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(picture alliance) Post Coitum hat sich noch niemand über den Preis beschwert: Meyer bei der Versteigerung des "Schreis"

Tobias Meyer - Der Händler der Begierde

Mitten in der globalen Finanzkrise sagt Sotheby's-Direktor Tobias Meyer Sätze wie "Meine Aufgabe ist, Kunst teuer zu machen". Der elegante Deutsche holte beim Auktionshaus fast alle Preisrekorde des vergangenen Jahrzehnts. Er brachte den "Schrei" unter den Hammer - und machte aus dem Bild das teuerste jemals versteigerte Kunstwerk

Mit 48 Jahren hatte Scipione Caffarelli-Borghese alles gesehen: Armut und Reichtum, Machtfülle und Machtlosigkeit, Gesundheit und Verfall. Einst als Kardinalnepot und Kunstmäzen Mittelpunkt der römischen Gesellschaft, wurde er nach dem Papstwechsel Zeuge seines eigenen Niedergangs.

Wenn er in seine prachtvolle Villa heimkehrte, fiel sein Blick auf den fliehenden Fuß des Apollon. Das schlanke Bein des jungen Lichtgottes jagt mit aller Kraft der Daphne hinterher, die ihre Freiheit verteidigt, um unter seiner Umschlingung zum Lorbeerbaum zu werden. Dieses marmorne Meisterwerk des Barock-Großmeisters Gian Lorenzo Bernini stellte sich der machthungrige Neffe von Papst Paul V 1625 an den Treppenaufgang der heutigen Galleria Borghese in Rom.

Ein paar Hundert Jahre später schwelgt ein Mann selben Alters in der Betrachtung dieser poetischen Warnung, dieser formvollendeten, ewig wahren Geschichte von Besitzbegierde und Kontrollverlust.

„Das ist ein Film aus Marmor“, sagt der heute 49-jährige Tobias Meyer, unter dessen Hammer das Auktionshaus Sotheby’s fast alle spektakulären Preisrekorde des vergangenen Jahrzehnts geholt hat. Schweigend versinkt er in den Anblick der Skulptur, betrachtet den hinreißenden Raum zwischen Apollon und Daphne, destilliert die Botschaft des Werkes mit seiner sonoren Stimme.

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Wer einmal die Spannung im siebten Stock des Auktionshauses am New Yorker East River erlebt hat, wenn der Chefauktionator mit lässiger Nachdringlichkeit den Kunstjetset zum Zahlen obszöner Preise treibt, weiß: Meyer verkauft Kunst, oft das Beste, was auf dem Markt zu haben ist. Doch in Wahrheit handelt er mit Begierde.

Tobias Meyer, in Frankfurt und Wien aufgewachsen und heute einer der einflussreichsten Männer der Kunstwelt, tritt dabei mit seiner ansehnlichen Gestalt als Projektionsfläche auf. Der Sohn Hamburger Eltern spielt mit dem Zwischenraum, der auch die Figuren Berninis trennt: mit der Lust und der Gefahr, die Freiheit zu verlieren.

Seine Auktionen gleichen einem öffentlichen Liebesakt. „Ich nehme den Menschen die Angst vor der Begierde“, sagt er. „Are you sure?“, quält er die Kunden mit einem feinen Lächeln und heftet seine tief liegenden Augen auf einen Bieter, während er am Rostrum lehnend den Hammer zwischen seinen Fingern dreht. Noch hat sich kein Käufer bei ihm post coitum über den saftigen Kaufpreis beschwert.

„Meine Aufgabe ist, Kunst teuer zu machen“, gab er mitten in der globalen Finanzkrise zu Protokoll. Wer zu ihm kommt, weiß, dass es teuer wird. Im vergangenen November hagelte es Rekorde für Clyfford Still und Gerhard Richter, während unten auf der Straße Gewerkschafter und Occupy-Wall-Street-Anhänger so lautstark „Shame on you“ brüllten, dass es ein einmalig absurdes Konzert aus sozialen Protestrufen und 500?000-Dollarsprüngen gab. „I love this rhythm“, raunte Meyer unter dem Gelächter des Publikums cool ins Mikrofon. „It’s so smooth!“

Welches Talent in dem eleganten Deutschen steckt, erkannte der langjährige MoMA-Chef Richard E. Oldenburg sofort, als er mit Meyer 1992 ein Vorstellungsgespräch für Sotheby’s führte. „Er weiß, wie man mit dem Raum spielt und ist ungeheuer gebildet“, nickt Oldenburg anerkennend.

Sein enzyklopädisches Wissen und ein nahezu fotografisches Gedächtnis helfen Meyer auch bei der diskreten Vermittlung von Privatverkäufen. So gelang es ihm etwa beim Verkauf von Jackson Pollocks Gemälde „No. 5“ den bislang nicht übertroffenen Rekordpreis von 156,8 Millionen Dollar zu erzielen.

„Wer als Liebender den Freuden flüchtiger Form nachjagt, der füllt seine Hand mit Laub und erntet bittere Beeren“, meißelte Bernini in den Sockel unter Ovids Mythos. Tobias Meyer wird noch viele Jahre auf die Jagd gehen, Rekordpreise erzielen und seine eigene Kunstsammlung erweitern. Aber er weiß, dass diese Jagdfreuden kein privates Glück ersetzen.

Als er spürte, dass sein langjähriger Lebenspartner Mark Fletcher trotz ihrer spektakulären Wohnung im 66. Stock des Time Warner Centers und einem Haus in Los Angeles von einem selbst entworfenen Haus auf dem Land träumte, suchten sie gemeinsam einen Architekten. Gebaut hat es einer der großen Stars. Arbeitstitel des Projekts: „Make it extreme!“ „Dieses Haus ist dein Porträt“, sagte sein Mann, als es fertig war.

Es hat eine kühle Hülle aus dunklem Metall, unerwartete Sichtachsen und viele Ebenen, die einen leichten Schwindel auslösen. Ob er dort zur Ruhe kommt? „Ich glaube, ich komme nie so wirklich runter“, meint Meyer lächelnd. „Aber ich komme dort auf neue Fragen.“

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