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Österreichs Bundeskanzler Faymann - Der Ranschmeißer

Österreichs Kanzler Werner Faymann ist bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise in Europa Angela Merkels Verbündeter. Nun drohte er sogar, dass EU-Länder, die sich einer Aufnahme verweigern, finanzielle Folgen spüren würden. Wer ist dieser Mann? Ein Porträt

Autoreninfo

Barbara Tóth ist promovierte Historikerin, Autorin einer Schwarzenberg-Biografie (Ueberreuter) und arbeitet als Redakteurin für den Wiener Falter

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Über ihren österreichischen Amtskollegen Werner Faymann soll die deutsche Kanzlerin Angela Merkel einmal gesagt haben, wenn er sie besuche, dann komme er „mit keiner Meinung rein und geht mit meiner Meinung wieder raus“. Faymann wollte dieses Zitat nie kommentieren, geärgert hat es ihn sicher.

Inzwischen kann dem Österreicher niemand mehr nachsagen, er agiere wie das Beiwagerl deutscher Europapolitik. Unter den EU-Regierungschefs hat sich der 55-Jährige mit dem grau melierten Haar und der Eigenheit, jeden Satz mit einem eingeübten Lächeln zu beenden, zu einem der schärfsten Kritiker des geplanten Freihandelsabkommens zwischen den USA und Europa, TTIP, entwickelt.

Nicht nur Merkel dürfte sich wundern. Wieso ausgerechnet Faymann? Der Sozialdemokrat, der mit den österreichischen Konservativen der ÖVP seit sieben Jahren in einer großen Koalition recht unspektakulär regiert, zählt nicht zur Gruppe linker Revoluzzer unter Europas Roten. Im Gegenteil. Nicht nur in Europa, auch in Österreich agierte Faymann bis jetzt nach dem Motto: nur nicht zu viele Wellen machen. Plötzlich aber präsentiert er sich gemeinsam mit den französischen und schwedischen Premiers Manuel Valls und Stefan Löfven, dem SPD-Chef Sigmar Gabriel und dem EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz Anfang Juni in Paris als Koordinator aller linken, TTIP-kritischen Kräfte Europas.

Europa eigentlich nicht sein Ding
 

In Wien überrascht nicht Faymanns Haltung, sondern eher die Verve, mit der er sie nun auch in Europa vertritt. Der ehemalige Wiener Kommunalpolitiker ist mit einer Wiener Gemeinderatsabgeordneten verheiratet, er hat sein ganzes Leben im Umfeld der Partei verbracht und dafür sein Jurastudium geopfert. Es ist kein Geheimnis, dass er sich mit Europa ein bisschen schwertut. Ihn kleingeistig zu nennen, wäre vielleicht zu hart. Aber sein politischer Horizont reichte lange nur bis an die Wiener Stadtgrenze. Als er Kanzler wurde, erweiterte er ihn bis an die österreichische Staatsgrenze. Europapolitik blieb lange fremdes Territorium.

Noch 2008 überrumpelte er als frisch gewählter SPÖ-Chef seine Partei, indem er ein Plebiszit forderte, sollte der EU-Verfassungsvertrag geändert werden. Er verkündete die neue, scharfe Linie in Europafragen nicht, wie man es erwarten würde, auf einem Parteitag, sondern in Form eines Leserbriefs im auflagenstärksten und EU-kritischen Boulevardblatt Kronen Zeitung. Faymanns Leibblatt.

Zum Regieren brauche er „Bild, BamS und Glotze“, hat Deutschlands Ex-Kanzler Gerhard Schröder einmal gesagt. Faymann hat dieses simple Prinzip für österreichische Verhältnisse seit Jahrzehnten perfektioniert. Schon als Wiener Wohnbaustadtrat verließ er sich dabei auf die Kronen Zeitung. Enge, persönliche Freundschaften verbinden ihn seitdem mit deren Eigentümern und wichtigsten Blattmachern.

Seit über einem Jahr fährt die Krone eine Kampagne gegen Chlorhühner, Genmais und geklontes „Frankensteinfleisch“ und treibt die gesamte österreichische Innenpolitik vor sich her. Grüne wie die rechtspopulistische FPÖ sind gegen TTIP, die Bevölkerung ist längst eingestimmt. Laut einer Eurobarometer-Umfrage sind 53 Prozent der Österreicher gegen das Freihandelsabkommen. 48 Prozent glauben, dass die „Dinge in der Union“ sich in die falsche Richtung bewegen.

Macht statt Visionen
 

Wenn Faymann als Politiker etwas auszeichnet, dann ist das sein Instinkt für politische Stimmungslagen. Er war nie ein Vordenker oder Visionär, sondern immer ein solider Machtpragmatiker. Möglichst lange oben zu überleben, ist seine Maxime. Wenn die Krone gegen TTIP mobilisiert, würde er nie dagegenhalten.

Welch ein Unterschied zu Faymanns Vorgänger Alfred Gusenbauer. Der sprach nicht nur fließend Englisch, Französisch und Spanisch und vernetzte sich schnell international. Er irritierte die linken Genossinnen und Genossen auch mit seiner ambitionierten Vorstellung einer „solidarischen Hochleistungsgesellschaft“.

Faymann musste sein Schulenglisch, als er Kanzler wurde, erst mühsam aufmöbeln. Seiner Partei – vor allem dem mächtigen Gewerkschaftsflügel – liefert er dafür genau das, was sie hören will: Arbeit müsse sich wieder lohnen, Reiche mehr Steuern zahlen und die Macht der Konzerne gebändigt werden.

Faymanns Bilanz nach sieben Jahren Kanzlerschaft ist dennoch mager. Eine nennenswerte Reichen- oder Vermögensteuer hat die Große Koalition in ihrer Steuerreform nicht zustande gebracht. Die rechtspopulistische FPÖ sitzt ihm im Nacken. Bei zwei Regionalwahlen gewann sie jüngst massiv dazu. Im Bundesland Burgenland ging der dortige SPÖ-Landeshauptmann eine Koalition mit der FPÖ ein, entgegen eines anderslautenden Parteitagsbeschlusses. Faymann verhinderte es nicht. Die Parteilinke kocht und setzt den Kanzler noch mehr unter Druck.

Es ist gut möglich, dass Europas Sozialdemokraten einer ihrer vehementesten TTIP-Gegner bald abhandenkommt.

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