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(Zvetan Lalov) Anhänger des Kairoer Fußballclubs Ahly SC demonstrieren am Donnerstag gegen den herrschenden Militärrat

Nach Stadion-Blutbad in Ägypten - Die schleichende Konterrevolution

Das Ancien Regime schlägt zurück: Die blutigen Ausschreitungen zwischen zwei Fangruppen in Ägypten richten sich vermutlich gegen die jungen Revolutionäre, die im vergangenen Jahr Hosni Mubarak stürzten. Der Militärrat könnte aus der Gewalt Profit schlagen

Emad Sayed steht im Clubhaus seines Lieblingsvereins, er trägt ein schwarzes Jackett und weiße Turnschuhe. Seit 20 Jahren ist Sayed Mitglied des größten Fußballvereins Kairos, dem Ahly SC. Die Einrichtung spricht vom Ruhm des Vereins: Holzvertäfelung, Marmor, Kronleuchter. 35-mal war Ahly ägyptischer Meister. Eine Bildergalerie zeigt die früheren Manager des Vereins. Die ersten Fußballherren trugen noch den Fez, die traditionelle  Kopfbedeckung im Nahen Osten des frühen 20. Jahrhunderts. Der Verein war damals so etwas wie eine Zelle des Widerstands gegen die britische Kolonialbesatzung.

Seiner rebellischen Tradition ist er noch immer treu geblieben: Es waren die „Ahly Ultras“, die sogenannten Hardcore-Fans des SC, die in der Revolution eine entscheidende Rolle spielten. Sie stellten sich den vorrückenden Sicherheitskräften entgegen – und überwanden somit die Angst der anderen Demonstranten. Auch in den Auseinandersetzungen im November und Dezember standen die Ahly Ultras an vorderster Front. Die Militärführung hätte also durchaus einige Rechnungen zu begleichen.

Der jüngste Coup: die brutalen Ausschreitungen im Stadion von Port Said. Nach dem Abpfiff des Spiels am Mittwochabend waren die Anhänger des Vereins Al-Masry aufs Spielfeld gestürmt. Sie machten Jagd auf Spieler und Fans des Fußballclubs Ahly. Die anwesenden Sicherheitskräfte gingen nicht dazwischen. 74 Menschen kamen ums Leben.

Emad Sayed vermutet noch mehr dahinter. „Das Regime will Instabilität in Ägypten erzeugen, um den Ruf der Revolution zu schädigen“, sagt der 36-Jährige. „Wer Ahly angreift, der greift ganz Ägypten an.“

Viele Beobachter sagen, dass das Militär die Auseinandersetzungen in Port Said provoziert oder zumindest zugelassen hat, um in der Bevölkerung Ängste vor weiterer Gewalt zu schüren. Dadurch könnten die Generäle rechtfertigen, länger an der Macht zu bleiben und gegen die Ultras und die Revolutionäre vorzugehen.

„Das war eine geplante Sache“, sagt der 24-jährige Mohammed, einer der Ahly-Ultras SC. „Die Fans von Al-Masry bewarfen unseren Zug schon auf dem Hinweg mit Steinen.“ Mohammed ist nur knapp mit dem Leben davon gekommen.

„Vor dem Spiel gab es keine Sicherheitskontrollen wie sonst. Die Al-Masry-Fans waren mit Stöcken, Böllern und Messern bewaffnet“, sagt Mohammed. Videoaufnahmen des Spiels zeigen, wie tausende Al-Masry-Fans einfach auf die Tribünen der Gastmannschaft gelangen konnten. Diese konnten jedoch nicht vor den Angreifern fliehen.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wie das Militär die Demonstranten als Kriminelle darstellt.

„Alle Fluchttüren waren abgeschlossen worden. Also stellte ich mich auf die Schultern eines Freundes und versuchte über einen Zaun zu klettern. Doch ein Al-Masry-Fan riss mich zu Boden, stach mit einem Messer auf mich ein und trat mich“, sagt Mohammed, und zeigt auf seinen Arm, der mit breiten Messerschnitten übersät ist. Sein rechtes Bein ist gebrochen. „Viele meiner Freunde sind an diesem Tag gestorben.“

Bereits in der Vergangenheit waren Ultras wiederholt in gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt. Doch dann ging es für gewöhnlich gegen die Polizei, mit der sich die Fans innerhalb und außerhalb des Stadions Schlachten lieferten.

Der Demokratiefahrplan sieht vor, dass sich das Militär nach den Präsidentschaftswahlen im Juni 2012 aus der Politik zurückziehen soll. Das fordert die Muslimbruderschaft, die die kürzlichen Parlamentswahlen gewonnen hat – genau wie die Revolutionäre vom Tahrir-Platz. Die jungen Liberalen misstrauen der Bruderschaft und dem Militär jedoch. Sie sagen, dass die beiden einen Deal haben, um die Macht unter sich aufzuteilen.

Eine Eskalation der Gewalt würde dem Militär in die Hände spielen: Denn Ausschreitungen böten einen Vorwand, die Präsidentschaftswahlen und damit den Rückzug aus der Politik aufzuschieben. Große Teile der ägyptischen Bevölkerung sind der ständigen Ausschreitungen und Demonstrationen müde. Sie wünschen sich vor allem Sicherheit – und, dass sich die Wirtschaft wieder erholt. Auf die stumme Zustimmung dieser Menschen baut das Militär. Das Militär kontrolliert das Staatsfernsehen. Damit ist es ein Leichtes, die Ultras und andere Demonstranten als Unruhestifter und Kriminelle darzustellen.

Die blutigen Auseinandersetzungen in Kairo und anderen Städten am Donnerstagabend, bei denen zwei Menschen von der Polizei erschossen wurden, waren das zu erwartende Nachspiel der Geschehnisse in Port Said.

Die Revolutionäre, die dem Wahlsieg der Muslimbruderschaft genauso misstrauen wie dem Militär, hoffen, dass die Ahly-Ultras einen Sieg davontragen. Sie wollen mit anhaltendem Protest dem Militär Zugeständnisse abringen. Doch der Rest der Bevölkerung will Ruhe. Deshalb werden die Ultras, selbst falls sie diese Straßenschlacht gewinnen sollten, den Krieg wahrscheinlich verlieren.

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