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Manuel Valls - Die neue Lichtgestalt der französichen Linken

Francois Hollande reagiert auf die jüngste Wahlniederlage und ernennt den bisherigen Innenminister Manuel Valls zum neuen Regierungschef. Wer ist der neue starke Mann an Hollandes Seite? Ein Porträt aus unserem Archiv

Stefan Brändle

Autoreninfo

Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

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Frankreich ist konservativ, wählt aber gerne links. Dieses „french paradox“ geht zurück bis ins 18. Jahrhundert, als die Revolution das betuliche Ancien Régime ablöste. Im 21. Jahrhundert verkörpert Manuel Valls dieses Paradoxon; er ist die Lichtgestalt der französischen Linken.

Während die Zustimmung für Präsident François Hollande und Premierminister Jean-Marc Ayrault schwindet, steigen Valls Zustimmungswerte kontinuierlich. Mittlerweile ist der 50 Jahre alte Innenminister der populärste Politiker der Franzosen. Wer nach dem Erfolgsrezept des stets grimmig dreinblickenden und zum rechten Flügel seiner Partei zählenden Sozialisten fragt, bekommt zur Antwort: Sicherheit, Autorität, republikanische Ordnung. Und Valls greift hart durch – gegen islamistische Terrornetze, gegen illegal errichtete Roma-Lager, gegen Drogenbanden in den Banlieues.

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Viele seiner Gegner, vor allem am linken politischen Rand, sehen in ihm in erster Linie einen neuen Nicolas Sarkozy. Der war schließlich vor seinem Einzug in den Élysée-Palast auch aus dem Innenministerium gestartet. Dennoch hinkt der Vergleich. Während Valls elf Jahre als Bürgermeister von Évry amtierte, einer farbigen, aber enorm diffizilen Immigrantenvorstadt im Süden von Paris, verwaltete Sarkozy den Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine, wo die Bourgeoisie der Nation lebt.

Valls sei „kein linker Sarkozy“, sagt daher der bekannte französische Journalist Hervé Gattegno. Der medienbewusste Valls trete zwar wie einst Sarkozy gerne an Verbrechensschauplätzen vor die Kameras. „Aber Valls kündigt nicht jedes Mal gleich ein neues Gesetz an; er poltert nicht gegen die laschen Richter, er überbietet sich nicht mit dem Thema Sicherheit.“

Und er lästert nicht – wie einst Sarkozy – über den „Abschaum“ in der Banlieue. Valls ist politisch konsequenter als der ehemalige französische Präsident, aber auch differenzierter. Er lehnt das von den Sozialisten versprochene Ausländerstimmrecht auf Gemeindeebene als politische Dummheit ab – gleichzeitig plädiert er für eine erleichterte Einbürgerung. Als Valls jüngst eine Razzia unter Islamisten anordnete, warnte er gleichzeitig vor jeder „Gleichsetzung“ von Islam und Terror. „Sie (die Terroristen) kommen nicht aus dem Ausland, sie kommen aus unseren Vorstädten“, hält Valls der französischen Gesellschaft den Spiegel vor. „Es sind keine Ausländer, es sind konvertierte Franzosen!“

Seite 2: Valls spricht Klartext

Valls sieht die Probleme Frankreichs präziser und zugleich distanzierter als viele Politiker. Vielleicht weil er von außen kommt? 1962 in Barcelona geboren, ist er erst im Alter von 20 Jahren Franzose geworden. Der Sohn eines spanischen Malers und einer Schweizer Architektentochter spricht außer Spanisch und Italienisch auch fließend Katalanisch. Vor allem aber Klartext. Kompromisslos klar prangert er auch die Korruption in der eigenen Polizei an, vor der Sarkozy stets die Augen verschlossen hatte. In Marseille löste er eine Banlieue-Brigade kurzerhand auf, als bekannt wurde, dass einige der Beamten selbst mit Drogen gedealt hatten.

Viele Franzosen erinnern sich auch an Valls’ zornrotes Gesicht, als seine Parteifreundin Ségolène Royal 2008 mutmaßlich Opfer eines parteiinternen Wahlbetrugs wurde, der sie um den Parteivorsitz brachte. Während die meisten Genossen nur die Schultern zuckten, wollte Valls Klage gegen die eigene Parteiführung einreichen. Erst im letzten Moment machte der Sozialist einen Rückzieher, um es sich nicht mit der neuen Parteichefin Martine Aubry zu verscherzen. Auch das ist Valls: Sein Temperament hindert ihn nicht, an seine Karriere zu denken.

Aubry vergaß den Zwischenfall ebenso wenig und forderte Valls 2009 auf, die Partei zu verlassen, nachdem er sich seinen bisher einzigen Schnitzer leistete: In Évry forderte er bei einem Auftritt einen Mitarbeiter auf, „ein paar Weiße“ ins Publikum zu stellen – nicht wissend, dass er gerade gefilmt wurde. Valls blieb in der Partei. 2011 kandidierte er gar bei den Vorwahlen des Parti Socialiste für die Präsidentschaftswahl 2012. Doch die Zeit war noch nicht reif für ihn: Mit 6 Prozent der Stimmen schied er bereits nach dem ersten Wahlgang aus.

Der interne Sieger Hollande aber erkannte Valls Talente und machte ihn zu seinem Kampagnensprecher. Der hatte maßgeblichen Anteil am späteren Wahlsieg des blassen Sozialisten, und dieser belohnte ihn wiederum mit dem Innenministerposten.

Das hätte der Präsident vielleicht besser gelassen. Fünf Monate später sieht es für Hollande düster aus – Valls hingegen wird als zukünftiger Premierminister gehandelt, zumal der steife Regierungschef Ayrault immer mehr zu einer Hypothek wird. Und auch diesen Posten betrachtet Valls wohl lediglich als Zwischenstation – auf seinem Weg in den Élysée. 

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