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EU-Grenzschutz - Orwell’sche Ausmaße an Europas Grenzen

Das EU-Parlament stimmt für das umstrittene Überwachungssystem Eurosur. Durch den Einsatz von Hightech-Geräten sollen die EU-Grenzen ab Dezember besser überwacht werden. Eine Art „Big Brother“ des Mittelmeers?

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Europa schottet sich ab: Eine Woche nach der Flüchtlingstragödie von Lampedusa hat das Europarlament heute dafür gestimmt, das umstrittene Überwachungssystem Eurosur einzurichten. Durch den Einsatz von Hightech-Geräten sollen die EU-Grenzen ab Dezember besser überwacht werden. Außerdem soll Eurosur den Informationsaustausch zwischen den EU-Staaten und der Grenzschutzagentur Frontex intensivieren. Ziel ist es, illegale Einwanderung abzuwehren, grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen und Flüchtlingen in Seenot zu helfen.

Nach dem Bootsunglück von Lampedusa, bei dem Schätzungen zufolge mehr als 300 Menschen gestorben waren, hatten hochrangige Politiker immer wieder auf die vermeintlichen Chancen des neuen Systems hingewiesen. „Eurosur wird den Mitgliederstaaten dabei helfen, kleine Boote auf dem Meer besser finden, zu identifizieren und zu retten“, erklärte die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström kurz nach der Katastrophe.

Doch das System, das etwa 338 Millionen Euro kosten soll, ist hoch umstritten. Nach Ansicht von Kritikern soll es vor allem dazu beitragen, den Zustrom von Flüchtlingen, die über das Mittelmeer nach Europa gelangen wollen, abzuwehren. Eine Studie der Heinrich Böll Stiftung kritisiert, dass an keiner Stelle genau definiert werde, wie der Schutz und die Rettung von Flüchtlingen ablaufen werde. Auch würden keinerlei Verfahren erläutert, was mit den „Geretteten“ geschehen solle.

Eurosur sei daher kaum als lebensrettendes Instrument anzusehen, heißt es in der Studie weiter. Vielmehr ergänze das System die langjährige europäische Politik, mit der Flüchtlinge daran gehindert würden, in das Hoheitsgebiet der EU zu gelangen – unter anderem mittels sogenannter ‚Zurückdrängungs‘-Aktionen (push back operations), bei denen die Migrantenboote gezwungen würden, in das Land zurückzukehren, aus dem sie gekommen seien. Auch die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl kritisiert, Eurosur werde das Sterben an den EU-Grenzen nicht verhindern. Das Gegenteil sei zu befürchten: „Durch die Überwachung der Meeresenge von Gibraltar werden die Fluchtwege nach Europa nur länger und gefährlicher.“

Kritiker befürchten zudem, Eurosur könne sich zu einer Art „Big Brother“ des Mittelmeers entwickeln:  Denn die Sicherheit der EU-Grenzen soll durch den Einsatz von Drohnen, Satelliten und anderer Hightech-Geräte gewährleistet werden. Ein Kommentator der New York Times bezeichnet Eurosur deshalb  als „Traum von Sicherheits-Hardlinern und der internationalen Waffenindustrie“.  Ska Keller, eine Grünenabgeordnete im Europaparlament, die an der Studie der Heinrich Böll-Stiftung mitgewirkt hat, befürchtet sogar Orwell’sche Ausmaße: Eurosur verwandele die EU-Außengrenzen in ein „Experimentierfeld für eine neue Generation von  Überwachungstechnologien“, schreibt sie auf der Website der Heinrich Böll-Stiftung.

Weiter heißt es in ihrem Statement: „Hier, wo kaum einer hinguckt, soll Frontex künftig im Einsatz gegen irreguläre Migration und grenzüberschreitende Kriminalität die neuesten Entwicklungen der europäischen Rüstungs- und Sicherheitsindustrie erproben.“  Mit anderen Worten: Ein Ausverkauf der europäischen Grenzen drohe.

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