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Eventurbanität - Die Stadt wird zum bizzaren Freizeitpark

In Deutschlands Innenstädten wird immer häufiger öffentlich gefeiert. Erwachsene fahren mit albernen Blades und klobigen Protektoren durch die Stadt. Das Stadtbild verändert sich, der innerstädtische Raum wird entwertet. Die Stil-Kolumne von Alexander Grau

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Dem aufmerksamen Leser dieser Kolumne dürfte aufgefallen sein, dass ihr Verfasser in München lebt. Das hat natürlich auch Nachteile. Liebesentzug zum Beispiel. Ganz selten werden Münchner, die mutig ihre Identität lüften, warmherzig umarmt und mit einem „Wow, wie cool!“ oder „Hey, klasse!“ an die Brust gedrückt. Aber damit lernt man zu leben.

Doch München ist nicht nur das Hassobjekt aller Nichtmünchner, sondern zunächst einmal eine ganz normale Stadt. Manche behaupten sogar: eine Großstadt.

Das ist natürlich ein Irrtum. Zum Glück. Dennoch widerfahren einem dort mitunter seltsame Dinge. Zum Beispiel im Mai. Da radelte der Kolumnist unbeschwert und nichts Böses ahnend durch Schwabing, als er jäh aus seinen belanglosen Gedanken gerissen wurde. Schuld daran war eine hünenhafte Gestalt auf Rollerblades und mit schmucker, rot leuchtender Plastikweste, die mit einer energischen Armbewegung unmissverständlich zu verstehen gab, dass an ein Weiterfahren nicht zu denken sei. Die andere Straßenseite, nur wenige Meter entfernt, erschien plötzlich ähnlich unerreichbar wie der Mars.

Lag es an dem Kindersitz, der unvorteilhaft mein Rad zierte oder an meiner fragwürdigen Erscheinung? Auf jeden Fall verwandelte sich der kriegerische Gesichtsausdruck des rollenden Hobbysheriffs bei meinem Anblick in ein mitleidiges Lächeln, das mir gnädig signalisierte, dass ich passieren dürfte.

Kaum hatte ich heimlich triumphierend die andere Straßenseite erreicht, als sich ein Brausen und Rauschen näherte, das auch bei unerschrockenen Zeitgenossen Beklemmungen ausgelöst hätte. Und dann waren sie plötzlich da, pittoresk flankiert von munter blinkenden Polizeimotorrädern: Horden von Inlineskatern, die sich hupend, tutend und trötend durch die Straßen Schwabings wälzten.

In München findet im Sommer jeden Montag eine Bladenight statt


Nun lässt sich über Geschmack streiten, klar. Und im Grunde soll es hier auch gar nicht um ästhetische Fragen gehen. Aber mal im Ernst: Was haben wir eigentlich von erwachsenen Menschen zu halten, die ausgestattet mit klobigen Rollerblades und albernen Protektoren schwankend und kipplig über den Asphalt schaukeln, angetan mit einem Fahrradhelm, auf dem neckisch eine Quietschentchen klebt und die dabei fröhlich mit bunten Leuchtstäben herumwinken? Wie ist das einzuordnen? Feierabendregression zum Stressabbau? Sehnsucht nach Kindheit in einer alternden Gesellschaft?

Wie lange diese bizarre Veranstaltung dauerte, ist schwer zu sagen. Aber nach einer halben Stunde gurkten immer noch versprengte Reste atemloser Hobbysportler an gelangweilten Passanten vorbei. Denn natürlich ging nichts mehr. Autos, Fahrräder, Busse, Trams: alles stand still und wartete mehr oder minder geduldig. Nur vereinzelt stürzten sich Fußgänger mit Todesverachtung auf die Fahrbahn, in der tollkühnen Hoffung, unversehrt auf die andere Seite zu gelangen.

