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() Nelson Mandela wird am 18. Juli 2008 90 Jahre alt - er steht noch immer im Rampenlicht
Mit Mandela im Gefängnis

Der südafrikanische Freiheitskämpfer Theo Cholo war 15 Jahre lang auf Robben Island inhaftiert. Während sein Zellennachbar Nelson Mandela nach der Entlassung Präsident und Friedensnobelpreisträger wurde, lebt Cholo noch immer in einem Township.

Robben Island, Südafrika, 1982 Das Besuchszimmer ist eng und stickig. Theo Cholo sitzt auf einem wackligen Holzstuhl und blickt durch ein kleines, quadratisches Fenster. Auf der anderen Seite sitzt ein junger Mann, Anfang zwanzig, den Cholo noch nie in seinem Leben gesehen hat. Er kann ihn kaum erkennen, weil das Glas so dreckig ist. Der Junge lächelt schüchtern und rutscht verlegen auf dem Stuhl umher. Dann sagt er: "Hallo Papa, ich bin dein Sohn." Nach 15 Minuten führen sie Cholo zurück in seine Zelle. In diesem Moment wird ihm klar: Für seinen Kampf um Freiheit und Gleichheit für die Menschen hat er seine Familie geopfert. Nelson Mandela hatte gefordert: "Wenn es sein soll, dann müssen wir für unsere Ideale sterben." Theo Cholo ist ihm bedingungslos gefolgt. Soshanguve, Südafrika, 2008 Es ist nicht einfach, Theo Cholo zu finden. Er wohnt in Soshanguve, einem Schwarzenghetto aus den Zeiten der Apartheid, im Norden von Pretoria. Vor zwei Jahren gab es hier Straßenschlachten, weil sich die Bevölkerung aufgelehnt hatte gegen die lausigen Straßen, die stinkenden Latrinen, den Wassermangel und die infektiösen Müllberge am Straßenrand. Niemand weiß genau, wie viele Menschen hier hausen. Es sind wohl knapp zwei Millionen. Wir kurven durch ein wirres Labyrinth aus Schotterpisten. Hütten und Häuser sind willkürlich angeordnet. Theo Cholo wohnt in Block K. Nach 15 Jahren Gefängnis kam er aus Block B auf Robben Island in Block K in Soshanguve. Er wartet schon neben seinem Haus. Cholo ist 81 Jahre alt. Doch dieser Mann sieht aus wie höchstens sechzig. Er hat ein erstaunlich faltenloses Gesicht und verstörend strahlend blaue Augen in seinem tiefdunklen Antlitz. Es ist wie ein Witz der Natur: Ausgerechnet er hat die hellen Augen der Weißen. Er wundert sich, dass ihn jemand interviewen will. Während sein Zellennachbar und Mitkämpfer Nelson Mandela zum Weltstar wurde, interessierte sich keiner für ihn. Cholo hat es sich eingerichtet im Schatten der Lichtgestalt. Er führt uns in sein Wohnzimmer. Eine lederne Sofagarnitur und ein alter Fernseher. Für So­shanguve ist er ein reicher Mann. Seine Frau hat ihr schönstes Kleid angezogen und bringt Tee und Brötchen. Nördliches Transvaal, 1927 "Ich wurde in einem kleinen Dorf in der Provinz Limpopo geboren", erzählt Cholo. Es ist ein schönes, offenes Land mit sanften Hügeln. Theo hat drei Schwestern und vier Brüder. Er ist der älteste Sohn, er muss Verantwortung übernehmen: Er hütet Kühe und Schafe. Sie haben gerade so viel zu essen, dass sie satt werden. Noch lebt er in einer sorgenfreien Welt. Im Alter von 13 Jahren kommt er in die Schule. Zweimal in der Woche. Öfter darf er die Tiere nicht allein lassen. Theo kann sich noch genau daran erinnern, wie ihm mit 16 Jahren ein Mensch begegnete, der so anders aussah: ein höflicher Priester, der in der Gegend missionierte. Es war der erste weiße Mann, den Theo in seinem Leben sah. Damals ahnt er noch nicht, dass der kleine