telefonnummern sein, aber auch ganze Domainnamen (also der Verkehr einer ganzen Internetseite), IP-Adressen oder sogar der sämtliche Verkehr, der über bestimmte Knotenpunkte im Datennetz läuft. Internetaktivisten und mit dem Fall befasste Journalisten vermuten, dass die Kriterien, nach denen abgefischt wird, eher breit sind. Ein Hinweis ist ein Dokument, dass dem „Guardian“ vorliegt. Damit bittet der Inlandsgeheimdienst NSA um die vollständigen Verbindungsdaten des Telefonanbieters aus drei Monaten. Allein im März sollen 97 Milliarden Datensätze abgefischt worden sein.

Wie ist das technisch realisierbar?

Darüber kann bislang nur spekuliert werden. Die Quellen des „Guardian“ sagen aus, die NSA habe „direkten Zugang“ zu den Servern der betroffenen Unternehmen, was die Unternehmen dementierten. Datenexperten spekulieren, es könne eine Art „Datenaustauschplattform“ geben, die den Unternehmen das Verarbeiten der Geheimdienstanfragen erleichtert. Denkbar ist ein Server, auf dem die Geheimdienste ihre Anfragen einstellen und die Unternehmen die erfragten Datensätze hochladen. Keine Zweifel haben IT-Experten daran, dass die Geheimdienste mit modernen Speichertechnologien und intelligenten Analysealgorithmen extrem umfangreiche Datensammlungen auswerten können

Warum dementieren die betroffenen Unternehmen?

Der Fisa ordnet weitreichende Geheimhaltungspflichten an. Paragraf 1802 eröffnet dem Generalstaatsanwalt der USA die Möglichkeit, einen beliebigen Internet- oder Telefonanbieter anzuweisen, ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, ihm Zugang zu seiner Infrastruktur einzuräumen und ihm gegebenenfalls technische Hilfe zu leisten und gleichzeitig die Geheimhaltung der Abhöraktion zu garantieren. Im Gegenzug verpflichtet sich der Generalstaatsanwalt, Berichte und Dokumente, die die Überwachungsaktion dokumentieren, auf Wunsch des Anbieters geheim zu halten und die Unternehmen gegebenenfalls für entstandene Kosten zu entschädigen.

 

Wer wusste in der Politik davon?

Nach offizieller Darstellung waren neben den für die Dienste zuständigen Regierungsmitgliedern auch die Mitglieder der Geheimdienstausschüsse in den beiden Kammern des Kongresses, Abgeordnetenhaus und Senat, informiert über das Programm, seinen Inhalt und Umfang. Sowohl die demokratischen als auch die republikanischen Mitglieder dieser Ausschüsse haben die Gesetzesmäßigkeit des Programms verteidigt. Bisher hat nur Rand Paul, ein Senator, der zum Tea-Party-Flügel der Republikaner zählt, von einem Rechtsbruch gesprochen.

Ist das alles vom Patriot Act gedeckt?

Das kann zu einer strittigen und entscheidenden Frage werden. Die Politiker und Rechtsberater, die offiziell Kenntnis von der Datensammelpraxis haben, behaupten, diese Praxis sei durch den Patriot Act, das nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verabschiedete Gesetzespaket, gedeckt. Und diejenigen, die daran zweifeln, zum Beispiel Bürgerrechtsorganisationen, stehen zunächst vor dem rechtlichen Problem, dass sie diese Zweifel nicht konkret belegen können. Die Verteidiger des Prism-Programms argumentieren zudem, es richte sich nur gegen Nicht-Amerikaner im Ausland. Wenn sich nachweisen ließe, dass auch Daten über US-Bürger oder im Inland systematisch gesammelt wurden, ergäbe sich vermutlich ein neuer Ansatz für eine Überprüfung vor Gericht.

Wie wird das in Deutschland diskutiert?

In Deutschland wird vor allem der Ruf nach Aufklärung laut. So bekräftige Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag, dass die Bundeskanzlerin dieses Thema mit US-Präsident Barack Obama besprechen will, wenn dieser nächste Woche zum Staatsbesuch nach Berlin kommt. Noch ist nicht klar, inwieweit deutsche Staatsbürger betroffen sind. Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums sagte am Montag, dass die Prüfung derzeit noch laufe und man in Gesprächen mit der US-Seite sei. Die Ministerin selbst forderte eine umfassende Aufklärung der Spähaktivitäten. „Die Dimension der Überwachung von Internetnutzern ist besorgniserregend“, sagte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) dem Bayerischen Rundfunk. Das Vorgehen der US-Behörden sei nicht mit der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus zu rechtfertigen. Die Grünen beantragten zu diesem Thema eine Aktuelle Stunde im Bundestag noch in dieser Woche.

 

 

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