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(Foto: Nasa) Wir Mondmenschen

Apollo 11 - Wir Mondmenschen

Vor vierzig Jahren betrat der erste Mann den Mond. Das hatte Folgen für die Astronauten – vor allem aber für die zu Hause Gebliebenen

Hier in den Sümpfen Floridas, wo sich sonst Schlange und Krokodil gute Nacht sagen, hatte es einen solchen Auflauf noch nie gegeben. Nicht weniger als fünf Mil­lionen Neugierige tummelten sich auf dem unwirtlichen Flecken. «Da waren alle Völker vertreten; es wurden alle Sprachen der Welt gleichzeitig gesprochen, in wirrem Durcheinander, wie einst in biblischen Zeiten um den Turm zu Babel.» So verschieden aber die Idiome, so buntscheckig die Kleidung – Hunger bekamen sie dann alle und vertilgten, weil es nichts anderes gab, das übliche amerikanische Fast Food: «Zur Essenszeit hätte man sehen sollen, wie diese Riesenmenge über die Spezialitäten des Südens herfiel und mit einem Appetit, der Floridas Vorräte gefährdete, die für einen europäischen Magen ekelhaften Gerichte wie Frosch-Frikassee, gedämpfte Affen, ‹Fish-Chowder›, gebratenes Opossum und Waschbär-Rostbraten verschlang. Und wie viele Getränke und Schnäpse brauchte man erst, um diese fette Nahrung zu verdauen!»

Dann aber richteten sich die Blicke voller Ehrfurcht nach oben – nicht auf die Sternenbanner, die aus dem festlichen und patriotischen Anlass überall gehisst worden waren, sondern zu den echten Sternen. Dorthin sollten an diesem Tag drei Astronauten aufbrechen, die bereits im Innern einer 900 Fuß hohen Rakete namens «Columbiade» Platz genommen hatten. Die letzten Sekunden wurden heruntergezählt, dann «ertönte ein fürchterlicher, unerhörter, übermenschlicher Knall, der nicht zu beschreiben ist, weder Blitzschlägen noch Vulkanausbrüchen vergleichbar. Eine himmelhohe Feuersäule schoß aus dem Boden wie aus einem Krater empor. Die Erde bebte – und kaum ein Zuschauer konnte für den Bruchteil eines Augenblicks das Projektil sehen, wie es inmitten flammender Dünste siegreich in die Lüfte emporsauste.»

Blindflüge durch Zeit und Raum bergen das Risiko, ihr Ziel um Haaresbreite zu verfehlen. Das gilt auch für die Literatur. Man kann Jules Verne, der diese Szene auf dem technologischen Wissensstand von 1867 und nach einem tiefen Blick in die prophetische Kristallkugel der frühesten Science Fiction ausmalte, daher Ungenauigkeiten ankreiden. Wenn die Rakete in seinem Roman «Von der Erde zum Mond» noch «Columbiade» hieß, so erhob sich gut hundert Jahre später, am 16. Juli 1969, tatsächlich die Saturn V – die NASA sollte bloß die Kommandokapsel auf den Namen Columbia taufen. Auch stand die Abschussbasis, das Kennedy Space Center, nicht wie bei Verne in «Tampa Town», sondern im nahe gelegenen Cape Canaveral. Dafür aber hatte Verne die Anzahl der Astronauten sowie die Ausmaße des Raumschiffs, in dem sie von der Trägerrakete ins All befördert wurden, richtig vorausgesehen: Drei Mondreisende saßen in einer Kapsel von etwa vier Metern Durchmesser. Und wie im Roman hatte die Geschichte mit der geglückten Wasserlandung im Pazifik auch in der Realität ein Happy End.