Das alles wäre halb so schlimm, wenn es sich um ein einmaliges Ereignis handeln würde. Im Grunde wäre es sogar ganz komisch. Doch leider findet die Münchner Bladenight, so ihr der Wettergott keinen wohlverdienten Streich spielt, wöchentlich statt. Jeden Montag. Von Mai bis September. Zudem gibt es Halbmarathons und Vollmarathons, den Stadttriathlon und den Citybikemarathon.

Da aber das Leben nicht nur aus Sport besteht, sondern auch aus Bier, Bratwürstchen und Feuerschluckern, kann man den Sommer über in der ganzen Stadt Dutzende von Straßenfesten erleben, das Streetlife-Festival auf der Leopoldstraße gleich zwei Mal im Jahr – weil’s so schön ist.

Sollten dann die Straßen tatsächlich einmal nicht gesperrt sein, rollt auf ihnen garantiert irgendeine Oldtimer-Ralley oder ein Vespa- oder Harley-Corso. Und den obligatorischen CSD-Umzug gibt es natürlich auch noch.

Wie gesagt: München ist eine ganz normale Stadt. Ähnliche Programme gibt es überall in Deutschland, wo mehr als drei Häuser zusammenstehen. Getrieben von Hotellerie und Tourismusbranche verwandeln sich Deutschlands Innenstädte in wummernde Partymeilen, auf denen sich in Bratwurstdunst gehüllte Bierbuden und Caipi-Stände aneinanderreihen, während die schönsten Boulevards zu Sportarenen oder Rennstrecken umfunktioniert werden. Dafür wird das eigentliche Stadtleben brachgelegt. Egal, Hauptsache Party.

Um an dieser Stelle nicht als Spaßbremse missverstanden zu werden: Sport ist toll, gemeinsamer Sport ist noch toller, zumal auf großer Bühne, und auch gegen Straßenfeste ist an sich nichts einzuwenden. Der Dauerumbau unserer Innenstädte in Freizeitparks ist jedoch nicht nur hinderlich und störend, er verändert ihr Gesicht nachhaltig.

Städte sind immer Ausdruck von Ideologien und Machtverhältnissen. Deshalb errichteten frühere Epochen Foren in ihnen, Kathedralen, Schlösser, Opernhäuser und Bankentürme. Jede Zeit hat ihre Götter. Und die heilige Dreifaltigkeit einer wohlstandssatten Freizeitgesellschaft heißt Spiel, Spaß und Zerstreuung.

Die Utopie der modernen Stadtplaner ist ein permanentes Disneyland


Da ist es nur Konsequent, wenn Innenstädte zu Eventzonen degradiert werden, zu Partyräumen und Fitnessarealen. Die Utopie moderner Stadtplaner, Investoren und Lokalpolitiker ist die Transformation der europäischen Stadt in ein permanentes Disney Land, zugepflastert mit Multiplexen, Erlebnisgastronomie und dauerbeschallt durch Events aller Art. Aus der Polis, dem Ort von Verwaltung, Recht, Handel und Kunst, wird eine großes Phantasialand.

Keine Frage: Brot und Spiele gehörten immer zum städtischen Lebensgefühl. Die Griechen bauten Theater, die Römer Bäder und Stadien. Und auch in mittelalterlichen Städten wurde der öffentliche Raum für Spiele und Volksbelustigung genutzt. Alles kein Problem.

Doch diese traditionellen Vergnügungen waren immer Teil der Konzeptes Stadt, nicht das Konzept selbst. Sie ergänzten und bereicherten das städtische Leben, behinderten es jedoch nicht.

Anders die spätmoderne Eventurbanität. Sie entwertet den städtischen Raum dauerhaft zu einem Freizeitgelände. Mit städtischem Lebensgefühl hat das nichts zu tun. Im Gegenteil, Innenstädte werden in Spielwiesen verwandelt, das Unstädtische und Vororthafte hält Einzug. Metropolen mutieren langsam aber sicher in übergroße, piefige Freizeitdörfer.

Doch man wertet den Lebensraum Stadt nicht dadurch auf, dass man ihm das Städtische nimmt und Straßen in verkehrsfreie Partymeilen oder Sportplätze verwandelt. Rettet die Urbanität unserer Städte!

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