Unterschied in der Pigmentierung der Haut sein Leben bestimmen würde. Cholo hat keine ordentliche Schulbildung, aber er muss Geld verdienen für seine Familie. Also geht er Anfang der fünfziger Jahre in eine Gärtnerei nach Johannesburg. Mitten hinein in die fremde Welt der Apartheid. Noch heute blickt er voller Zorn und Wut zurück. Sein weißer Chef schlägt ihn. Er bekommt kein Gehalt, nur Provision. An vielen Tagen, wenn er keine Blumen verkauft hat, muss er abends hungrig ins Bett gehen. Der Arbeitgeber hat seinen Pass und ihn damit in der Hand. Cholo will kündigen, aber er darf nicht. Es ist die Zeit, in der Schwarze ohne Genehmigung nicht mal in eine andere Stadt fahren dürfen. Sie leben wie Sklaven. Cholo flüchtet und schafft es, bei einem Großhandel für Baustoffe unterzukommen. Er fängt an, sich für die Rechte der Arbeiter einzusetzen, und tritt dem African National Congress (ANC) bei. Cholo lernt seine Frau Mnaphuti kennen und bekommt mit ihr zwei Söhne. Sie leben in ärmlichen Verhältnissen in Soweto. Die Mitgliedschaft im verbotenen ANC wird immer gefährlicher. 1961 folgt Cholo dem von Nelson Mandela gegründeten militanten ANC-Flügel Umkonto we Sizwe, was so viel bedeutet wie "Speer der Nation". Sie wollen den Unrechtsstaat stürzen. Wenn es sein muss, mit Gewalt. Township Soweto, 1962 Es ist ein kühler Tag im Juni, als Theo Cholo ein paar wenige Habseligkeiten packt und seiner Frau seine gesamten Ersparnisse überreicht: 45 Pfund. Das ist damals genug Geld, um ein paar Monate zu überleben. Er will nicht lange wegbleiben. Cholo reist nach Botsuana, wo er sich mit Nelson Mandela trifft. Sie wollen den Staat mit Sabotageakten destabilisieren und dann womöglich einen Guerillakrieg beginnen. Einziges Problem: Sie haben keine Kämpfer. Cholo reist in die Nähe von Moskau in ein Ausbildungslager für Freiheitskämpfer. Dort lernt er, wie man aus Zucker und den paar Zutaten, die zu bekommen sind, Bomben baut. Er fliegt weiter nach China, um auch dort den bewaffneten Kampf zu üben. Als Kommandant einer Guerillaeinheit soll er die Speerspitze des Aufstands bilden. Aber sie sind dem Staat hoffnungslos unterlegen. Sie haben kein Geld und kaum Waffen. Sie sind ein Haufen verträumter Idealisten. Nach über drei Jahren Ausbildung will Cholo zurück nach Südafrika. Er versucht, mit ein paar Pistolen im Gepäck auf dem Landweg einzureisen. Doch er wird in Botsuana geschnappt. Urteil: drei Jahre und neun Monate Gefängnis. Kaum freigelassen, fliegt er über Madagaskar nach Swasiland. 1971 wird er von ANC-Freunden in einem Auto über die Grenze geschleust. Von da an lebt er im Untergrund. Er schlägt sich durch. Hungrig. Mit einem gefälschten Pass auf den Namen Muti Rengha. Er darf keinen Kontakt zu seiner Familie aufnehmen. Seine Frau Mnaphuti hat keine Ahnung, wo er lebt. Ob er überhaupt noch lebt. Eines Tages klingelt ein Polizist bei ihr und erklärt: "Es tut uns leid, Ihr Mann ist gestorben." Mnaphuti hofft, dass es eine Lüge ist. Sie soll auspacken über die Freunde ihres Mannes. Aber sie schweigt. Ihren Söhnen sagt sie: "Euer Vater kämpft für eure Freiheit." Auch Mnaputhi wird ANC-Aktivistin. Sie ist stark. Sie weint nicht. Doch die Revolution ist in weiter Ferne. Mandela sitzt bereits auf Robben Island – verurteilt zu lebenslanger Haft. Fünf Monate lang kann sich Cholo vor der allgegenwärtigen Staatsgewalt verstecken, dann