Die Geister der Indianer

Dass die Mondlandung der Apollo-11-Mission bereits literarisch vorweggenommen und damit eigentlich ein alter Hut war, steht in ernüchterndem Gegensatz zur Aufbruchsstimmung ihrer zukunftstrunkenen Zeitgenossen. «Gäbe es Hitparaden für Buchtitel», bemerkt Gloria Meynen, dann «spülte das Jahr 1969 auf einer Welle des beispiellosen Optimismus das Wort ‹Zukunft› auf den ersten Platz. Es hat den Anschein, als habe kein anderes Jahr die Zukunft mehr und hartnäckiger umworben als dieses.» In ihrer glänzend erzählten und historisch tiefenscharfen Untersuchung «Die andere Seite des Mondes» erkennt die in Zürich lehrende Kulturwissenschaftlerin die Mondlandung als Zäsur einer geistigen Zeitenwende. Aus einem Essay von H. G. Wells (neben Jules Verne eine weitere Vaterfigur der planetaren Science Fiction) leiht sie sich dazu ein markantes Begriffspaar: Es geht um den Übergang von der schwarzen zur weißen Zeit. Den jeweiligen Bewohnern dieser beiden Zeitzonen ist eines gemeinsam: Sie fliehen aus der Gegenwart. Nur fliehen sie in entgegengesetzte Richtungen. Geisteswissenschaftler zum Beispiel leben in der schwarzen Zeit. «Sie nehmen die Gegenwart nur als Schatten der Vergangenheit war.» Naturwissenschaftler hingegen «schneiden nur die Zukunft mit, ihre Geschichte haben sie vergessen».

Im strahlenden Weiß ihrer Raumanzüge müssen Astronauten als prototypische Vertreter der weißen Zeit erscheinen. Kann es daher verwundern, dass die NASA, als sie von Florida in die Zu­kunft durchstartete, sich kaum um die Geschichte des Abschussgeländes scherte? Dabei hatten die Archäologen der akribisch organisierten Raumfahrtbehörde davon gleich mehrere Schichten ausfindig macht: Der Zitronenhain, auf dem das Kennedy Space Center gebaut wurde, blühte auf einem ehemaligen indianischen Gräberfeld, das die Hinterlassenschaften spanischer und französi­scher Eroberer überlagerte, unter denen wiederum die Spuren einer vorchristlichen Siedlung nachzuweisen waren. «Auf den Müllbergen der Geschichte», so Meynen, «muss das Space-Center seinen Platz zwischen Ozean und Disneyworld behaupten.»


Zu real, um wahr zu sein

Noch immer transportieren Raketen von Cape Canaveral aus Raumfähren ins All. Bemannte Mondflüge sind aber – zumindest vorerst – auf dem Sondermüll der jüngeren Geschichte gelandet. Was damals 600 Milllionen Fernsehzuschauern in aller Welt den Atem stocken ließ, sieht im Videoarchiv von «Youtube» wie ein kurioser Slapstick aus. Die wie durch Watte gedämpften Bewegungen von Neil Armstrong und Buzz Aldrin, ihre tapsigen ers­ten Schritte und Hüpfer in der schwächeren Schwerkraft des Erdtrabanten, erinnern auf den grell belichteten und zugleich geisterhaft unscharfen Aufnahmen der Fernsehkamera an die Pionierzeit des Films im 19. Jahrhundert. Im stärksten Kontrast dazu stehen die Fotografien, die Aldrin mit seiner Hasselblad-Spezialkamera produzierte. In ihrer gestochenen Klarheit und farblichen Brillanz wirken sie beinahe zu real, um wahr zu sein.

Vielleicht auch deshalb: Auf der Hitliste der Verschwörungstheorien rangiert die Unterstellung, dass die Mondlandung in einem kalifornischen Filmstudio gefälscht wurde, bis heute ganz weit vorn. Sei es, so raunt es in der unendlichen Weite des Internets, dass die NASA mit diesen – womöglich von Stanley Kubrick – vorproduzierten Aufnahmen einen Defekt der satellitengestützten Übertragungstechnik kaschierte; sei es, weil in Wirklichkeit nie ein echter Mensch den echten Mond betreten hatte. Auch wenn solche Verschwörungstheoretiker den Vorgang in Raum und Zeit bestreiten, können sie aber nicht leugnen, dass die Mondlandung ein Medienereignis ersten Ranges war.

