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Nordkorea unter Kim Jong-un - „Ein Wandel ist spürbar“

Der Dirigent Alexander Liebreich kennt Nordkorea gut. Bei seinem letzten Besuch hat er dort Zeichen der Entspannung beobachtet

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

So erreichen Sie Alexander Kissler:

Herr Liebreich, wie oft waren Sie als Dirigent bisher in Nordkorea?
Seit 2002 habe ich Nordkorea insgesamt sechsmal besucht, zuletzt im November vergangenen Jahres. Meine Arbeit dort findet im Rahmen von Projekten des Goethe-Instituts statt oder in Verbindung mit einer Gastprofessur beim Deutschen Akademischen Austauschdienst.

Hat sich Nordkorea in diesen Jahren verändert?
Ein Wandel ist im Moment spürbar. Man merkt es an Äußerlichkeiten wie der Betriebsamkeit auf den Straßen, an neuen Gebäuden, zusätzlichen Hotels. Ich sah jetzt viel mehr chinesische Touristen. Auch die Zahl der Geschäfte hat zugenommen. Es scheint sich auch eine neue Haltung zu etablieren. Diesmal konnten wir uns in Pjöngjang vollkommen frei bewegen, das war bei meinen ersten Besuchen schwieriger. Wir konnten mit den Menschen auf der Straße sogar Fußball spielen. Hier scheint es unter Kim Jong-un eine Entspannung zu geben.

Stabilisieren solche Kulturimporte aus dem Westen letztlich nicht doch ein diktatorisches System?
Man muss sehr auf den Rahmen achten. Beim jährlichen „Spring­festival“ zu Ehren des Staats- und Parteiführers würden wir nicht mitwirken. Ein offener Dialog hingegen, der auf Abwägung beruht, stützt niemals ein totalitäres Denken. Es ist unmöglich, die „Egmont“-Ouvertüre einzustudieren, ohne über die Französische Revolution und den Freiheitsgedanken bei Beethoven zu sprechen. Insofern ebnet die Kunst, indem sie Kunst ist, dem freien Dialog einen Weg.

Wird Nordkorea je eine Demokratie nach westlichem Vorbild?
In ganz Asien gibt es keine einzige Demokratie nach westlichem Vorbild, auch in Europa funktionieren Demokratien mehr oder weniger. Aufgrund der ganz anderen ethischen und religiösen Voraussetzungen rechne ich auch in Zukunft nicht damit. Ich habe persönlich Zweifel an dem Begriff „nach westlichem Vorbild“.

Ihr Orchester spielte in Pjöngjang zwei Trauermusiken, „Musique funèbre“ von Lutosławski und die „Trauersinfonie“ von Joseph Haydn. Ist die Situation also wenig hoffnungsvoll?
Die „Trauersinfonie“ ist ein virtuoses Stück in e-moll, ganz ohne Depressionsgefahr. Lutosławski erklang zum ersten Mal in Korea. Es ist serielle, freitonale Musik, geschrieben „in memoriam Béla Bartók“. Mit offenen Armen haben die Nordkoreaner diese anspruchsvolle Art von Musik empfangen. Wir wissen aus unserer Geschichte, dass die Dodekaphonie totalitären Machthabern immer ein Dorn im Auge gewesen ist. Dass ich diese Musik ganz frei erarbeiten konnte, hat mich besonders gefreut. 

Alexander Liebreich ist seit 1996 Künstlerischer Leiter und Chefdirigent des Münchener Kammerorchesters.

Das Gespräch führte Alexander Kissler.

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