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(Edition Büchergilde) Jakob Hinrichs hat Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ illustriert

„Traumnovelle“ als Comic - Sex, Verdrängung und Triebstau

Grafischer Minimalismus und symbolistischer Überschuss: Jakob Hinrichs hat aus Arthur Schnitzlers  „Traumnovelle“ einen Comic gemacht

Verdrängung und Triebstau, Sex und das Unbewusste; unerfüllte Wünsche und ihre Erscheinung in erotisch aufgeladenen Träumen: Das sind die Themen, um die sich Arthur Schnitzlers kurze «Traumnovelle» aus dem Jahr 1925 dreht. Kunstvoll verflicht sie Wirklichkeit mit Phantasie, die Realität des täglichen Lebens mit den nächtlichen Träumen, in denen mächtig ins Bewusstsein drängt, was die Menschen sich am Tage versagen. Ein sexuell unbefriedigtes Paar – der Arzt Fridolin und seine Frau Albertine – gesteht einander nach einem erregenden Maskenball unterdrückte Wünsche und untreues Begehren nach anderen Männern und Frauen. In den folgenden Nächten streift Fridolin ziellos durch die Gassen von Wien und landet in einem Mönchskostüm schließlich in einer geheimen Sex- Orgie; freilich wird er als Unbefugter enttarnt und muss fliehen. Als er nach Hause kommt, erzählt Albertine ihm von ihrem letzten Traum: Darin hat sie Geschlechtsverkehr mit einem feschen Soldaten, während Fridolin zeitgleich gefoltert und schließlich ans Kreuz geschlagen wird.

Die Geständnisse und die geträumten Seitensprünge, aber auch die schonungslose Offenheit gegeneinander und die vorübergehende Hingabe ans bislang versagte Begehren entzweien das Paar zunächst – und bringen es dann umso fester zusammen. «Nun sind wir wohl erwacht», wähnt Albertine am Ende, doch bleibt offen, ob man sich überhaupt aus dem Traum heraus und in die Wachhheit hineinwünschen sollte.

Das ist auch die Frage, die der Berliner Illustrator Jakob Hinrichs uns stellt: Er hat die «Traumnovelle» jetzt als opulenten Comic interpretiert – und sämtliche Ambivalenzen, die im literarischen Original stecken, dabei elegant in der Schwebe gehalten. Hinrichs, der als Comic-Zeichner mit diesem Werk debütiert, gestaltet seine Bilder mit flächigen Farben und stilisierten Figuren nach Art von Siebdruck- Illustrationen. Die Plakatkunst der zwanziger Jahre kann man darin ebenso wiedererkennen wie die Holzschnitt- Geschichten Frans Masereels oder die jüngere Comic-Avantgarde – etwa Mark Beyer mit seinen starren Strichmännchen und schief geometrischen Welten; oder M. S. Bastian und Gary Panter mit ihren nervös befreiten Farben und Formen.

Auch bei Hinrichs wirken die Bilder zugleich erstarrt und lebendig, befreit und bedrängt. Das liegt zum einen an den streng konstruierten Seitenlayouts, in welche die Szenen sich einfügen müssen. Vor allem jedoch changiert seine grafische Sprache stets zwischen Vieldeutigkeit und comic-typischer Stilisierung, zwischen grafischem Minimalismus und symbolistischem Überschuss.

So sieht man Fridolin und Albertine in der ersten Szene bei einem Jahrmarktsbummel mit ihrer sechsjährigen Tochter – das Kind aber wird nicht als Mensch gezeichnet, sondern als ein abstraktes Ding aus zwei Kreisen; ein gesichtsloses, gleichsam zu groß geratenes Wesen, das im Spiel der Phantasien und Bilder nur stört. Ein Aufsichtsratsvorsitzender, an dessen Sterbebett der Arzt später gerufen wird, erscheint als Käfer im Stil von Kafkas «Verwandlung»; eine Gruppe viriler Studenten, die Fridolin in seiner Männlichkeit kränkt, wird als Streichholzballett mit Benzinkanistern gezeichnet.

So bringt Hinrichs nicht nur Menschen und Dinge ins Bild, sondern auch den Blick der Menschen auf diese Dinge – und die Blicke der Menschen aufeinander und auf sich selbst. Eine «objektive» Darstellung der Realität ist nirgends zu finden. Ihre Wahrnehmung ist stets von Leidenschaften verzerrt und vom Unbewussten geprägt: «Das Ich ist nicht Herr im eigenen Haus», wie es der Schnitzler-Bewunderer Sigmund Freud einige Jahre vor der «Traumnovelle» formuliert hat. Unter den Konturen von Zeichnung und Schrift verschiebt Hinrichs denn auch unablässig die roten, gelben und blauen Farbflächen. Mal unterwirft er sie den Maßgaben der Illustration; meist aber spielen sie ihr eigenes geometrisches Spiel – dann gerät das einzelne Bild ebenso aus den Fugen wie in der «Traumnovelle» die gesamte Realität. Doch so elegant und durchdacht die grafische Sprache von Jakob Hinrichs auch ist: Von der Spannung zwischen Bildern und Texten macht er nur wenig Gebrauch.

Dabei findet sich – wie zuletzt etwa David Mazzucchelli in «Asterios Polyp» (siehe Heft 103) bewiesen hat – im comic-typischen Widerstreit der beiden Zeichen-Arten geradezu ein Ebenbild für die Zerrissenheit der menschlichen Psyche. Ähnlich undifferenziert ist Hinrichs‘ Gebrauch der Typografie. Mal ist die Schrift in Großbuchstaben gehalten, mal wird sie als geschwungene Schreibschrift gezeichnet. Unablässig wechselt sie Größe, Farbe und Intensität – doch ohne dass dabei ein System, ein ästhetischer Gedanke erkennbar würde. Vielleicht könnte man sagen: Bei aller surrealistischen Pracht der Geschichte mangelt es noch am Gespür für die Verschränkung von Bild und Schrift, Bildschrift und Schriftbild. Hinrichs ComicÄsthetik des Unbewussten fehlt es am vollen Bewusstsein für die Ästhetik des Comic.

Arthur Schnitzler: Traumnovelle, Illustriert von Jakob Hinrichs.

Edition Büchergilde, Frankfurt a.M. 2012. 160 Seiten, 24,95 Euro

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