In seinem Buch «Die Reise zum Mond» erörtert der Kulturwissenschaftler Daniel Grinsted die medialen Eigenheiten des Apollo-11-Programms. Er gibt zu, dass auch die Krönung von Elisabeth II. und später der Fall der Berliner Mauer durch internationale Live-Übertragungen im Fernsehen zu global wirksamen Großereignissen geworden waren. Die Mondlandung aber fand im Unterschied dazu im «medialen Ausnahmezustand» statt: Außer der Film- und der Fernsehkamera, die die Astronauten zudem noch selbst bedienten, gab es keine Augenzeugen. Alle Bilder, die vom Mond um die Welt gingen, wurden unter der Regie der NASA produziert. Und nicht nur Journalisten, sogar den Astronauten selbst war es verwehrt, mit eigenen Augen all das zu sehen, was die Kameras filmten.

So zitiert Grinsted aus einem Funkgespräch, das der Astronaut Michael Collins, der während des Mondspaziergangs seiner Kollegen allein in der Kommandokapsel verbleiben musste, mit der Bodenstation in Houston führte. «Collins: ‹Wie läuft es?› Houston: ‹Bestens. Die Aktion verläuft wunderbar. Ich glaube, sie hissen gerade die Flagge.› Collins: ‹Großartig!› Houston: ‹Ich glaube, Du bist jetzt überhaupt der einzige Mensch, der das alles nicht im Fernsehen sieht.› Collins: ‹Das geht schon in Ordnung. Macht mir nichts aus. (Pause) Wie ist die Qualität der Fernsehbilder?› Houston: ‹Es ist wunderschön, Mike. Wirklich.›»

Buzz Aldrin aber, der doch immerhin seine Fußspuren im Mondsand hinterlassen hatte, äußerte sich nach seiner Rückkehr zur Erde enttäuscht. So sehr war er offenbar mit dem Aufsammeln von Gesteinsbrocken, dem Hantieren mit der Kamera und anderen technischen Instrumenten beschäftigt, dass das Erleben des besonderen Moments darüber ganz erstorben war: «Neil», so beklagte sich der zweite beim ersten Mann auf dem Mond, «wir haben die ganze Sache verpasst.» Denselben Gedanken fasste ein Jahr später Günther Anders in seinem Essay «Der Blick vom Mond». Der deutsche Sozialphilosoph wunderte sich darüber, dass die Astronauten einen beträchtlichen Teil ihres Rückflugs zur Erde, zwar planmäßig, aber doch mit geradezu unmenschlicher Gelassenheit schlafend verbracht hätten. «Gewiß», so Anders, «haben sie vieles, was wir, wären wir an ihrer Stelle durch den Weltraum gesaust, aufs intensivste ‹erlebt› hätten, versäumt. Aber pflichtgemäß und gottseidank versäumt. Denn ‹erleben› ist immer der Luxus der Nichtbeteiligten.»


Der Raketendoktor

Am 20. Juli 1969 wurde zum Angriff der Zukunft auf die übrige Zeit geblasen, und heute, zum 40. Jubiläum von Apollo 11, lässt sich die Gegenwärtigkeit dieses historischen Zukunftsglaubens besichtigen. Das so lebendige wie breit gefächerte Interesse am Thema ist nicht zu übersehen: Wenn ein Büchertisch ein Kosmos für sich ist, dann ragt der Stapel von Mondlandungsnovitäten darauf in astronomische Höhe. Und es scheint so, als ließen sich diese Titel nach einem einzigen Kriterium sortieren: Bekennen sich ihre Autoren zur schwarzen oder zur weißen Zeit? Alexis von Croy gehört als ehemaliger Redakteur der Pilotenzeitschrift «fliegermagazin» schon erwartungsgemäß zur zweiten, der zukunfts­frohen und technikfreundlichen Fraktion. Nach Art eines «Was-ist-was»-Jugendbuches bereitet er in «Der Mond und die Abenteuer der Apollo-Astronauten» allerlei Fakten handlich auf.

