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Vampire - Spießige Boten der Softmoderne

Vor allem in amerikanischen Serien werden Vampire gern auf die Menschheit losgelassen. Aber in harmloser Form, sie beißen und töten nicht. Dafür erobern sie junge Frauen. Doch mehr als küssen passiert da nicht, denn der postmoderne Vampire sublimiert seine Triebe 

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Einem Vampir den Garaus zu machen, ist im Grunde kein Problem: Holzpflock ins kalte Herz, vorbei ist der Spuk. Oder man schlägt ihm einfach die Rübe ab. Dafür braucht man aber ein Schwert. Leichtsinniger Weise hat das der zivilisierte Mitteleuropäer selten griffbereit. Dann helfen nur Eisenkraut, Knoblauch und Kruzifix. Aber die wirken nur temporär.

Kein Wunder also, dass die beißwütigen Burschen die Neigung haben, sich epidemieartig auszubreiten. Schließlich sind sie ja unsterblich. Es soll sogar Exemplare geben, die schon mehrere hundert Jahre alt sind. Sehr bedenklich. Dramaturgisch gesehen ist das natürlich dankbar. Insbesondere für Serienproduzenten: ewige Jugend, ewiges Leben, ewige Schönheit – das sind ideale Ingredienzien für jeden Drehbuchautor.

Hinzu kommen Sinnfragen: denn ein ewiges Leben kann ziemlich lang werden. Und öde. Nach 400 Jahren reizt einen vermutlich auch der lieblichste Hals nicht mehr so recht. Dann kommt Überdruss auf und Langweile. Aber an wen soll man sich mit seinen Sorgen wenden als Vampir? An die Peergroup? Wie peinlich, die lachen einen glatt aus. Und alle anderen haben kein Verständnis. Da kann man schon ganz schön melancholisch werden.

Das Vampir-Revival begann 1994 mit "Interview with the Vampire"


Was für herrliches Material und was für wunderbare Konflikte. Daraus lassen sich Dramen in der Endlosschleife produzieren. Folgerichtig ist fast unmöglich, den Fernseher anzuschalten, ohne einem Vampir zu begegnen. Wahlweise auch einem Werwolf. Oder Dämonen jägern.

Im Grunde begann alles 1994 mit „Interview with the Vampire“. Gut, die Hauptdarsteller waren etwas limitiert und starrten die ganze Zeit ziemlich belämmert durch ihre Kontaktlinsen, aber es reichte für ein Revival des Vampir-Genres. Gleichwohl: Endliche Filme zur Darstellung eines unendlichen Lebens – das ist irgendwie unbefriedigend und verschenkt eine Menge Potential. Das wahre Format des Vampirs ist daher die Serie.

1997 startete „Buffy – Im Bann der Dämonen“. „Buffy“ schuf ein neues Genre: den Highschool-Mystery-Film. Das setzte Maßstäbe und war überaus erfolgreich. Konsequenter Weise folgte bald ein Spin-Off: „Angel – Jäger der Finsternis“.

Danach gab es kein Halten mehr: „Moonlight“, „Being Human“, True Blood“, „Vampire Diaries“, „The Originals“ – vor allem amerikanische Sender überboten sich darin, Vampire in Serie auf die Menschheit loszulassen.

Ihre Dramaturgie beruht auf einem einfachen Kniff: dem geläuterten, dem guten Vampir. Der findet es unfein, Menschen zu beißen oder gar zu töten. Dieser freundliche Zug macht Sozialkontakte zu sterblichen Menschen möglich – vor allem zu Frauen.

Der Reiz dieser Konstellation liegt darin, dass sie eines der ältesten Motive der Literatur in allen Facetten durchdekliniert: die Sehnsucht nach Unendlichkeit in der romantischen Liebe, die ihre wahre Erfüllung im Tod findet. Romeo und Julia lassen grüßen. Allerdings stirbt Julia wirklich. Der Tod der modernen Vampirgeliebten jedoch wäre kein Tod. Im Gegenteil, der tödliche Kuss des Geliebten würde ermöglichen, was gemeinen Sterblichen biologisch vorenthalten ist: ewige Liebe, enthoben der Zeit und des Verfalls.

Natürlich kommt es zu dieser letzten, höchsten und ultimativen Vereinigung nicht. Der moderne Vampir ist nämlich, ebenso wie seine Angebetete, ein handfester Puritaner. Mehr als ein scheues Küsschen ist da nicht drin. Der postmoderne Vampir ist die Gestalt gewordene Triebsublimation. Seine Übernatürlichkeit beweist er nicht im hemmungslosen Ausleben seiner Libido, sondern in ihrer konsequenten Verdrängung.

Dazu passt, dass der weichgespülte Vampir unseres postheroischen Zeitalters ein elender Moralapostel ist. Wahrscheinlich trennt der Kerl sogar seinen Müll. Und wenn er doch einmal böse wird, dann ist es nicht eigentlich er, der animalisch und diabolisch wird, sondern die Manifestation einer anderen, gefährlichen Welt.

Seit Bram Stokers „Dracula“ (1897), im Grunde aber schon seit dem Aufkommen von Vampirmythen im Volksaberglauben, ist der Vampir vor allem eines: Projektionsfläche unserer Ängste und Sehnsüchte. Schon Strokers Beißer war ja nicht einfach nur eine Bedrohung, sondern auch eine Verlockung und eine Wunschfantasie der victorianischen Gesellschaft – vor allem in moralischer und erotischer Hinsicht. Der Graf aus den Karpaten erlaubt sich all das, was sich der brave Bürger im London des späten 19. Jahrhunderts bestenfalls erträumte – wenn überhaupt.

Serien-Vampire sind nicht mehr Sinnbild unserer dunkelsten Sehnsüchte, sondern spießige Musterknaben


So gesehen sind die modernen Vampire seit Brad Pitts Louis de Pointe du Lac ein echter Abstieg: Tugendbolde mit schlechtem Gewissen, die sich von Blutkonserven ernähern. Man ist fast geneigt, Mitleid zu bekommen.

Oder einen Lachanfall. Denn die victorianische Gesellschaft träumte immerhin noch den Traum des freien Individuums, das jenseits aller Moral, Tugend und Anstandsregeln sich triebhaft nimmt, was es begehrt. Und wovon träumen wir? Offensichtlich von spießigen Musterknaben oder Mustermägden, die ihre Triebe im Griff haben und ein Leben führen, als hätten sie gerade ein Seminar in Verantwortungsethik besucht. Allerdings passt das zu einer Gesellschaft, die vor allem von Ängsten geprägt ist: vor sozialer Unsicherheit, vor Kriegen und globalen Katastrophen.

Dracula war das Geschöpf einer Zeit, in der man viel gewinnen konnte, wenn man viel riskierte: Geld, Macht, Sex. Man konnte aber auch untergehen, ausgesaugt werden, krank, sozial geächtet, ökonomisch gescheitert.

Der postmoderne Vampir steht für die große Sehnsucht westlicher Gesellschaften, in Ruhe gelassen zu werden: Friede, Freude, Eierkuchen. Und er symbolisiert den sozialdemokratischen Traum von der Konsensgesellschaft, die alle umarmt und integriert. Und wenn einmal ein kleiner Streit aufkommt, dann reden wir miteinander, natürlich vollkommen gleichberechtigt.

Vorbei die Zeit, als der Vampir Sinnbild unserer dunkelsten Sehnsüchte war. Er ist degeneriert zum kirchentagstauglichen Boten von Integration, Inklusion, globaler Verständigung und sozialer Gerechtigkeit. Willkommen in der Softmoderne!

 

 

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