wird er verraten. Zwei Polizisten kommen in die Hütte in Soweto, in der er sich versteckt hält. Cholo hat nichts gemacht. Er hat keinen Menschen umgebracht. Er hat keine Waffe. Er hat allenfalls von einem Befreiungskrieg geträumt, in dem er aber nie gekämpft hat. Die Polizisten wollen die Namen der anderen Aktivisten wissen. Er will sie nicht sagen. Sie hängen ihn kopfüber auf und foltern ihn. Sie ziehen ihm die Zehennägel einzeln aus dem Fußbett. Er blutet aus Nase, Ohren und Augen – und schweigt. Sie können seinen Willen nicht brechen. Der Staatsanwalt wirft ihm vor, dass er den Staat bekämpfen will. Cholo sagt vor Gericht: "Ja, das ist korrekt." Sie verurteilen ihn zu 15 Jahren Gefängnis. Robben Island, 20.Juni 1973 Sie bringen ihn in seine Zelle. Er bekommt eine kurze Hose, ein dünnes Unterhemd und eine Drillichjacke. Draußen an seiner Zelle steht auf einem weißen Zettel: T Cholo 10/2041. Neben ihm sitzt Govan Mbeki, der Vater des heutigen südafrikanischen Präsidenten. Eine Zelle weiter steht: N Mandela 466/64. Block B ist eine einstöckige, rechteckige Festung mit einem gepflasterten Innenhof von dreißig mal zehn Metern. Auf drei Seiten liegen die Zellen. Auf der vierten Seite patrouillieren Soldaten mit Schäferhunden auf einer Mauer. 24 Gefangene sitzen in Block B. Es sind die Kader des ANC. Jede Zelle hat ein kleines, vergittertes Fenster und eine Metalltür. Seine Zelle ist drei Schritte lang und zwei Schritte breit. In ihr befindet sich nichts außer einer Decke und einem kleinen Sanitäreimer, das ist die Toilette. Die Glühbirne über ihm brennt 24 Stunden am Tag. "Hier julle gann vrek", haben ihm die Wärter zugerufen: "Hier werdet ihr verrecken." 15 unendlich lange Jahre. Mehr als 5000-mal geht die Sonne über dem Kap der Guten Hoffnung auf und wieder unter – ohne dass Theo Cholo Anlass zu irgendeiner Hoffnung hätte. Draußen bricht der Ostblock zusammen. Drinnen sieht es so aus, als wäre die Apartheid für immer zementiert. Sogar im Gefängnis ist die Rassentrennung vollkommen: Es gibt keine schwarzen Wärter und keine weißen Gefangenen. Es ist Nelson Mandela, der Cholo immer wieder aufrichtet. Sein unerschütterlicher Wille und Gleichmut lassen die Insassen nie an einem Sieg zweifeln. Oft hält Mandela Reden, während sie im Steinbruch schuften. Cholo unterstützt den ANC-Führer so gut er kann. Im geheimen Kommunikationskomitee sorgt er dafür, dass wichtige Nachrichten aus dem Block geschmuggelt werden. Er versteckt Zettel unter der Maispampe und gibt sie demjenigen, der das Essen verteilt. Er präpariert leere Streichholzschachteln, die einen doppelten Boden mit geheimen Botschaften enthalten. Er zweifelt nie daran, dass sein Traum von einer gerechten Welt wahr werden würde. Denn auch wenn sie ihm alles genommen haben – seine Hoffnung lässt er sich nicht rauben. Kapstadt, 19.Juni 1988 Cholo wird entlassen. Seine Frau holt ihn ab. Sie hat ihn 26 Jahre lang nicht mehr in ihren Armen gehalten. Doch die Apartheid ist noch nicht besiegt. Nach ein paar Wochen verlässt er seine Familie erneut: "Ich muss weiterkämpfen." Er geht wieder in den Untergrund. Diesmal reist er in die Tschechoslowakei. Dann passiert, womit niemand mehr gerechnet hat. Mit ungläubigen Augen sieht er im Fernsehen, wie der weiße Präsident Frederik Willem de Klerk erklärt, dass er alle politischen Gefangenen freilassen will. Cholo