Stellvertretend für die Ausblendungen, für die sich nicht nur dieser Autor im Umgang mit der schwarzen Zeit entschieden hat, lässt sich ein einziger Name nennen: Wernher von Braun. «Wenn wir in diesem Tempo weitermachen, werden wir den russischen Zoll passieren müssen, wenn wir auf dem Mond landen.» Solche Meister­worte des «Raketendoktors» werden einzelnen Kapiteln dieses Buches wie Bibelsprüche vorangestellt.

Eine ausführliche Auseinandersetzung mit Wernher von Braun liefern hingegen zwei Biografien. Die von Stefan Brauburger erscheint begleitend zu einer ZDF-Dokumentation in der «edition Guido Knopp», und genauso liest sie sich auch. Das Zeug zum Standardwerk hat eher Michael J. Neufelds Buch «Wernher von Braun. Visionär des Weltraums – Ingenieur des Krieges». Dem kanadischen Raumfahrthistoriker gelingt es auf nicht weniger als 700 Seiten, das technisch komplizierte Wissensfeld Raumfahrt ohne überstarke Vereinfachungen auch Laien anschaulich zu machen.

Zudem begreift Neufeld anhand seines schillernden Protagonisten die moralischen Verwerfungen einer bis in die siebziger Jahre verlängerten Weltkriegsgeschichte – umfassend zeichnet er die Instrumentalisierungen der Wissenschaft durch die Politik wie die Reflexe einer zunehmend vergesslich gewordenen Öffentlichkeit nach.


Das 21. Jahrhundert beginnt 1969

Dass es ein dunkler Brunnen war, aus dem die Raketenwissenschaft der NASA schöpfte, ließ sich dennoch kaum verhehlen. Und so mischten sich in die Euphorie, in die Apollo 11 die amerikanischen Medien versetzt hatte, auch einzelne Stimmen, die daran erinnerten. «Sagen Sie, Dr. von Braun», so lautete eine Frage, auf die der Angesprochene wäh­rend einer Pressekonferenz wortlos den Saal verließ, «wie lässt es sich denn verhindern, dass die Saturn V auf London niedergeht?» Wer so fragt, ist ganz offenbar der schwarzen Zeit verhaftet und in dieser Hinsicht dem Schriftsteller Norman Mailer verwandt, der diese Anekdote mit Vergnügen kolportiert.

Für mehrere Wochen hatte er sich aus New York in die brütende Julihitze des Südens aufgemacht, um die Ereignisse in Houston und Cape Canaveral zu verfolgen. Im Folgejahr erschien seine gewaltige Reportage in Form eines 500-seitigen Buches. «A Fire on the Moon» (Auf dem Mond ein Feuer) ist ein Glanzstück des New Journalism, jenes höchst subjektiven und dennoch nicht fiktiven Schreibens, das neben Mailer auch Tom Wolfe, Gay Talese und Hunter S. Thompson in jenen Jahren zur Blüte getrieben hatten.

Zum Ziel seiner Mondlandungs-Recherche hatte sich Mailer die Beantwortung einer hochfliegenden Frage gestellt: ob nämlich «das Raumfahrtprogramm die nobelste Ausdrucksform des zwanzigsten Jahrhunderts darstellte oder die endgültige Erklärung unserer Geistesgestörtheit». Es war ein mühsames Unterfangen, schließlich musste der Schriftsteller inmitten ganzer Heerscharen akkreditierter Journalisten aus aller Welt Nachrichten zumeist ohne jeden Originalitätswert beschaffen. Er drängelt sich bei Sammelinterviews und harrt in ellenlangen Pressekonferenzen aus, in denen kein Wort gesagt werden darf, das nicht genau der offiziellen Sprachregelung der NASA entspricht. Einmal kommt es sogar zu einem Small Talk mit Wernher von Braun, dem «Maschinengott». Der aber – wohl in der Lage, «instinktiv Freund und Feind zu unterscheiden» –, wendet sich schnell ab. Zielsicher hat der Technokrat den Schriftsteller als Adepten der schwarzen Zeit identifiziert.

