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(picture alliance) Mit ethischen Regeln gegen die Medienkrise

Medien in der Krise - Sechs Gebote für besseren Journalismus

Zum Jahreswechsel zeigen wir Ihnen noch einmal die erfolgreichsten Artikel aus dem Jahr 2012. Im August:

Den Medien geht es schlecht. In der Tagesschau wird mehr kommentiert, denn informiert. Das Ego von Chef-Feuilletonisten wächst in unermessliche Höhen und das Privatfernsehen hat längst jede Skrupel verloren. Höchste Zeit für einen medialen New Deal

Die Medien stecken in einer Identitätskrise. Das hat nicht nur, aber vor allem wirtschaftliche Gründe. Die Auflagenzahlen der allermeisten Zeitungen und Zeitschriften befinden sich im kontinuierlichen Sinkflug. Als Gegenmittel greifen selbst Qualitätsmedien zum Holzhammer, entdecken die Lust am Krawall. Die „Süddeutsche Zeitung“ keilte jüngst trotz dünner Faktenbasis gegen Günter Wallraff. Zuvor hatte ihr eigener Star-Autor Heribert Prantl eine Szene mit dem angeblichen Salatdressingliebhaber Andreas Voßkuhle so trickreich imaginiert, dass der falsche Eindruck entstand, Prantl selbst sei in die Küche des Verfassungsgerichtspräsidenten geladen gewesen. War er aber nicht. Voßkuhle ließ öffentlich dementieren. Nun hat SZ-Feuilleton-Chef Thomas Steinfeld unter falschem Namen einen Roman geschrieben („Der Sturm“), in dem ein Journalist bestialisch zu Tode kommt. Das Opfer weist große Ähnlichkeiten auf mit Steinfelds Ex-FAZ-Vorgesetztem Frank Schirrmacher. Zudem wurde das Buch mit offenbar falschen Lobhudeleien der Schriftsteller Orhan Pamuk und Hakan Nesser beworben. Was läuft da schief?

Im Fernsehen kriseln derzeit die Einschaltquoten sonst zuverlässiger Erfolgsgaranten. Die „Topmodels“ und „Superstars“ haben ihre beste Zeit hinter sich. Umso hektischer werden neue Formate ausprobiert („Unsere Platte“, „We love Lloret“, „Familien in Geldnot“), die desto derber, desto greller daherkommen und den Zynismus zur Geschäftsgrundlage erhoben haben. Dass sie dabei in Grenzbereiche der Menschenwürde geraten, nehmen die Macher billigend in Kauf. Zeit für eine Besinnung. Zeit für sechs medienethische Gebote.

1. Legt den Werkzeugkasten weg!

Die Menschenwürde ist laut Immanuel Kant „über allen Preis erhaben“. Sie ist kein Tauschobjekt zu anderen Zwecken. Deshalb muss der Mensch „jederzeit zugleich als Zweck gebraucht werden“, ist er nie nur Mittel. In den Medien aber werden Menschen oft verzweckt und instrumentalisiert. Gerade dort, wo es „menschelt“, schwindet die Menschenwürde. Dann werden aus Menschen Objekte zur Herstellung von Emotionen, „greift“ man Momente der Rührung „ab“, führt stressige, gefährliche, rührende Situationen herbei, um den Zuschauer zu fesseln und vom Umschalten abzuhalten. Der abgefilmte Mensch dient als reines Werkzeug zur Quotenmaximierung. Das Interesse am lebenden Gegenüber erlischt sofort, wenn die Kamera ausgeschaltet ist. Viele Menschen werden in den audiovisuellen Medien zum bloßen Augenfutter, zur Gefühlsattrappe oder gar zum derb vorgeführten „Ekelpaket“. Eine solche Verzweckung kann sowohl in den unsäglichen Reality-Formaten geschehen als auch bei den so beliebten „Straßenumfragen“, wenn Passanten mit ernsten oder albernen Fragen überrumpelt werden. Ein derart instrumentelles Verhältnis zur Wirklichkeit bereitet den Boden für die Verletzung der Menschenwürde. Die Medien laufen Gefahr, sich als Zampanos zur Beugung der Realität misszuverstehen.

Auf der folgenden Seite: Gebote 2 und 3 weniger Meinung, weniger Ego 

 2. Raus aus der Verkündermaske!

Der Leitartikel ist eine wunderbare Einrichtung. Das Leben aber ist kein Leitartikel. Nicht alles, was geschieht, drängt zur sofortigen Kommentierung, noch dazu im falschen Gewand des Berichtes. Die Versuchung zur Vermischung der Genres ist in den letzten Jahren gewachsen. Unlängst wurde der neu ernannte Präfekt der römischen Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller, in den Radionachrichten des Bayerischen Rundfunks als „Hardliner“ bezeichnet. Eine solche Wertung hat in einer Nachricht nichts zu suchen. Das ZDF sprach in seinen „heute“-Nachrichten vom „erzkonservativen Hardliner“ – in den Nachrichten wohl gemerkt, nicht in einem Kommentar. Auch hier gilt: Wer den Medienrezipienten mit Wertungen überschüttet, ehe er ihn informiert, nimmt ihn nicht ernst – und ist sich selbst seines Wissens nicht sicher. Warum sonst sollte ansatzlos vom berichtenden in den urteilenden Modus gewechselt werden? Verkündigung ist nicht die Aufgabe des Nachrichtenjournalismus. Scheidung der Geister, der Genres und der Tonlagen tut not.