kann es nicht glauben. Sie haben tatsächlich gewonnen. Cholo holt seinen alten Mitstreiter Nelson Mandela am 11.Februar 1990 vom Gefängnis ab. Um 16:15 Uhr kommt er frei. Das Unrechtssystem der Rassentrennung bricht zusammen. In einem Referendum im März 1992 sprechen sich 68,7 Prozent der Weißen in Südafrika für eine Abschaffung der Apartheid aus. Nun trennen sich die Wege von Cholo und Mandela. Jetzt ist es nicht mehr die Rasse, die zwischen den Menschen steht, sondern die Lebensrealität. Mandela versteigert seine Gefängniskleider für einen guten Zweck. Jemand zahlt dafür 136000 US-Dollar. Cholo hat die Hose und die Schuhe, die er in Robben Island trug, seinen Nachbarn gegeben. Damit sie etwas zum Anziehen haben. Nelson Mandela wird 1994 Südafrikas Präsident. Cholo arbeitet als Assistent eines Lokalpolitikers. Ein paar Mal lädt ihn Mandela in seine Villa ein. Im März 1994 wird Cholos 35-jähriger Sohn Phuti direkt vor seiner Haustür in Soshanguve von Schwarzen erschossen. Wortlos rauben sie ihm den Autoschlüssel und brausen davon. Darüber wird Theo Cholo nie hinwegkommen. Da kämpft er sein ganzes Leben lang für die Rechte der unterdrückten Mitbewohner, und dann erschießen sie seinen Sohn – wegen eines verdammten Autos. Soshanguve, 2008 Seit fünf Jahren sitzt Cholo in einem Provinzparlament in Limpopo. Er hat einen Wagen mit Fahrer, der ihn jede Woche hinbringt. Sein kleines gelbes Haus hat als einziges der ganzen Straße zwei Stockwerke. Vielleicht ist er der unfreiwillige Beweis dafür, dass nicht alle Menschen gleich sind, wie er immer glauben wollte. Jeder Mensch versucht, das Beste für sich herauszuholen – auch ein Freiheitskämpfer. Es sitzt noch ein Mann im Wohnzimmer von Theo Cholo. Es ist Matsobene Mabusela, ein Mitkämpfer aus alten Guerillatagen. "Ich habe vier Kinder und seit acht Jahren keine Arbeit", sagt er. Cholo hat ihn buchstäblich aus einer Müllhalde gefischt. "Ich versuche, einen Job für ihn zu finden", sagt Cholo. Aber es sieht nicht gut aus. Südafrika liegt wirtschaftlich am Boden. Von Gleichberechtigung keine Spur. 84 Prozent des Landes gehören den zehn Prozent Weißen. Die politischen Nachfahren seiner Generation sind eine Enttäuschung. Der aktuelle ANC-Parteichef und Präsidentschaftsanwärter heißt Jacob Zuma. Jüngst stand er wegen Vergewaltigung vor Gericht. Er hatte mit einer ­HIV-positiven Frau ohne Kondom geschlafen und vor Gericht gesagt: "Ich habe mich danach geduscht, das schützt vor einer Übertragung des Virus." Nun ist er angeklagt wegen Korruption, Geldwäsche und Betrug. Mandelas Erben sind eine Schande. In vielen Köpfen lebt die Apartheid noch immer weiter. Unlängst wurde ein Skandal aufgedeckt. Weiße Studenten hatten ihre schwarzen Putzkräfte gedemütigt, indem sie in ihr Essen pinkelten. "Sie glauben immer noch, dass wir ihnen unterlegen sind", sagt Theo Cholo. Am 18.Juli 2008 wird Nelson Mandela 90 Jahre alt. Es werden mehrere Tausend internationale Gäste zur Party erwartet. Theo Cholo wird wohl nicht dabei sein. Er ist nicht neidisch. "Ich bin sehr zufrieden mit dem, was ich erreicht habe", sagt er. Schließlich hat er das, was so vielen Menschen fehlt: einen Grund, jeden Morgen aufzustehen. Cholo hat fast seine gesamte Freiheit geopfert, damit andere Menschen ein klein wenig davon gewinnen. Foto: Picture Alliance

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