Und nicht zu Unrecht: So wie Günther Anders in den amerikanischen Astronauten nur noch «einmontierte Monteure» erkennt, spricht Mailer von den «Gralsrittern des technologischen Zeitalters». Nur dass hinter ihren Rüstungen weder Heroismus noch Angst sichtbar werden: Neil Armstrongs Gesicht erscheint dem Schriftsteller «hinter dem gläsernen Visier so nackt und wimpernlos wie das einer neugeborenen Katze im Fruchtsack».

Nach der Aussicht auf einen womöglich tödlichen Unfall befragt, ließen die Astronauten nur den bürokratischen Begriff der «Eventualität» gelten. In ähnlicher Nüchternheit, erinnert sich Mailer, hatten auch die Nazis und Kommunisten den Massenmord stets als «Liquidierung» bezeichnet. Sollte die Eroberung des Weltraums den Amerikanern als «Straße für den Einzug eines neuen Totalitären» dienen? Oder doch zumindest als gewaltiges Sterilisierungs­Projekt des bis dahin so chaotischen Jahrzehnts? Die Middle Class träumte, so Mailer, längst von der Trockenlegung dieser «Jauchegrube, angefüllt mit schwarzhäutigen Heiden, jüdischen Revolutionären und einem vielzüngigen, zottelhaarigen Minderheiten-Schleim von Nihilisten, Hippies, Sexualschweinen, Rauschgiftsüchtigen, liberalen Apologeten und schlichten Verrückten.»

Auf dem Mond gepinkelt

Das Fazit, das Mailer daraus zieht, ist nicht ohne Bitterkeit: «Das Jahr 1969 ist der Beginn des 21. Jahrhunderts.» Gerade diesem längst vergriffenen Buch hätte man nun eine adäquate Neuauflage gewünscht. Ein zum 20. Juli weltweit erscheinender Bildband enthält bloß eine gekürzte Version des englischsprachigen Textes und kostet nicht weniger als 750 Euro – das ist nicht nur für ein Mondlandungsbuch ein astronomischer Betrag.

Während sich Mailer für den Irrsinn interessierte, der es war, freiwillig von der Erde auf den Mond zu fliegen, ist nicht weniger rätselhaft, wie die zurückgekehrten Astronauten diese Grenzerfahrung verkraftet und ihr verbliebenes Leben in der Normalität der Erdenmenschen gemeistert haben. Der britische Journalist Andrew Smith hat sich daher auf die Suche nach den Veteranen gemacht, von denen nach den Apollo-Missionen der Jahre 1969 bis 1972 noch neun übrig sind. «Moonwalker» handelt über lange Passagen von der schwierigen Kontaktaufnahme zu diesen Männern, oft musste sich der Autor wie ein Stalker anschleichen. Man kann sich denken, wie oft die Astronauten schon auf dieselben Fragen haben antworten müssen.

Die Geschichten, die der Autor in dieser grandios erzählten und zuweilen durchaus an Norman Mailer erinnernden Reportage schließlich zusammengetragen hat, zeigen, dass die Rückkehrer ihre Erinnerungen wie ein Trauma verarbeiten mussten. Und daran oft scheiterten: John Young ist heute der festen Überzeugung, dass unsere Zivilisation innerhalb der nächs­ten hundert Jahre durch Vulkane oder Meteoriten vernichtet werden wird; Jim Irwin gründete eine religiöse Gemeinschaft namens «High Flight Foundation» und suchte auf ungezählten Expeditio­nen zum Berg Ararat nach Spuren der Arche Noah; Alan Bean war von der extraterrestrischen Farbpalette so fasziniert, dass er zum Pinsel griff und bis heute den Mond malt.

