Das Journal - Weise Natur waltet in diesen Rundungen!

John von Düffel entzaubert die menschliche Fortpflanzung – leider hält seine Sprache mit der Technik nicht ganz Schritt

Er spielt in Hamburg, sie in Bremen. Beide haben auf der Bühne mehr erreicht, als sie jemals gedacht hätten. Dass sie mit Anfang 40 ihre wilden Jahre hinter sich haben und das dramatische Auf und Ab aus ihrem Leben verschwunden ist – wer wollte das beklagen? Es geht ihnen gut, fast zu gut: «Es gab Tage, Wochen, da fühlte er sich innerlich so ruhig, so einverstanden mit dem Leben, dass es ihm fast unmöglich war aufzutreten, den Schritt in die Erregung zu tun und sämtliche Zuschauer dazu zu bringen, sich mit ihm zu erregen. Es kam ihm künstlich vor.»

Solche Probleme möchte man haben. Und doch verspüren Lisa und ihr namenloser Gatte, die eigentliche Hauptfigur in John von Düffels Roman «Beste Jahre», ein Defizit. Lange Zeit haben sie sich gefragt, was ihnen fehlt, bis sie schließlich an den «Rand einer besseren Bremer Gegend» umzogen. Die überraschende Einsicht kam ihnen, als sie den Grundriss der neuen Wohnung betrachteten. Dort gab es nicht nur ein Wohn- und ein Ess-, sondern auch ein Kinderzimmer: als wäre es immer noch selbstverständlich, sich fortzupflanzen! Als wäre die Geburtenrate in Europa heute nicht so niedrig wie nie zuvor!

Wohnen, Essen, Kind – nachdem sie diesen Dreischritt nachvollzogen hatten, wollten sie nicht länger zu zweit leben. Lisa sollte geschwängert werden. Das allerdings ist leichter gesagt als getan. Man ist ja keine zwanzig mehr, auch keine dreißig. Sicher, man kann sich helfen lassen, aber selbst Reproduktions-Koryphäen können keine tauben Nüsse reanimieren. Was bleibt einem da, als sich mit der Kinderlosigkeit abzufinden? Ansonsten ist ja alles in Ordnung.


Hochtechnolgie der Fortpflanzung

Und dann? «Dann sagte Lisa eines Abends mit einem umwerfenden Lächeln zu ihm: ‹Du wirst Vater.›» Literaturliebhaber könnten beim Wörtchen «umwerfend» vom Glauben abfallen, aber an dieser Stelle soll nicht vom Wesentlichen abgelenkt werden: Düffels Held hat sich zum Urologen gequält, er hat unter unwürdigen Bedingungen seinen Samen abgeschlagen, immer wieder hat er seine lahmen Spermien verflucht, und jetzt plötzlich soll das alles doch nicht vergeblich gewesen sein?

Ja, die künstliche Befruchtung hat funktioniert, und mit diesem medizinischen Erfolg findet Düffel, der sich mit den Familienromanen «Vom Wasser» und «Houwelandt» ein beachtliches Publikum erschrieben hat, zu seinem Thema. «Beste Jahre» hätte das x-te Vaterbuch der jüngeren Literatur werden können, eine weitere intime Chronik des stinknormal-abenteuerlichen Übergangs in eine neue Lebensphase, wie sie auch schon Durs Grünbein, Hanns-Josef Ortheil oder Dirk von Petersdorff vorgelegt haben. Doch mit diesen Büchern ist «Beste Jahre» nur im Ansatz zu vergleichen (trotz Düffels manifest «umwerfender» Liebe zum sprachlich Abgedroschenen). Im Gegensatz zu manchem seiner Kollegen ist dieser Autor zu klug, um im Gedanken an das kaum zu begreifende Wunder jeder Geburt ins künstlerische Verderben zu rennen. Düffel konzentriert sich auf das Pränatale. Ihm geht es um die psychischen Auswirkungen der modernen Medizin, um die Nachwehen einer radikal entzauberten Reproduktion. «Beste Jahre» ist einer der ersten Romane, in denen künstliche Befruchtung kein Tabu mehr darstellt.

Völlig zu Recht konstatiert Lisa eines Tages, dass der Einfluss der Medizin mittlerweile enorm ist: «Inzwischen komme es ihr vor, als würde kaum noch jemand auf natürliche Weise empfangen … Es sei wirklich gespenstisch, wenn man bedenke, dass noch die Generation ihrer Eltern kurz vor dem Pillenknick unter einer urwüchsigen, unkontrollierbaren Fruchtbarkeit regelrecht litt. Damals habe man verzweifelt nach einer Fortpflanzungsverhinderungsmedizin gerufen, heute dagegen, knapp vierzig Jahre später, liege man vor einer hochtechnisierten Fortpflanzungsermöglichungsmedizin auf den Knien …»

So glotzt der Neue Mann

Düffels Figuren spinnen diesen Gedanken nach und nach weiter: Ist der «normale» Zeugungsakt überhaupt noch von Bedeutung? Warum sollten Menschen, die selbst im Reagenzglas gezeugt wurden, zukünftig vor genetischen Manipulationen des menschlichen Erbguts zurückschrecken?

Um die Konsequenzen solcher Fragen auszuloten, gesellt Düffel seinen Schauspielern ein zweites Paar mit Kinderwunsch hinzu: einen alten Schulfreund und dessen Frau. Wo vier sich treffen, treten in der deutschen Literatur bekanntlich fast immer Wahlverwandtschaften zutage. Es ist ein Segen, dass bei Düffel alles ganz anders kommt als bei Goethe, Walser, Wellershoff & Co. Zwar, die Wege kreuzen sich, aber das 21. Jahrhundert gewinnt zusehends an Tempo. Und das könnte weniger ein Zeitalter der Gefühlsverwirrungen als eines der Gynäkologie werden, was vielleicht gar nicht mal schlimm ist.

Anfangs sei ihm das allzu präzise Wissen über den weiblichen Körper ja noch unangenehm gewesen, gesteht Düffels Protagonist, doch dann habe es ihn gepackt: «Angesichts der mannigfaltigen Wunder der weiblichen Biologie empfand ich es als Privileg, in das Mysterium der Entstehung des Lebens eingeweiht zu sein.» Er sitzt in einem Café am Hamburger Jungfernstieg und begeistert sich für die vorübereilenden Schönheiten: «Ich konnte nur staunen, wie gynäkologisch sinnvoll Bau und Form ihrer Becken waren, wie einleuchtend die Architektur des weiblichen Körpers überhaupt! Was für eine weise Voraussicht der Natur wirkte und waltete in ihren Rundungen und Kurven, ihren Nahrung verheißenden Brüsten und dem Schwung ihrer Taillen, die wie geschaffen waren, um Säuglinge und Kleinkinder darauf zu balancieren.» So glotzt, so denkt der Neue Mann.

 

John von Düffel
Beste Jahre
DuMont, Köln 2007. 256 S., 19,90 €

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.