 3. Zügelt eure Egos!

Der Journalismus ist in weiten Teilen noch immer so beschaffen, wie ihn Balzac in den „Verlorenen Illusionen“ unübertrefflich schilderte. Das ist 169 Jahre her. Noch immer ist der Journalismus ein Tummelplatz für große Egos mit noch größeren Ambitionen und deutlich kleineren Rücksichtnahmen – der „Fall Steinfeld“ ist durchaus symptomatisch. Der Journalist will sagen, wo es lang geht. Er hat sich daran gewöhnt, dass fast niemand ihm widerspricht. Auch nachvollziehbare Kritik gilt schnell als „Medienschelte“. Gegen ein gesundes Maß an Eitelkeit ist ebenso wenig etwas einzuwenden wie gegen einen professionellen Enthüllungsdrang. Unter dem Druck der Netzwerke und des Sofortjournalismus aber spreizt sich mancher Autor größer, als es ihm und der Wahrheit gut tut. Da werden viele Hundert Seiten dicke Studien auf Grundlage ihrer Abstracts vor einem Millionenpublikum auf zwei Sätze herunter gebrochen und – je nachdem – nieder kartätscht oder in den Himmel gehoben. Da werden Diskussionsrunden zu Tribunalen und triumphiert das gute Gewissen über das bessere Wissen. Zurückhaltung, Demut, Bescheidenheit sind neu zu lernen. Sonst treibt die uninformierte und darum uniformierte Erregungsgesellschaft immer neue Blüten.

Gebote 4 bis 6 Weniger YouTube, mehr Ernsthaftigkeit 

 4. Misstraut dem Bild! 

Selbst in der „tagesschau“ greift man auf bewegte Bilder unklarer Herkunft aus Krisenregionen zurück. Internetfilmchen mit brennenden Häusern und schreienden Menschen sind aber lediglich Authentizitätsjetons, deren Wahrheitsgehalt umstritten ist. Sie haben keine Aussagekraft über den allgemeinen Befund hinaus, dass in Kriegen Waffen eingesetzt werden und Dinge zu Bruch gehen. Generell schenkt das Bildermedium Fernsehen den Bildern ein zu großes, den Worten ein zu geringes Vertrauen. Dabei gerät in Vergessenheit, dass Bilder eher illustrieren denn erklären, eine komplexe Welt aber dringend der Erklärung bedarf. Es ist darum dringend geboten, der Bild- eine neue Wortkultur gegenüberzustellen. Bilder müssen eingeordnet, also ver(w)ortet werden, weil nur so Verantwortung entsteht. Wie schwer es fällt, an dieser neuen Wortkultur zu arbeiten, konstatierte unlängst der ARD-Programmbeirat in seiner Stellungnahme zu den eigenen Talkshows: „Das journalistische Handwerkszeug für Interviews muss auch in Talks sichtbar umgesetzt werden, was nicht immer der Fall ist: Nachfragen, nachfragen, nachfragen. Klären, klären, klären. Antworten einfordern. Fragen stellen statt Vorurteile bestätigen.

5. Verlasst das Aquarium!

Viele Redaktionen haben sich zu geschlossenen Soziotopen entwickelt. Man schreibt eher für die Kollegen als für die Leser, weil man auf Kollegenlob aus ist. Ohne Selbstkritik aber verkümmert die Fähigkeit zum kritischen Weltverhältnis, der Grundbedingung jeder journalistischen Tätigkeit. Die zunehmende Selbstausbeutung eines wachsenden „Medienprekariats“ erschwert diesen notwendigen Mut zur Kritik dramatisch. Jedes Wort, jede Zeile, jedes Bild hat eine ökonomische Unwucht. Insofern ist die schwindende Bereitschaft zur angemessen Bezahlung mittelfristig die größte Gefahr für den Qualitätsjournalismus. Von wandelnden Ich-AGs an der Armutsschwelle kann eine Zivilcourage, die das Auskommen womöglich weiter erschwert, kaum verlangt werden.

 6. Werdet erwachsen!

Der Mensch hat eine unverlierbare Würde, weil er ein Vernunftwesen ist. Damit nicht vereinbar ist die flächendeckende Infantilisierung, die längst auch in den öffentlich-rechtlichen Anstalten triumphiert. Das Fernsehen begreift sich im Angesicht eines erwachsenen Publikums oft als Pausenclown auf Kindergeburtstagen. Der amerikanische Soziologe Benjamin R. Barber warnt vor einer Gesellschaft, die ihr wirtschaftliches Überleben an eine kindliche und nicht an eine reife Kultur koppelt. Eine solche Infantilisierung, die die Gesellschaft entpolitisiert, findet regelmäßig im „heute journal“ des ZDF statt. Ein Beitrag zur Finanztransaktionssteuer wurde Anfang Juni dieses Jahres mit den Bildern schmatzender Kühe eingeleitet. Dazu erklärte Moderator Claus Kleber: „Wagen wir eine Behauptung. Jeder von uns sieht täglich mindestens einmal eine Kuh. Wenn nicht so schön im Freien, dann von einem Plakat, aus einem Foto, schaut sie uns an und schenkt uns mit ihren dunklen Augen ein Gefühl der Geborgenheit.“ Die Betrachtungen zur Kuh wurden breit ausgeführt, weil die Parteien einen „Kuhhandel“ betrieben, der „auf eine Kuhhaut soll“. Solche Kindereien verstoßen gegen die Würde des Publikums. Wer eine mündige, aufgeklärte Gesellschaft will, muss ihr die Mühe des Gedankens zutrauen, muss ihr Maßstäbe des Erklärens und Verstehens an die Hand geben und sie nicht zwangsbespaßen. Erst wenn die Medien der selbstgelegten Spaßfalle entkommen, gewinnt die Würde eines vernünftigen Wesens wieder Raum.

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