Immerhin begegnet Andrew Smith einem aufgeräumten Buzz Aldrin, der, nach überstandener Alkoholsucht, heute sehr skurrile Geschichten erzählt. Das Erste, was er auf dem Mond und vor den Augen der Millionen an ihren Fernsehern getan habe? Er pinkelte genüsslich in ein dafür vorgesehenes Kondom in seinem Raumanzug. Auch erklärt er, warum es von Neil Armstrong kein einziges Foto der von Aldrin bedienten Hasselblad-Kamera gibt. Die beiden seien sich uneinig gewesen, wer seinen Fuß als Erster in den Mondstaub setzen dürfe. Da habe Aldrin eben immer behauptet, er sei gerade zu beschäftigt, als Armstrong ihn aufforderte, endlich ein Porträt mit Mondlandschaft im Hintergrund zu knipsen. Wenn Apollo 11 vor allem ein Medienereignis gewesen ist, war das zumindest keine dumme Rache des zweiten Mannes auf dem Mond.


Tipi und Himmelszelt

Die Biografien der Mondfahrer sind die Geschichten einer vom Aussterben bedrohten Art. Günther Anders aber hatte das Erleben der Mondexpeditionen als den «Luxus der Nichtbeteiligten» beschrieben. Was macht nun diesen Luxus aus – welche Konsequenzen hatte der Blick vom Mond auf die Erde für diejenigen, die nicht dort oben waren und noch hier unten sind? Vielleicht, so schlägt Gloria Meynen vor, muss man dazu
nur die Bedeutung des längst vergessenen kalifornischen Offiziers, Hippies, Biologen und Designers Stewart Brand verstehen: «Ich hing», so notiert er 1966, «mit etwa 200 Mikrogramm LSD auf einem Hausdach rum, weil ich nichts Besseres zu tun hatte. Ich schaute auf die Innenstadt von San Francisco und glaubte zu sehen, dass die Gebäude nicht parallel zueinander standen, sondern leicht auseinander gingen, weil sie auf der gewölbten Erd­oberfläche stehen. Und ich dachte, wenn ich höher gehe, wird das deutlicher werden, und wenn ich noch höher gehe, noch deutlicher, bis man hoch genug ist, um zu sehen, wie sich die Erdoberfläche wieder schließt.» Kurz darauf vertrieb Brand für 25 Cent das Stück einen Button mit der Aufschrift «Why haven’t we seen a photograph of the whole world yet?».

Diese Frage erübrigte sich spätestens 1968, als die Apollo-8-Mission berückend schöne Fotos des blauen Pla­neten aus dem All zurückbrachte. Auf viele wirkten diese Bilder damals mit der Wucht einer göttlichen Offenbarung. Das «Space­ship Earth» – ein Ausdruck, den der visionäre Architekt Richard Buckminster Fuller schon lange zuvor geprägt hatte – wurde zum Modewort. Wenn wir alle wie Astronauten auf einem riesigen Raumschiff durchs All rasen – so hieß es –, dann bedarf es keiner bemannten Raumflüge, sondern eines weltweiten Verantwortungsbewusstseins für das Leben auf diesem Planeten. Das Raumzeitalter wurde so zu einer Geburtsstunde der Globalisierung.

Und brachte Stewart Brand auf eine Geschäftsidee. Mit Schere und Klebstoff stellte er 1968 die erste Nummer seines «Whole Earth Catalog» her, auf dessen Cover kein anderes Bild prangen konnte als eben dieses: die Erde, vom All aus gesehen. Das Heft versammelte Hinweise auf Bücher, aus denen die Leser alles lernen können sollten, was damals zum Überleben auf der Erde nötig schien; dazu gehörten eine technische Anleitung zum Bau indianischer Tipi-Zelte sowie die neuesten Bücher von Arthur Koestler – und Buckminster Fuller.

