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Metal in Autokratien - Gehorchst du noch oder hörst du schon?

Wo Pluralismus herrscht, wird gerockt: Während Skandinavien erfolgreiche Metal- und Rockgruppen im Akkord produziert, bleibt die Szene in Kasachstan und im Irak überschaubar. Eine Reise zum Zusammenhang zwischen Demokratie und alternativer Musik

Autoreninfo

Vinzenz Greiner hat Slawistik und Politikwissenschaften in Passau und Bratislava studiert und danach bei Cicero volontiert. 2013 ist sein Buch „Politische Kultur: Tschechien und Slowakei im Vergleich“ im Münchener AVM-Verlag erschienen.

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„Fuck you, I won’t do what you tell me!“ ist nicht nur eine trotzige Teenie-Phrase. Sondern auch eine Textzeile des Liedes „Killing in the name of“ von Rage Against the Machine, einer der populärsten, aber auch politischsten Bands des Crossover der Neunziger. Bis heute wird diese Zeile mitgegrölt, wenn auf Partys zu später Stunde die Klassiker ausgepackt werden. Dabei rufen die Worte nicht nur zum Ungehorsam gegenüber der Obrigkeit auf. Sie bilden die Kraft alternativer Musik ab, gesellschaftliche Rahmen zu sprengen und sich politischen Freiraum zu erstrampeln.

Der Metal hilft, das gesellschaftliche Korsett abzulegen

Aus dem alten, flachen Bau dringen dumpfe E-Gitarren und schnelles Schlagzeug-Gepolter. Der dunkle Eingang führt direkt in die von Säulen getragene Halle, in der eine Handvoll Metal-Bands heute Abend spielt. Auf der Tanzfläche spulen etwa 30 Jugendliche von Headbanging bis Violent Dancing – eine Mischung aus Capoeira und Pogo – die Genre-spezifischen Bewegungen ab. Es ist aber kein normales Mini-Festival in einem kleinstädtischen Jugendhaus in Europa: Heute Abend hat sich fast die gesamte Metal-Szene Almatys eingefunden, der größten Stadt Kasachstans, in der etwa so viele Menschen leben wie in München.

Die junge Szene aus ein paar Metal-, Rock- und Hardcorebands ist ein Kleinod in der Republik Kasachstan. In dem Land, das die meisten mit „Borat“ assoziieren, scheint die musikalische Uhr außerhalb der dunklen Halle stehengeblieben zu sein: Noch immer quietscht die Musik von Modern Talking aus den Radios. Aber auch politisch geht es kaum voran: Präsident Nursultan Nasarbajew herrscht seit 1991 in einem semi-autoritären System aus Korruption und Vetternwirtschaft, die Opposition wird unterdrückt. Die Gesellschaft lässt den Despoten weitgehend gewähren: Kritische Berichterstattung und gesellschaftlicher Protest sind so rar wie Trinkwasser in den weiten Steppen Zentralasiens – aber eben auch wie Rock- und Metalbands.

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Bandproben oder Konzerte sind für die Jugendlichen Freiräume ohne Staats-PR, ohne gesellschaftlichen Zwang. Durch die alternative Musik gelingt es den Jugendlichen, das enge Korsett loszuwerden, in welches sie die patriarchalisch-kollektivistisch geprägte Gesellschaft seit ihrer Kindheit schnürt. Zwei Mal pro Woche legen „Octarine“ dieses Korsett für ein paar Stunden ab – eine Metalband, die ausschließlich aus Mädchen besteht. In einem Land, in dem es sich für Frauen „nicht gehört“, Zigaretten zu rauchen, und in dem der Mann entscheiden sollte, was die Freundin zu tragen hat, ist eine Anna am Schlagzeug oder eine Tanja, die ins Mikrophon brüllt, ein Tabubruch. Und per se hochpolitisch.

Die „New Metal Girls Band“ Octarine bedeutet für die jungen Musikerinnen gelebte Selbstbestimmung – der Kern liberaler Demokratie. Es bedeutet aber auch, Teil einer weltumspannenden Subkultur zu sein, die nicht vor den Staatsgrenzen in Zentralasien Halt macht. Auftritte im benachbarten Kirgisistan, zu dem Kasachstan in einem angespannten Verhältnis steht, sind eine Kampfansage an die Propaganda der Staaten, die die eigene Geschichte ausschließlich national denken und mit Mythen unterfüttern.

Eben diese Zugehörigkeit zu einer weltweiten Gemeinschaft der Freunde harter Musik vergällt autoritären Regimen Musikrichtungen wie Metal und Rock. Die chinesische Band „Ego Fall“, die eine Mischung aus Death Metal und Folklore spielt, kann öffentlich in der Volksrepublik nicht auftreten. Konzerte haben die Gestalt konspirativer Treffen in Tiefgaragen, bei denen kurz gepogt und die Mähne geschüttelt wird. Für einige Minuten sind die Metalfans frei von staatlichem Einfluss, können sich weit weg von Gleichschaltung ihrer individuellen Vorliebe hingeben – und dann verschwitzt nach Hause gehen, als wäre nichts passiert.

Besonders aber jenen Staaten, die den Westen offen als unmoralischen Feind stilisieren, stößt die alternative Musik auf. Denn der kulturelle Radius von Metal wie Rock ist europäisch-amerikanisch geprägt. 1997 bricht sich in Ägypten diese Aversion Bahn. Über einhundert Jugendliche werden unter dem Vorwand des Satanismus festgenommen. Der Großmufti fordert für sie sogar die Todesstrafe. Ihr Vergehen: Sie tragen schwarze T-Shirts, lange Haare und darauf teils Chicago-Bulls-Käppis – die Hörner des Stieres gelten dem Staat als „teuflisch“. Ähnlich wird die Musikszene im benachbarten Maghreb niedergeknüppelt.

Wichtig ist zu wissen: Musik bewegt sich im Islam grundsätzlich in einer Grauzone. Viele Gelehrte halten sie für nicht gottgefällig. Andererseits gibt es in vielen muslimisch geprägten Ländern von Pakistan bis Marokko eine reiche Musikkultur. Aber nur dann, wenn die politischen Systeme Kritik oder Kontrollverlust wittern, instrumentalisieren sie den Koran als Waffe gegen E-Gitarren.

„Acrassicauda“ ist die erste Metal-Formation aus dem Irak. Ihre Konzerte wurden unter Saddam Hussein nur dann genehmigt, wenn sie ein Lied für den Autokraten sangen – wenn also die Militärdiktatur sich der Kontrolle der Langhaarigen sicher sein konnte. Mittlerweile leben die Bandmitglieder allerdings in den USA – sie waren von Islamisten bedroht worden. Unter anderem, weil das Headbangen die Fundamentalisten an die jüdische Gebetsekstase erinnert hatte.

Die israelische Band „Orphaned Land“ beweist seit Jahren, dass Headbanging jedoch nichts mit Judentum zu tun hat. Die Gruppe, die eine riesige muslimische Fangemeinde hinter sich weiß, stellt sich offen gegen die Konfrontationspolitik von Benjamin Netanjahu, der Freiheit hinter Sicherheit platziert. Sie setzen sich für den interreligiösen Dialog ein und nehmen an Diskussionen über aktuelle politische Entwicklungen im Nahen Osten Teil.

Und ist es nicht das, was Demokratie ausmacht: Miteinander reden und diskutieren?

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