Die Heftinhalte generierten sich beinahe automatisch, denn Stewart Brand druckte ab, was ihm, von wem und wo auch immer, zugeschickt wurde. Das erinnert an den user generated content unseres Internet-Zeitalters, und tatsächlich bezeichnete Steve Jobs, der Chef der Computerfirma «Apple», den «Whole Earth Catalog» als wichtigen Vorläufer des World Wide Web. Das Heft habe von Anfang an so funktioniert wie heute die Suchmaschine «Google». 1998, also pünktlich zur Geburtsstunde des digitalen Mediums, erschien der «Catalog» zum letzten Mal. Das Internet – so lässt sich folgern – ist auf dem Mond erfunden worden.

Der Blick vom Mond: Das ist heute der Blick eines Autofahrers auf das satellitengestützte Navigationssystem seines Bordcomputers oder auf eine Luftaufnahme von «Google Earth». Wie aber steht es um Norman Mailers Befürchtung, dass der technische Optimismus des Raumfahrt-Zeitalters mit dem Einzug eines «neuen Totalitären» einhergehe? Dazu nur dies: Vor kurzem überraschte Barack Obamas Energieminister Steven Chu mit einem wahrhaft planetarischen Vorschlag zum Energiesparen. Weltweit sollten möglichst alle Hausdächer weiß angestrichen und möglichst nur noch weiße Autos verkauft werden. So könne Energie und Wärme ins All zurückgestrahlt und der Kohlendioxid-Ausstoß durch Klimaanlagen gesenkt werden. Wenn dieser Vorschlag erst einmal Vorschrift ist, wird man die letzten, verzweifelten Anhänger der schwarzen Zeit erkennen: Es werden diejenigen sein, die sich weigern, die Kuppel des Petersdoms mit alpinaweißer Farbe zu bepinseln.

 

Gloria Meynen
Die andere Seite des Mondes
Merve, Berlin 2009. 120 S., 11 €

Michael J. Neufeld
Wernher von Braun. Visionär des Weltraums – Ingenieur des Krieges
Siedler, München 2009. 686 S., 49,90 €

Stefan Brauburger
Wernher von Braun. Ein deutsches Genie zwischen Unter­gangswahn und Raketenträumen
Pendo, München 2009. 304 S., 19,95 €
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Norman Mailer
Auf dem Mond ein Feuer.
Droemer Knaur, München 1971. 566 S. (antiquarisch erhältlich)
Moonfire. The Epic Journey of Apollo 11
Taschen, Köln 2009. 358 S., 750 €
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Daniel Grinsted
Die Reise zum Mond. Zur Faszinationsgeschichte eines medienkulturellen Phänomens
Logos, Berlin 2009. 230 S., 28 €
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Jules Verne
Von der Erde zum Mond
Aus dem Französischen von William Matheson.
Diogenes, Zürich 1976. 302 S., 9,90 €
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Alexis von Croy
Der Mond und die Abenteuer der Apollo-Astronauten
Herbig, München 2009. 288 S., 19,95 €
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Andrew Smith
Moonwalker. Wie der Mond das Leben der Apollo-Astronauten veränderte
Aus dem Englischen von Kurt Beginnen und Sigrid Kuntz.
S. Fischer, Frankfurt a. M. 2009. 496 S., 22,95 €
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Günther Anders
Der Blick vom Mond. Reflexionen über Raumflüge
C. H. Beck, München 1970. 192 S. (antiquarisch erhältlich)
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Ralf Jaumann, Ulrich Köhler
Der Mond. Buzz Aldrin und Thomas Reiter im Gespräch
Fackelträger, Köln 2009. 320 S., 49,95 €
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